Grenzen als Konfliktfeld

Rezension des jüngst erschienen Sammelbands Grenzregime II

Lena Kreck

„Die europäischen Grenzen sind dicht“ ... Wenn wir uns gegen die europäische Abschottungspolitik wenden, erzeugen wir oft das Bild von der einen, unüberwindbaren Grenze. Sie ist physisch, wir stellen sie als Stacheldrahtzaun dar oder zeichnen das Mittelmeer als tiefen, todbringenden Graben. Und wir haben damit ja nicht unrecht: Wiederholt haben Flüchtlinge versucht, etwa den Grenzzaun zum spanischen Melilla zu überwinden. Und die tausende im Mittelmeer Ertrunkenen sprechen eine eigene, klare Sprache des Unfassbaren.

Mit Grenzregime II ist ein Sammelband erschienen, der verstehen lässt, dass „Grenze“ dennoch nicht ohne weiteres mit „Territorialgrenze“ gleichzusetzen ist. Grenzen sind auch a-territorial und sie sind Gegenstand von Kämpfen.

In dem ersten Teil des Bands – er befasst sich mit der Externalisierung der Migrationskontrolle – werden Migrations(steuerungs)politiken mit Wirtschafts- und Entwicklungspolitik sowie der Militär-/Sicherheits-/Gefängnisindustrie in Zusammenhang gedacht. Migration wird im Kontext von Rassismen und Einschluss als Disziplinierung betrachtet. Anhand der Türkei wird verdeutlich, dass „Transitländer“ mehr sind als flüchtige Stationen und wie sie von Migrant_innen geprägt werden. Und es werden Geschichten vom Scheitern erzählt. Grenzregime II bemüht sich, Migration und Migrationspolitiken global in den Blick zu nehmen – Mali, Mexiko, Türkei, Griechenland, Äthiopien sind Orte, an denen sich die berichtenden oder untersuchten Migrant_innen befinden – und es kommen im gesamten Buch als Autor_innen nicht nur Wissenschaftler_inne aus dem deutschsprachigen Raum zu Wort.

Wie wird Wissen über Migration und Grenzen produziert? fragt der zweite Teil des Sammelbands. Die Beiträge verdeutlichen, wie zentral die Rolle der Internationalen Organisation für Migration (IOM) und vergleichbarer Institutionen ist, die über die durch sie finanzierte Studien zwei Bilder erzeugen: Jene der idealen und jene der unproduktiven Migrant_innen. Dabei wirkt sich das Schreckensbild von irregulärer Migration auf Migrationspolitiken aus, ohne zu reflektieren, dass irreguläre Migration selbst ein Produkt von Migrationspolitik ist.

Falsches Bild der Festung Europa

Der aus meiner Sicht besonders geglückte dritte Teil knüpft an Forschungen von acts of citizenship an. Bürger_innenschaft wird hier als permanente politische Praxis verstanden, die schon immer mit politischen Kämpfen um Rechte verbunden war. Die migrantischen Aktivist_innen, die in den letzten Jahren in Deutschland für ein Bleiberecht stritten, brechen mit der Ordnung der Politik. Sie brechen Gesetze, um sie zu verändern. Hier knüpft der Sammelband an das Konzept der Autonomie der Migration an und versucht über differentielle Inklusionen die Augen für die „erstaunliche Anwesenheit von Migrant_innen im europäischen Raum“ (S. 243) zu öffnen.

Zuletzt diskutieren Wissenschaftler_innen ihre eigenen Methoden einer aktivistischen oder partizipatorischen Forschung. Während der Rest des Sammelbandes auch für Leser_innen jenseits der Wissenschaft gut lesbar und gewinnbringend ist, schließt er mit einem Selbstbezug und wendet sich an ein sozialwissenschaftliches Fachpublikum. Der Beitrag zur kritischen Kartografie rahmt dabei allerdings den Sammelband, indem er verdeutlicht, inwiefern „Mapping dem Territorium vorausgeht“ (S. 301).

Insgesamt ist der Sammelband auch jenen zu empfehlen, die sich politisch mit Migration und Migrationspolitiken befassen. Er zeichnet nicht das Bild von Migrant_innen als Opfer, sondern zeigt sie als eigensinnige Subjekte, die einem perfiden, schwierig zu durchschauenden und permanent umkämpften System der Grenzziehung gegenüber stehen.

Heimeshoff, Lisa-Marie; Hess, Sabine; Kron, Stefanie; Schwenken, Helen; Trzeciak, Miriam (Hg.) (2014): Grenzregime II. Migration – Kontrolle – Wissen ; transnationale Perspektiven: Berlin : Assoziation A, 2014.