Die Zukunft des Produzierens

Anke Domscheit-Berg

Zwei große industrielle Revolutionen haben in unserer Geschichte zu enormen Veränderungen der Gesellschaft geführt. Jede von ihnen zeichnete sich durch das Zusammentreffen neuer Technologien zur Energiegewinnung und zur Kommunikation aus. Die erste dieser industriellen Revolutionen verband die Energie aus Dampfmaschinen mit der leichten Verbreitung von Informationen durch die frühere Erfindung des Buchdrucks. Die zweite industrielle Revolution folgte aus der Kombination fossiler Energiequellen (Öl, Gas) mit der “elektrischen” Kommunikation, wie Telefon, Fax, Fernsehen und Radio.

Jede dieser Energie-Kommunikations-Technologie Kombinationen veränderte radikal die Art und Weise, wie Menschen lebten und arbeiteten, wie sie Wissen sammelten, kulturelle Werte schufen und verbreiteten, wie Güter und Dienste entstanden und vertrieben wurden. Jede dieser industriellen Revolutionen brachte eine Demokratisierung des Zugangs zu Informationen, Wissen und Kultur mit sich. Mit dem Buchdruck entstanden nicht nur preiswertere Bücher, sondern auch Pamphlete und Flugblätter. Mit der elektrischen Kommunikation konnte jeder Mensch zum Empfänger von Nachrichten, Botschaften, Kultur aus aller Welt werden. Der Zugang zu Licht und Wärme hob den Lebensstandard an. Jedes Mal verlief der Wandel nach dem Muster einer Gausschen Glockenkurve. Nach den Neuentdeckungen im Feld der Energie und Kommunikation entstanden langsam erste Veränderungen. Aber wenige Jahrzehnte später folgte der Durchbruch, in dessen Folge Unternehmen der jeweils alten Zeit ein Massensterben erlitten oder radikale Transformationen durchlebten. Junge Unternehmen in ganz neuen Branchen sprossen dagegen wie Pilze aus dem Boden und boten vielfältige Berufsbilder, die es zuvor nicht gegeben hatte. Andere Berufe starben aus.

Aus Pferden werden Klepper

Machtverhältnisse verschoben sich, Eigentum verteilte sich um, es gab Verlierer und Gewinner – überall. Auf ihrem Zenit gab es gewaltige Anhäufungen von Macht und Profit, die sich dort konzentrierten, wo man früh genug auf das richtige Pferd gesetzt hatte. Aber irgendwann gab es die nächsten bahnbrechenden Erfindungen in der Energie- und Kommunikationstechnologie und alte Machthaber klammerten sich an ihre Pferde, die über Nacht zu Kleppern geworden sind. Man kann solche Veränderungen nicht aufhalten. Aber man kann sie rechtzeitig erkennen und ihre Potenziale gut nutzen.

Wieder einmal erleben wir das Ende einer industriellen Epoche, nennen wir sie das Fossile Zeitalter. Die neue, nunmehr 3. industrielle Revolution, vereint den Durchbruch zu erneuerbaren Energiequellen mit dem Siegeszug des Internets und dem Umbau hin zu einer digitalen Gesellschaft. Wie unsere Vorfahren können wir uns wohl kaum ganz vorstellen, wie groß die Veränderungen unserer Gesellschaft sein werden. Aber einiges erleben wir bereits jetzt – ganz am Anfang dieser Gauss’schen Glockenkurve.

Noch nie hatten Menschen überall auf der Welt einen so umfassenden und einfachen Zugriff auf den Wissensschatz und die Kultur der gesamten Menschheit. Beides sind Quellen für unsere Kreativität, notwendig für die Entstehung und Nutzung guter Ideen für die Lösung von Problemen. Mit dem Internet können wir schnell und einfach solche Lösungen überallhin verbreiten. Die Probleme der Gegenwart sind längst existenziell geworden. Wir erleben die Folgen des Klimawandels, der nicht nur unseren Fortbestand gefährdet, sondern Biotope mit Flora und Fauna überall auf der Welt. Seine Folgen treffen zuerst die Schwächsten, die heute schon vielerorts ihre Lebensgrundlagen verlieren. Wenn eines ohne Zweifel ist, dann der Fakt, dass wir nicht so weiter machen können wie bisher. Wir müssen die Art und Weise wie wir leben und arbeiten fundamental verändern. Die Dritte Industrielle Revolution kommt vielleicht gerade noch rechtzeitig, um im Zuge der rasant ansteigenden Veränderungskurve die notwendige Kehrtwende zu schaffen und unseren Planeten zu retten.

Aus 2D wird 3D

Eine ihrer radikalen Veränderungen wird der Siegeszug des 3D-Druckers sein. Mit ihm gibt es ein universelles Produktionsmittel, das aus den vielfältigsten Materialien alles Mögliche herstellen kann, nach oft frei verfügbaren Designs und unter Wegfall komplizierter Logistik um den halben Erdball. Gerade erst fuhr das erste 3D-gedruckte Auto über die Straßen von Chicago. Es wurde in 44 Stunden nach einem italienischen Open Design gedruckt, besteht statt aus 5.000 Teilen nur noch aus 49 und fährt mit Strom fast 200 km weit. In ein bis zwei Jahren kann man es frei kaufen. Jedes einzelne kann anders aussehen, es wird unter 18.000 $ kosten und von da an kontinuierlich billiger werden. Jeremy Rifkin, Ökonom und Autor, spricht sogar von einer Null-Grenzkostengesellschaft als Folge der Dritten Industriellen Revolution, von einer Produktion, bei der nur noch Fixkosten anfallen ohne nennenswerte Stückkosten. Beispiel Energie: wer eine Solaranlage einmal bezahlt hat, erhält künftig Strom praktisch kostenlos, denn die Sonne schickt keine Rechnunen. Wissenschaftler*innen haben aus Abfall-Hanffasern bereits Superenergiespeicher gebaut, die die Leistung von Graphene übertreffen aber nur noch einen Bruchteil kosten. Der rasante Verfall von Stückkosten durch Innovationen gehört längst zum Alltag.

Die erste Straßenbahn aus dem 3D-Drucker

3D-Drucker können schon heute da den Zugang zu Produkten ermöglichen, wo konventionelle Systeme versagen. Ein Vater in den USA konnte aufgrund fehlender Krankenversicherung keine Handprothese für seinen Sohn bezahlen. Er lernte den Umgang mit Designprogrammen, studierte alle möglichen Prothesen online und entwickelte eine eigene, die er für seinen Sohn in einem online 3D-Druckshop drucken ließ. Sein Sohn kann nun endlich auch Fahrrad fahren. Man kann sich sehr leicht vorstellen, wie die Versorgung allein mit Prothesen in vielen Teilen dieser Welt Menschen ein würdevolleres Leben ermöglichen könnte. Mit offenen Designs, die sich jeder herunterladen kann und künftig 3D-Druckshops an jeder Ecke, da wo es heute einfache Copyshops gibt, wird aus dieser Vision eine realistische Möglichkeit, umsetzbar in wenigen Jahren. Schon heute kann man online ein Wunschdesign hochladen und das gedruckte Werk überall hin schicken lassen. Ersatzteile, Werkzeuge, Haushaltsgeräte, Spielzeug – alles läßt sich schon heute drucken.

Aus Konsumenten werden Prosumenten

In China druckt man geräumige und solide Häuser aus Papier, für unter 5.000 Dollar Stückkosten, 10 Häuser pro Tag. Es gibt kaum noch Materialien, die sich nicht in einem der vielen 3D-Druck Verfahren verwenden lassen. Kaum unmögliche Anwendungsfelder. Neue Ohren lassen sich aus körpereigenen Zellen drucken, Implantate aus Silikon, Stromkreise aus leitfähigem Material. Heute werden schon Blutadern gedruckt, morgen vielleicht schon Organe. Und das alles ist erst der Anfang.

Plastik und Bioplastik, Keramik, Metalle, Polycarbonate, Wachs, Papier, selbst Nutella und Teig kann man in 3D-Druckern verarbeiten. Der Deckel von der Kamera ist verloren gegangen? Noch ist das ein Riesenärgernis. Man bezahlt ein Heidengeld beim Hersteller und bekommt nach langem Warten einen Ersatzdeckel vom anderen Ende der Welt geschickt. Bald erwerben wir für einen kleinen Geldbetrag die Designdatei für den Deckel und drucken den Deckel selbst aus, vielleicht sogar in rot, damit wir ihn schneller wiederfinden. Wir müssen nichts mehr wegwerfen, nur weil ein kleines Teil aus einem großen Ganzen zerbrochen ist. Wir drucken es uns neu. Riesige Datenbanken mit offen nutzbaren 3D-Druckdesigns entstehen, das Thingiverse[1] ist nur eine davon.

Wie finden das wohl die großen Unternehmen, wenn auf einmal aus den Konsumenten echte Prosumenten werden? Was heißt es, wenn jeder von uns Zugang zu Produktionsmitteln haben kann, die beliebige Dinge produzieren können? Ich glaube, dass diese Entwicklung eine Möglichkeit sein kann, den Kapitalismus in die Schranken zu weisen, ja vielleicht sogar in ein Nischendasein zu verdrängen. Goodbye Capitalism, hello Shareconomy!

Das gesellschaftsveränderde Potenzial des 3D-Drucks wird erst dann wirklich ausgenutzt, wenn es mit einer ressourcenschonenden Shareconomy und einem “Commonismus” kombiniert wird. Nicht jeder ist ein geborener Designer, aber wenn es ein Wikipedia der freien 3D-Designs gibt, ist das auch nicht nötig. Nicht jeder kann oder will sich einen 3D-Drucker anschaffen, aber Communities können sich gemeinsam einen teilen. So wie es in Großstädten heute schon Makerspaces gibt, mit Werkstätten, die man für alles Mögliche nutzen kann, so kann es in ein paar Jahren 3D-Druck-Werkstätten geben – inklusive Recycling Kreislauf. Neben dem Internet der Kommunikation wird ein Produktionsmittelnetzwerk entstehen, das eine Demokratisierung der Produktion bedeutet, wie sie bisher nie möglich war – mit enormen Chancen für mehr Lebensqualität überall auf der Welt, in einer Gesellschaft, in der nicht mehr der Profit für Unternehmer den Grad und die Qualität der Versorgung bestimmt.

Anke Domscheit-Berg [2]war Vorsitzende des Landesverbandes Brandenburg der Piratenpartei[3]. Im September 2014 trat sie aus der Partei aus. In diesem Jahr ist ihr Buch Mauern einreißen! Weil ich glaube, dass wir die Welt verändern können.

Links:

  1. http://www.thingieverse.com/
  2. http://ankedomscheitberg.de
  3. http://de.wikipedia.org/wiki/Piratenpartei_Deutschland