Gretchenfrage

Sag mir, wie hältst Du es mit dem Protest in der Regierung

Katharina Schwabedissen

Katharina Schwabedissen

Protest leitet sich vom lateinischen „protestor“ ab. Übersetzt bedeutet das „öffentlich bezeugen“. Protest stellt einen Ausdruck der Zurückweisung oder des Widerspruchs gegenüber einer bestimmten Art der Politik dar. Darf also konkret DIE LINKE in einer Regierung Protest gegen die herrschende Politik öffentlich bezeugen? DIE LINKE ist eine sozialistische Partei. Ihr Nahziel sind Reformen zum Wohle der Menschen innerhalb des Kapitalismus, eine Verbesserung der Kräfteverhältnisse zugunsten der Lohnabhängigen gegenüber den ProduktionsmittelbesitzerInnen. Ihr Fernziel ist eine sozialistische Demokratie, worunter wir verstehen, dass alle an der Gestaltung der Gesellschaft beteiligt sind. Die Nahziele sind ausgerichtet auf das Fernziel. Daran müssen sie sich messen lassen – was nicht immer einfach ist. Rosa Luxemburg hat diese Form der Politik als „revolutionäre Realpolitik“ beschrieben. Beteiligt sich DIE LINKE an Regierungen, hat sie die Wahl, zur Verwalterin des Mangels für die Mehrheit im Kapitalismus – und damit überflüssig zu werden oder aber Reformen im Sinne der Mehrheit auf den Weg zu bringen und damit gegen die herrschenden Verhältnisse öffentlich Zeugnis zu reden – zu protestieren. Darf DIE LINKE also auch in einer Regierung protestieren? Ja, sie muss es sogar!

Katharina Schwabedissen ist Sprecherin von LISA (Linke sozialistische Arbeitsgemeinschaft Frauen in der LINKEN) NRW und Mitglied im Blockupy KoKreis

Johanna Uekermann

Johanna Uekermann

Protest ist eine legitime Form der Meinungsäußerung und Ausdruck des Willens nach Veränderung. Damit hat er seine Berechtigung zu jeder Zeit. Protest hat viele verschiedene Gesichter: Sei es Protest gegen Castor-Transporte und Atomkraft, Bürgerinitiativen gegen Fluglärm oder Aktionen zivilen Ungehorsams gegen Naziaufmärsche. Das Beispiel Dresden verdeutlicht, dass es erst durch massenhafte Aktionen zivilen Ungehorsams möglich geworden ist, den bis dato größte Naziaufmarsch Europas zu stoppen. Protest ist also immer erlaubt – auch für eine Jugendorganisation, deren Mutterpartei gerade die Regierung stellt.

Johanna Uekermann ist Juso-Vorsitzende

Stefan Liebich

Stefan Liebich

Durchaus. Im Sommer 2004 regierten wir in Berlin mit der SPD. Als Fraktionsvorsitzender der PDS war ich quasi Teil der Landesregierung und habe trotzdem gegen die Hartz-Gesetze der SPD geführten Bundesregierung demonstriert. Unser Regierungspartner war nicht sehr amüsiert. Ich finde es völlig normal, dass zwei Regierungsparteien ab und zu unterschiedlicher Meinung sind. Eine ähnliche Situation gab es auch im Mai 2002. Die Tinte meiner Unterschrift als Landesvorsitzender der PDS unter dem Koalitionsvertrag war noch nicht trocken, da besuchte US-Präsident Bush Berlin. Der Irakkrieg stand vor der Tür und die PDS rief zur Friedensdemo auf. Klaus Wowereit fühlte sich als Gastgeber etwas brüskiert. Der Regierungsarbeit hat es nicht geschadet, die Koalition gab es noch in zweiter Auflage.

Stefan Liebich ist Mitglied der LINKSFRAKTION im Bundestag

Roland Claus

Roland Claus

Die Genoss/innen „Man und Wir“ dürfen immer alles, sie sind doch weder für zu lösende Aufgaben noch für eingetretene Misserfolge haftbar zu machen.

Mitglieder einer Regierungsfraktion machen sich als Opposition gegen Minister/innen aus den eigenen Reihen aber unglaubwürdig. Natürlich darf DIE LINKE auch in Regierung gegen gesellschaftliche Missstände demonstrieren, aber gegen die Beteiligung selbst zu protestieren geht glaubhaft nur einmal: Kurz vor dem Ausstieg aus der Koalition.

Wer CDU-Abgeordnete kritisiert, wenn sie im Bundestag für Kriege stimmen und im Wahlkreis die Pazifisten geben, kann nicht selbst janusköpfig sein.

Roland Claus ist Mitglied der LINKSFRAKTION im Bundestag