Wir sind nicht, was wir gesendet werden

Viviana Uriona
Frei Übersetzt: Zurück an den Sender!

Zweihundertundvierzigtausend Menschen haben ihre Namen für eine Petition gegeben, die die Entfernung von Markus Lanz aus dem öffentlich rechtlichen Rundfunk verlangt. Lanz hatte die Politikerin Sahra Wagenknecht in seine Show eingeladen und dann so ziemlich alles dafür getan, dass sie ihm seine Fragen nicht beantworten durfte. Der Mann ließ die Frau nicht ausreden. Er hörte nicht mal zu. Wagenknecht war souverän geblieben und Lanz stand am Ende als Depp da. Und das ist er ja auch. Einer, der außerhalb seines eigenen Vorstellungsvermögens nur Gefährliches sieht. Er ist ein Journalist, der seine Abscheu vor allem Schwierigem mit enormem Selbstvertrauen vertritt. Seine Stärke ist nicht die Analyse, sondern die Exclamatio. Der Mann liebt es, Dinge sehr laut zu behaupten, die er für völlig unbezweifelbar hält, weil sein journalistisches Umfeld sie ebenfalls nicht bezweifelt. Lanz ist eben ein ganz gewöhnlicher deutscher Journalist. Manche sind etwas klüger, einige etwas feinsinniger, fast alle haben eine bessere Kinderstube.

Doch Lanz soll es für alle büßen. Deutschland wälzt sich aus der Fernsehcouch empor und empört sich. Es ist genug. Jetzt reicht es aber. Jetzt gehen wir zum Computer rüber! Jetzt petitionieren wir! Lanz soll für den deutschen Journalismus am Kreuz hängen. Als wüchsen die Lanzes nicht auf den Bäumen. Wenn diese Petition Erfolg hat, wie viele weitere müssten in welcher Geschwindigkeit folgen, um alle Nachwachsenden aus den Sendeanstalten zu entfernen?

Was uns interessieren sollte, wäre eine Debatte über die Struktur der Medienlandschaft. Der heutige Journalismus ist Teil der gesellschaftlichen Machtverhältnisse, die er nicht ernsthaft hinterfragen darf ohne sich zugleich selbst und seine Sendung in Frage zu stellen. Denn es ist eine Sendung. Ihr Tenor lautet: Wenn es der Wirtschaft gut geht, geht es den Menschen gut und Deutschland ist wirtschaftlich erfolgreich und das Boot ist ziemlich voll und Hartz IV–Beziehende leben auf Kosten der Allgemeinheit und wir müssen mehr Verantwortung in der Außenpolitik übernehmen und dürfen uns nicht vor Kriegen fürchten und der Sozialismus ist ein verbrecherisches System, das für immer gescheitert ist aber ein humaner Kapitalismus ist möglich, für die, die sich anstrengen, aber irgendwie sind gierige Banker keine netten Leute, sondern ohne Moral und deshalb sollten sie mal über sich nachdenken, etc. etc. etc. In mehr oder weniger sprachlicher Komplexität ist dies die Dauersendung des deutschen Journalismus. Sie beschallt Millionen und konditioniert sie, die Wiederholungen von Halbwahrheiten irgendwann mit Wahrheit zu verwechseln.

Angehende Journalisten folgen diesem System, sie passen sich ihm an, sie richten sich in ihm ein, sie gestalten es irgendwann selbst mit. Ich nehme es ihnen nicht übel. Denn es geht den Menschen wie den Leuten. Wer da drin sitzt im journalistischen Produktionsprozess und dort Erfolg haben will, hat dieselbe Wahl wie viele Lohnabhängige in anderen Produktionsbereichen. Sie können sich trotz besseren Wissens für Ziele einsetzen, deren Bedenklichkeit oder Irrelevanz sie durchaus erkennen. Oder sie können sich lange genug suggerieren, dass sie die Ziele ihrer Arbeit auch persönlich teilen. Ob der Mensch Diätprogramme vertickt oder einen Meinungsbeitrag über unmoralische Banker entwirft, es fällt ihm irgendwann sehr viel leichter, diese Arbeiten zu erledigen, wenn er oder sie zu glauben beginnt, dass Diäten gut sind und die Moral im Bankenwesen durch Appelle verbessert werden könne. Es tut nämlich verdammt weh, zu wissen, dass ein Produkt Mist ist, wenn man die Hälfte seiner Lebenszeit damit verbringt, genau diesen Mist anderen Menschen als Sahne zu verkaufen. Wem das nicht weh tut, ist Zyniker und arbeitet zynisch weiter. Das Sein bestimmt das Verrücktsein.

Es ist normal, dass die „objektive Berichterstattung“ Ausdruck der subjektiven Interessen einer Kapital besitzenden Minderheit ist. Sie hat die privaten Medien in der Hand und übt materiellen und politischen Einfluss auf die öffentlich-rechtlichen aus. Petitionen helfen da nicht. Was da helfen würde, wäre der Umbau des Systems, das Lanzes macht. Medien lassen sich anders organisieren. Argentinien hat vorgemacht, dass das geht. Es war das Ergebnis von Kämpfen einer Koalition aus über 300 gesellschaftlichen Akteuren, die ein 21-Punkte Papier vorlegten. Die Grundidee: Wenn wir im Kommunikationszeitalter leben, dann ist die Macht über die Kommunikation die Macht an sich. Wir wollen nicht länger die Rezipienten einer Medienwelt sein, die uns die Welt nach den Maßstäben einer Minderheit erklären will. Wir wollen nicht mehr sein, was wir gesendet werden. Wir sind, was wir senden!

Argentiniens Medienlandschaft besteht heute aus drei Segmenten. Neben dem staatlichen und dem privaten Mediensektor existiert ein gleichberechtigter Bereich für zivilgesellschaftliche Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen. Diesem dritten Bereich sind aus Steuermitteln die materiellen Grundlagen an die Hand zu geben, um die strukturelle Benachteiligung gegenüber Staat und Privaten zu beheben. In diesem dritten Bereich ist die Mitarbeit der breiten Bevölkerung ebenso Usus wie die Auseinandersetzung mit deren Interessen, Zielen und Kämpfe. Der argentinische Medienkonzern Clarin ging dagegen auf die Barrikaden. Und er stieg taumelnd wieder runter. Er verlor vor dem Verfassungsgericht. Jetzt wird er Sendeplätze und Frequenzen an die neuen Medien der Gesellschaft abgeben. Das ist entschädigungslose Enteignung im Kommunikationszeitalter.

Das Utopische ist immer nur so lange utopisch bis es real wird. Dann ist es auf einmal Schnee von gestern. Nur, dass man sich schon gehörig den Hintern aufreißen muss, wenn es gestrigen Schnee auch geben soll. Etwas, dass die Linke in Deutschland tun sollte. Es wird ihr mehr einbringen als die eingeübte Medienschelte oder das Gerangel um Vertreter in den Rundfunkräten. Und es ist eine tolerante Utopie, die da real werden kann. In ihr kann Lanz weiter seinen Quatsch erzählen. Aber, wer würde sich einen Lanz ansehen, wenn er zwei Sendeplätze weiter echte Debatten sehen kann? Wenn die Mehrheit Medien macht, verlieren die Suppenkasper der Minderheit ihren Glanz.

Viviana Uriona ist Politologin, promoviert derzeit und ist in der freien Radioszene unterwegs. Für den Dokumentarfilm „Sachamanta[1]“ führte sie die Regie.

Links:

  1. http://kameradisten.org/