Lichtenbergs Messer

Deutschlands bessere Linke ekelt sich, kämpft aber auch für den Frieden

Uwe Schaarschmidt

Die gute Nachricht: Ein großer Teil der deutschen Bevölkerung steht sowohl der Russland-Ukraine-Politik der Bundesregierung, als auch der entsprechenden Propaganda-Attitüde deutscher Leitmedien äußerst kritisch gegenüber. Lediglich 9% befürworten eine weitere Isolation Russlands. Die schlechte Nachricht: Dies interessiert bislang weder Bundesregierung noch Medien sonderlich. Leserbriefe, Foreneinträge und wütende Proteste in den sozialen Netzwerken perlen an ihnen ab, wie Regentropfen vom Lotusblatt. Es war schließlich der Satire-Sendung „Die Anstalt“ des ZDF(!) vom 29. April zu verdanken, dass sich mit Josef Joffe, dem Co-Herausgeber der „Zeit“ endlich ein prominenter Journalist zur Kritik an den Medien verhielt: Mit einem Unterlassungsantrag an das ZDF, sowie einem Beschwerdebrief an dessen Chefredakteur Peter Frey. Die Kabarettisten Max Uthoff und Claus von Wagner hatten in ihrer Sendung auf einer Tafel die Verflechtungen deutscher Alpha-Journalisten mit elitären, transatlantischen Denkfabriken und Lobbyorganisationen dargestellt, kommentiert und ins Verhältnis mit dem gegenwärtigen Konflikt um die Ukraine und der Rolle der deutschen Bundesregierung, sowie der US-Administration darin gesetzt.

Nun muss man sich über die Verquickung von Politik, Wirtschaft und Journalismus nicht weiter wundern – schließlich sind alle drei traditionell aufeinander angewiesen. Ohne Anzeigen und Werbebeilagen könnten sich die Zeitungen und Zeitschriften keinen Bogen Papier leisten, auf dem die Botschaften der politischen Klasse unters Volk gebracht werden. Allerdings geht bekanntlich der Krug so lange zum Brunnen bis er bricht – oder, im übertragenen Sinne, schreiben und senden auch die Medien nur so lange gegen ihr eigenes Publikum an, bis dieses brechen muss.

Rebellion der Gelenkten

Will nur Frieden? Oder doch eigentlich was ganz anderes. Herr Mährholz spricht ... vermutlich über die FED

Nur so ist zu verstehen, was im März 2014 in Berlin begann und sich zwischenzeitlich – in unterschiedlicher Größenordnung - über dutzende Städte der Bundesrepublik ausgebreitet hat: Die „Montagsmahnwachen für den Frieden.“ Nun müssen einem weder Initiatoren noch Ur-Propagandisten der Berliner Mahnwache sympathisch sein. Ken Jebsen, vom RBB geschasster Radiomoderator und seither in eigener Mission als Welterklärer im Internet unterwegs, Jürgen Elsässer, ein Journalist, dem sein Mangel an Berührungsangst schon die verschiedensten, meist üblen, politischen Infektionen eingebracht hat und Lars Märholz, über den man wenig weiß, außer, dass er immer alle umarmen will – ein seltsames Gespann. Ebenso seltsam, wenn auch nicht neu, die von ihnen vorgetragene, personalisierte Kapitalismuskritik, die sich gern antisemitischer Stereotype bedient und den Kapitalismus als System der Ausbeutung daher hübsch negiert. Bemerkenswert ist aber, dass ihr Publikum mitnichten mehrheitlich aus Neonazis und Verschwörungstheoretikern besteht, wie sofort von Medien und – leider – auch vielen Linken behauptet wurde, sondern überwiegend aus schlicht verunsicherten Menschen, die nicht mehr daran glauben, dass die etablierten Parteien noch irgendeinen Einfluss auf die Dinge der Welt haben. Es wäre interessant zu wissen, wie groß der Anteil ehemaliger Wählerinnen und Wähler der LINKEN unter diesem Menschen ist.* Sicher: Wut und Verzweiflung machen anfällig für die absonderlichsten Theorien. Muss man nun die Verzweifelten dafür schelten oder eher jene, die ihre Verzweiflung produziert haben?

Haben Angst vor zu viel Verstrahlung. Gegenprotest am Rande der Montagsdemo in Halle

Das Imperium blökt zurück

Dass sich, örtlich unterschiedlich in Deutlichkeit und Zeitpunkt, die meisten Mahnwachen längst von Antisemitismus, Homophobie, Reichsbürgerei und ähnlichem Schwachsinn distanziert haben, spielt indes keine Rolle mehr. Es blieb einem Flaggschiff der Meinungflotten, Spiegel-TV, vorbehalten, die Schelte des Establishments in Bild und Ton als Reportage vom Potsdamer Platz vorzutragen, sich dabei des ältesten Rezeptes der Meinungsmache bedienend: Finde die Idioten und lasse sie im Namen der Nachdenklichen sprechen. Noch übler war nur die Anmoderation von Maria Gresz, seit nunmehr einem Vierteljahrhundert zuständig für die geistige Selbstbefriedigung vom Magister Artium aufwärts: „Gemeinsam ist allen dort, dass sie einen Hau haben.“ Offener lässt sich der Ekel der Eliten vor den Gemeinen nimmer zur Schau tragen. Gresz und Gauck – mehr als diese beiden Namen braucht es nicht, um die intellektuelle Niedrigkeit der deutschen Bourgeoisie im Jahre 2014 zu beschreiben.

Schlimm ist nur, dass es funktioniert und noch schlimmer ist, dass auch Teile der Linken vom Abscheu gegenüber ihren potentiellen Wählerinnen und Wählern befallen scheinen. Ohnmächtig gegenüber einem Aufbegehren, das nicht den gehobenen Ansprüchen emanzipatorischer Leitkultur entspricht, einigt man sich — ohne Absprache mit der Reaktion, aber sicher sehr zu deren Gefallen — auf das Totschlagen des Protestes, statt ihn zu prägen und ruft zum korrekten Protest auf, der schärfsten Waffe der post-sozialistischen Linken. Am 31. Mai sollte bundesweit und inhaltlich fundiert Rambazamba gegen den Krieg gemacht werden. Es kam nur kaum jemand und noch kaumer hat Spiegel-TV davon berichtet. Eher erinnerte das Ganze an Georg Christoph Lichtenbergs „Messer ohne Klinge, an dem der Stiel fehlt“. Der linke Hügel hatte gekreißt und eine Mücke geboren. Gauck und Gresz können zufrieden sein.

* Anm.: Der Text wurde eine Woche vor dem Erscheinen der Studie des Zentrums "Technik und Gesellschaft" der TU Berlin über die Teilnehmer_innen der Montagsmahnwachen in Berlin und vier anderen Städten geschrieben.