Schwedens Demokraten vs Schwedendemokraten

Eine Historische Wahl mit bitterem Nachgeschmack

Henning Süssner Rubin
Schweden ganz unten: Bisschen angefressen!

In Schweden wurde am 14. September gewählt. Das erklärte Ziel der rot-grünen Oppositionsparteien einen Regierungswechsel nach acht langen Jahren wurde erreicht. Am 3. Oktober präsentierte der neue schwedische Ministerpräsident Stefan Löfven sein Kabinett. Die Erwartungen der schwedischen Linkspartei (Vänsterpartiet) auf eine rot-rot-grüne Regierung wurden jedoch bitter enttäuscht.

Im Jahr 2004 hatten die vier bürgerlichen Parteien des schwedischen Reichstags eine „Allianz für Schweden“ gebildet und schafften es 2006, die sozialdemokratische SAP nach zwölf Jahren von der Macht zu verdrängen. Vier Jahre später bildeten Sozialdemokraten (SAP), Grüne (Miljöpartiet) und Linkspartei eine rot-grüne Gegenallianz, schafften es jedoch nicht, die rechte Regierung Fredrik Reinfeldt zu besiegen.

Ziel erreicht – Reinfeldt weg

Das Ziel der Rotgrünen wurde also im September endlich erreicht. Die kleineren bürgerlichen Parteien – Christdemokraten, Liberale und Zentrumspartei – verzeichneten leichte Verluste.

Der große Verlierer der schwedischen Wahl war Reinfeldts konservative Partei (Moderaterna), die fast 7 Prozentpunkte verlor. Fredrik Reinfeldt gab deswegen schon am Wahlabend seinen Rücktritt als Regierungschef und seinen kompletten Rückzug aus der Politik bekannt.

Offensive Linke

Die Linkspartei hatte einen offensiven Wahlkampf geführt, der sich auf eine einzige Wahlforderung konzentrierte: Die Abschaffung von privaten Gewinnen im öffentlichen Sektor. Dank einer geschickten Wahlkampagne gehörte diese Frage zu einer der meist diskutierten im Wahlkampf. Gleichzeitig raubte jedoch eine andere Partei mit ausgeprägt linkem Profil Aufmerksamkeit. Die Feministische Initiative (FI) schien im Wahlendspurt durchaus Chancen zu haben, die Vier-Prozenthürde zum Reichstag zu nehmen. FI hatte im Europawahlkampf überraschend über 5 Prozent der Stimmen und ein Mandat in Brüssel geholt. Im Endspurt des Reichstagswahlkampfes sah man vor allem das populäre Sprachrohr der jungen Partei, Gudrun Schyman oft in den Medien.

Ungeliebte Feministinnen

Schyman ist keine Unbekannte für die Linkspartei. Sie war von 1993 bis 2003 Vorsitzende der Linken und maßgeblich daran beteiligt, dass die Partei sich seit dem Jahr 1995 als feministische Partei bezeichnet. Im Streit um das feministische Profil trat sie jedoch 2003 aus. Im April 2005 wurde sie eine der ersten Sprecherinnen der neu gebildeten Feministischen Initiative.

Die neue Partei wurde, nicht ohne Grund, mit Missmut von den früheren GenossInnen betrachtet. Programmatisch stehen sich beide Parteien nahe, wobei jedoch FI standfest behauptet, dass dies nicht der Fall sei. FI enttäuschte in den Wahlen 2006 und 2010, erhielt zuletzt bloß 0,4 Prozent der Stimmen, und schien dabei zu sein, sich aufzulösen. Nach der Europawahl im Mai setzten die Feministinnen Kurs auf den Reichstag. Dies geschah nicht zuletzt auf Kosten von Linkspartei und Grünen, deren Stammwähler eindeutig vom unorthodoxen und frechen Profil der FI angesprochen wurden.

Place to be für Linke? Das war einmal

Linke Erwartungen

Die letzte Phase des Wahlkampfes wurde deswegen von Unruhe im linken Lager geprägt. In den Wahluntersuchungen lag die Linkspartei lange bei 6-8 Prozent. Es wurde sogar von einem bevorstehendem „Linksruck“ gesprochen. Dementsprechend waren die Erwartungen am Wahlabend trotz alledem hoch bei der Wahlfeier der Linken.

Ihr Vorsitzender Jonas Sjöstedt machte keinen Hehl daraus, dass seine Partei gerne eine neue regierende Koalition mit Sozialdemokraten und Grünen bilden wolle.

Der sozialdemokratische Spitzenkandidat Stefan Löfven hatte jedoch schon vor der Wahl mitgeteilt, dass er lieber bloß mit den Grünen eine Koalition bilden wolle. Das mit bloß 5,7 Prozent zum Schluss enttäuschende Wahlergebnis der Linkspartei führte schnell dazu, dass man schon ein paar Tage nach der Reichstagswahl den Medien entnehmen konnte, dass Löfven der Linkspartei die kalte Schulter zeigen würde. Die Partei wurde noch nicht einmal zu Sondierungsgesprächen eingeladen.

Schwedendemokraten schaffen Durchbruch

Unerwartet kam diese Entwicklung nicht. Die parlamentarische Lage in Stockholm ist nämlich kompliziert, was am eigentlichen Gewinner der Wahl liegt, den rechtspopulistischen Schwedendemokraten (Sverigedemokraterna). Die Partei, die 1988 als offen rechtsextreme Partei gebildet und noch bis 2002 weit von jeglichen parlamentarischen Erfolgen entfernt war, erzielt am 14. September ihren endgültigen parlamentarischen Durchbruch. Nachdem die Rechtspopulisten in der letzten Wahl mit 5,7 Prozent der Stimmen erstmals den Einzug in den Reichstag halten konnten, sind sie jetzt mit nahezu 13 Prozent der Stimmen und 49 Mandaten Schwedens drittgrößte Partei.

Und damit das Zünglein an der Waage im Reichstag. Weder die ehemaligen Regierungsparteien noch die rot-grünen Parteien haben eine Mehrheit im Reichstag. Niemand will (bislang) mit den Rechtsextremen zusammen arbeiten, gleichzeitig ist die Zusammenarbeit über die so genannte „Blockgrenze“ noch kompliziert. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass die in den letzten 15 Jahren nahezu wasserdichte „Blockpolitik“ im schwedischen Reichstag bald der Geschichte angehört.

Auch wenn es schon vor der Wahl 2006 in der Praxis zwei politische „Blöcke“ gab, so war das eigentliche Epizentrum der Reichstagspolitik immer die SAP, die kein Interesse daran hatte, sich langfristig oder zu fest an bestimmte politische Partner zu binden. Stattdessen wurden die kleineren Mitte-Parteien und die Opposition links der Sozialdemokratie regelmäßig gegeneinander ausgespielt, und somit die konservative Rechte lange von der politischen Macht ferngehalten. In der Konsequenz regierten sozialdemokratische Regierungen jahrzehntelang entweder mit eigenen Mehrheiten oder eben in Minderheit, indem sie mit bürgerlichen Mitte-Parteien verhandelten bzw. sich von Abgeordneten der Kommunisten/Linkspartei[1] tolerieren ließen.

Rot-grüne Minderheitenregierung

Was jetzt geschieht ist jedoch historisch: Stefan Löfvens Sozialdemokraten und die schwedischen Grünen bildeten am 3. Oktober eine Minderheitenregierung. Das ist die erste sozialdemokratische Koalitionsregierung seit 1957. Die Regierung Löfven wird es jedoch nicht leicht haben. Die rot-grüne Regierungskoalition in Stockholm hat bloß 138 von 349 Abgeordneten des schwedischen Reichstages hinter sich. Um Abstimmungen zu gewinnen bedarf es im Prinzip der Unterstützung von mindestens zwei anderen Parteien, da eine Zusammenarbeit mit den Konservativen, der größten bürgerlichen Partei und dem Konkurrenten um die Regierungsmacht, ausgeschlossen erscheint.

Dass Löfvens Sozialdemokraten nicht besonders an einer engeren Zusammenarbeit mit der Linkspartei interessiert sind, liegt teils daran, dass die Unterstützung der Linkspartei nicht ausreicht, um einen parlamentarische Mehrheit zu erlangen. Und mit der Linkspartei in einer Koalition wäre eine Zusammenarbeit mit den bürgerlichen Mitte-parteien nahezu unmöglich.

Linkes Dilemma

Es dürfte ein Teil von Lövens Kalküls sein, dass die Abgeordneten der Linkspartei eine rotgrüne Regierung nicht abwählen werden. Die Alternative wären Neuwahl und das Risiko, dass womöglich eine rechte Regierung wieder an die Macht gelangen könnte. Dies ist ein altes Dilemma der Partei. So hätte die Linkspartei z.B. in den 1970er-Jahren sozialdemokratische Kabinette stürzen können. Dazu ließ man es aber nie kommen, da dies einer Rechtskoalition den Weg an die Regierungsmacht ermöglicht hätte.

Das Wissen um dieses politische Dilemma der Linken ermöglichte den jeweiligen sozialdemokratischen Regierungen, politische Kompromisse in Fragen von größerem Gewicht mit der bürgerlichen Mitte einzugehen, beispielsweise, um die parlamentarische Durchsetzung wirtschaftlicher Strukturreformen zu sichern. Und genau dies dürfte Stefan Löfven auch diesmal versuchen – die Unterstützung der Linkspartei ist unter diesen Bedingungen leicht zu bekommen. Eine erste Hürde muss die neue schwedische Regierung allerdings noch nehmen: Sollten die Schwedendemokraten für den Haushalt der bürgerlichen Parteien stimmen, stünden vermutlich Neuwahlen an. Stefan Löfven nimmt es scheinbar leicht: „Wir können lediglich einen Haushalt präsentieren, von dem wir ausgehen, dass er im Parlament Unterstützung findet. Wie die Schwedendemokraten am Ende abstimmen werden, können wir nicht wissen.“

Henning Süssner är en svensk politiker (vänsterpartist) och historieforskare. 1995 flyttade han till Sverige. 1998 blev han förbundssekreterare i Ung Vänster efter Kalle Larsson. Är sedan augusti 2007 rektor för Kvarnby folkhögskola.

[1] Die Linkspartei (Vänsterpartiet) wurde im April 1917 als Schwedens sozialdemokratische Linkspartei (SSV) gegründet und schloss sich 1919 der Kommunistischen Internationale an. Mit der Annahme der berüchtigten 21 Thesen der Komintern wurde die Partei 1921 zu Schwedens Kommunistischer Partei (SKP). 1967 wurde die Partei in „Linkspartei-Kommunisten” (VPK) umgetauft, 1990 erfolgte schließlich die Umbenennung in Linkspartei.