28.07.2014

Sprunghaft

Judith Butler, Athena Athanasiou, Die Macht der Enteigneten, Diaphanes, 270 S., 19,80 €

Bodo Niendel

Judith Butler*, Hebamme der Queer-Theory und Athena Athanasiou*, bedeutende feministische Philosophin aus Griechenland, diskutieren über Macht und Widerstand. Das Gespräch ist — sicherlich nicht ungewöhnlich für zwei Philosophinnen von diesem Kaliber — von hohem Abstraktionsniveau gekennzeichnet und findet doch vor einem sehr konkreten Hintergrund statt: der aufgezwungenen Austeritätspolitik Griechenlands und den unglaublichen Folgen dieser Politik für die Menschen in Griechenland. Armut, Entrechtung, Deregulierung der Ökonomie, (Total-)Abbau sozialer Sicherung, erstarken nationalistischer und faschistischer Kräfte, aber eben auch ein enormer Widerstand gegen eine Politik, die sich dem Diktat der EU und des IWF unterwirft, sind die Folie vor der dieses Gespräch stattfindet. Es ist kein Streitgespräch, vielmehr ergänzen sich die Beiträge, die versuchen „neue politische Strategien zu entwickeln, die der Enteignung durch Verschuldung begegnen“ (A.A.). Doch Enteignung wird nicht nur auf eine ökonomische Perspektive verkürzt. „An der Ökonomie ist nichts rein ökonomisch“, wie Athanasiou bemerkt, deshalb sind für beide Diskutantinnen die Situation von Transsexuellen und die hohe Jugendarbeitslosigkeit gleich bedeutsam. Rassistische Strukturen, kapitalistische Vergesellschaftung und Geschlechterverhältnisse sowie Sexualität werden zusammen gebracht. Von einer „Spielart des Marxismus (...), die weiterhin eine Unterscheidung zwischen wesentlichen und zweitrangigen Formen der Unterdrückung propagiert“ (J.B.) wird sich bewusst distanziert. Dieses Buch steht zugleich für eine bedeutsame Erweiterung im Werk Butlers, das sich in den letzten Jahren zunehmend mit dem Kapitalismus auseinandersetzt, dennoch geht es ihr darum, „darüber nachzudenken, wie eine Vorstellung erotischen >Zusammenseins< losgelöst und freigesetzt von Heteronormativität aussehen könnte“. Butler und Athansiou wollen kollektive Handlungsmacht stärken und Anerkennung unter den Bedingungen der Enteignung – die sie als Chance verstehen – neu denken.

„Eine der entscheidenden Herausforderungen, vor denen wir heute — theoretisch wie politisch — stehen, lautet, eine Politik der Anerkennung zu denken und voranzubringen, die sich mit der allgemeinen Wahrnehmung – sowie den Staats- und sonstigen Apparaten, in denen die herrschenden Mechanismen der Anerkennung monopolisiert sind – konfrontiert, sie infrage stellt und erschüttert.“ (A.A.)

Butler und Anthanasiou wollen das Politische zum Tanzen bringen und die Möglichkeiten einer neuen linken Politik ausloten - queerer Feminismus und Kapitalismuskritik bilden eine Melange. Auf der theoretischen Ebene gelingt es den Autorinnen spannende Akzente zu setzen, doch bei den Möglichkeiten kollektiver Handlungsmacht versagen sie aus meiner Sicht. Die subsumieren verschiedene Formen des Widerstands und feiern diese ab.

Nicht alle Formen der Entrechtung hat Prof. Butler immer auf dem Schirm

Hier wird nonchalant vom Widerstand gegen die „koloniale Besatzungsmacht“ (J.B.) Israel zur weltweiten Occupybewegung und den teils militanten Demonstrationen gegen die griechische Sparpolitik gesprungen. Gerade Israel gilt beiden als Staat, der für die schlimmste Form der Enteignung stehe. Das verstört, da Antisemitismus in diesem Gespräch überhaupt nicht zur Sprache kommt. Butler, die gern Adorno als Instanz heranzieht, aber auch Athanasiou müssten berücksichtigen, dass in der europäischen Geschichte in Krisenzeiten die Juden immer einer besonderen Gefahr ausgesetzt waren und dies gerade dieser Tage, da der Konflikt Israel/Gaza zum Anlass genommen wird, „gegen die Juden“ zu wettern.

Bodo Niendel, Referent für Queerpolitik der Bundestagsfraktion DIE LINKE und wissenschaftlicher Mitarbeiter von Harald Petzold, MdB

* Im Folgenden nach den Zitaten J.B. bzw. A.A.