Der nächste Arbeitsplatz

Dietmar Dath
Die Zukunft ist eine junge Frau mit irritierend alten Augen

Die Zukunft ist eine junge Frau mit irritierend alten Augen – so jedenfalls hat sie ein mit ihr gut bekannter Fuchs beschrieben, dessen Namen ich nicht hinschreiben darf, sonst beißt er mich. Viele Menschen, Männer und Frauen, sind in diese junge Frau verliebt und erwarten von ihr dafür Geschenke, zum Beispiel mehr Freiheit, mehr Wohlstand, mehr Sicherheit. Befreit vom Zwang zur Knochenarbeit durch Roboter, befreit vom Unberechenbaren durch Rechner, befreit von Angst durch Planung: Das ließe sich machen, bis zu einem gewissen Grad. Der lässt sich sogar verschieben bis an die Grenze, an der dann leider Eigenschaften der Welt greifen, die nicht ganz so elastisch sind, wie magisches Denken vermutet. Ein magisches Denken, das sich für technisches Denken hält, ist derzeit mal wieder weit verbreitet. Dieses Denken fällt seit Jahrtausenden immer wieder auf die Schnauze: Die Landwirtschaft, als sie erfunden war, hat nicht nur von der Futtersuche befreit, sondern die Grundherrschaft ermöglicht, die Druckerpresse hat nicht nur die freie Meinungsäußerung und die Wahrheitssuche erleichtert, sondern auch die Reichweite und Haltbarkeit von Lüge und Irrtum vergrößert, und die Dampfmaschine hat den Arbeitstag nicht für alle verkürzt, sondern für viele verlängert und für einige – einerseits die Reichsten, andererseits die Arbeitslosen – weitgehend gestrichen. So geht das weiter, so wird das immer weitergehen, wenn man der jungen Frau nicht endlich in ihre irritierend alten Augen guckt, um zu erraten, was sie wirklich denkt. Solange man das nicht tut, gibt’s keinen Kuss von ihr. Ich könnte hier – und habe das in dicken Büchern getan, die manche und mancher kauft, kaum jemand liest und über deren Inhalt die Literaturkritik, soweit sie sich äußern wollte, unfassbare, sehr lustige Themaverfehlungen abgesetzt hat - eine Welt ausmalen, in der Roboter tatsächlich alles das übernähmen, was an der Arbeit nicht menschenwürdig ist, aber Roboter haben immer nur Manipulatoren (etwa Arme), Effektoren (etwa Zangen oder Hämmer oder Keile oder Sägen), Kontrollelemente, Aktuatoren, Sensoren, Prozessoren und Software, aber kein Bestreben, irgendwen von irgendwas zu emanzipieren. Ich könnte auch – und habe das in dicken Büchern getan, siehe oben – eine Welt ausmalen, in der Rechner das Langweilige am Planen und Abwägen übernähmen, so dass es dem menschlichen Geist vorbehalten bliebe, die faszinierende Landschaft, die wir Raumzeit nennen, in neue, wohnliche, faszinierende Gebilde zu zerlegen, auf deren konvexen Hüllen sich ganz neue Geschichten erzählen und leben ließen – aber Rechner können derzeit (und wohl noch eine ganze Weile, wenn ich mir die alten Augen der Zukunft so ansehe) das logisch Unerlaubte nicht. Zum logisch Unerlaubten aber gehört nun mal das Wichtigste, was Menschen leisten müssen, wenn sie frei, gerecht und solidarisch leben wollen, nämlich der Schritt vom Sein zum Sollen, vom schlechten Sachverhalt zur Verwirklichung der guten Absicht, vom Erkennen zum Handeln.

Freiheit ist ein bewegliches Verhältnis von Vertikale und Horizontale. Ob das die Bewohner dieses Hauses auch so sehen?

Neulich bot mir eine reiche Firma, die für andere reiche Firmen und reiche Einzelpersonen Möbel herstellt, tausend Euro, damit ich in einem Prospekt jener Firma ein Möbelstück lobe, das ein kluger Designer für sie erfunden hat. Ich hielt das Möbelstück tatsächlich für eine Verbesserung des Büroalltags und schrieb einen Text, in dem unter anderem stand:

„Freiheit ist ein bewegliches Verhältnis von Vertikale und Horizontale.

Wer an einem Laptop sitzt, der auf einem Schreibtisch aus Ebenholz mit Messingbeschlägen liegt, dessen Tischplatte, die auf geschweiften Beinen steht, einen Einsatz aus Leder mit Goldprägung aufweist, ist vielleicht reich, aber nicht frei. Wenn man an so einem Monster viele Stunden mit Arbeit verbringt, fängt man sich einen Bandscheibenschaden und einen Tunnelblick. Der Aufwand, der nötig wird, die gesundheitlichen Folgen zu bezahlen, die ein auf diese Art fixiertes Verhältnis zwischen den Arbeitsmitteln und der Arbeit selbst hat, gehört zu den heute unerwünschten Lohnnebenkosten. Unternehmen, das heißt Einrichtungen, die davon leben, dass Menschen die Arbeitskraft anderer Menschen kaufen, wollen keine Bandscheibenschäden, keinen Tunnelblick. Die Leute, die für solche Unternehmen arbeiten, sollen ja keine reichen Wracks, sondern flexible Module sein, die sofort aufstehen, wenn die Arbeit, ein derzeit sehr flüchtiger Vogel, nach oben abhaut ins Virtuelle, und die sich schnell bücken, wenn die Arbeit nach unten entwischen will, ins Verteilte, Soziale, Auseinanderdiffundierte.“

Die Firma ließ mir ausrichten, so könne das in ihrem Prospekt nicht stehen, denn durch die Bemerkungen über sinnlosen, aber unfreien Luxus werde die reiche Kundschaft „an den Pranger gestellt.“

Ich wunderte mich sehr über diese Wortwahl – ist der Pranger nicht im Mittelalter zuhause? Was macht er denn plötzlich in einer Ideologie, mit der sich Designfirmen des 21. Jahrhunderts ihr schlechtes Gewissen ausreden wollen, das ihnen heimlich zusetzt, weil sie ahnen, dass ihre Kundschaft einen idiotischen Begriff von Reichtum hat, und einen noch idiotischeren von Arbeit, und den alleridiotischsten von der Zukunft dieser Arbeit? Ich zog den Text selbstredend zurück.

Na, schon gemerkt? Nochmal hinsehen! Was ist das? Richtig: In den alten Augen der Zukunft blitzt eine tiefe Ironie, die man nicht unterschätzen sollte.