25.11.2014

Ein bisschen Volksaufstand

Hausbesetzungen legalisieren

Marco Höne

Der Wohnungsmarkt versagt. Zeit ihm ein Stück libertärer Sozialpolitik entgegenzusetzen. Hausbesetzungen sollten in einem legalen Rahmen möglich sein, um Leerstände sinnvoll zu sanktionieren.

Die unsichtbare Hand des (Wohnungs-)Marktes bringt Angebot und Bedürfnis nicht in Einklang. Die gestiegene Nachfrage hat zu höheren Preisen geführt. Die Generierung eines zusätzlichen Wohnungsangebotes, blieb in Relation zu der Nachfrage hingegen aus. Der in den vergangenen zwei Jahrzehnten geförderte Wohnungsmarkt versagt.

Da Wohnraum eher ein Sozialgut als ein Wirtschaftsgut sind, waren in der Nachkriegsgeschichte (West-)Deutschlands Hausbesetzungen immer wieder ein Ventil der Auseinandersetzung um das Grundbedürfnis Wohnen. In den 70ern zogen ausgehend vom Frankfurter Stadtteil Westend Studierende, ErzieherInnen und auch Heimkinder los, um sich inmitten spekulationsgeleiteter Abrisse selbstverwaltete Freiräume zu schaffen. Zugleich wehrten sich GastarbeiterInnen und MigrantInnen gegen horrende Mieten für heruntergekommene Unterkünfte.

In den 80ern wurde dann Westberlin aber auch z.B. die Hafenstraße in Hamburg zum Dreh- und Angelpunkt der so genannten Instandbesetzungs-Bewegung. Häuser die absichtlich ihrem Abriss entgegengammelten, wurden von Aktivisten wieder nutzbar gemacht, um so gegen eine Stadtentwicklung zu demonstrieren, die sich auf gehobenes Wohnen und protzige Geschäftszentren fokussierte.

Besetztes Haus in Ostberlin 1990

Auch in der DDR waren Besetzungen von leer stehenden Altbauwohnungen ein weit verbreitetes Mittel der Selbsthilfe gegen die Mängel der staatlichen Wohnraumlenkung. Die kommunalen Wohnungsverwaltungen duldeten das Schwarzwohnen häufig und vergaben nachträglich Mietverträge, wenn Mietzahlungen nachgewiesen werden konnten. Nach dem Fall der Mauer wurde das Rechtsvakuum genutzt, um sich weitere Freiräume in Ostberlin, in Leipzig, aber auch in vielen kleineren Städten anzueignen. Aktuell kann nicht von einer Massenbewegung gesprochen werden. Aber nach wie vor finden Besetzungen statt. 2012 besetzten Pankower Senioren ihren Freizeittreff „Stille Straße“, um ihn vor der Schließung zu bewahren. Sechs Aufmüpfige hatten fast vier Monate in den Räumen campiert. Seit 1989 ist ein Restgebäude des ehemaligen Flora-Theaters im Hamburger Schanzenviertel besetzt, ursprünglich um den Neubau eines noblen Musicaltheater zu verhindern. Überhaupt Hamburg: von 2009 bis 2014 gab es hier 22 Besetzungen.

Der Blick auf Gegenwart und Geschichte zeigt ein gemeinsames Motiv auf. Hausbesetzungen thematisieren Verdrängungsmechanismen in der Stadtentwicklung und schaffen praktisch Schutzinseln für Kultur und Menschen mit niedrigem Einkommen im Sturm einer forcierten Gentrifizierung. Hausbesetzungen entziehen Wohnraum der Verwertungslogik eines versagenden Marktes und versuchen Bedarfsgerechtigkeit herzustellen. Protest und Kreation gehen dabei Hand in Hand. Hausbesetzungen können damit ein wünschenswerter Beitrag zu gerechter Stadtentwicklung sein.

Strafrechtlich wird Hausbesetzung weniger euphorisch gewertet. Hausbesetzungen sind in Deutschland Hausfriedensbruch nach §123 Strafgesetzbuch. Ein Jahr Haft oder eine Geldstrafe drohen. BesitzerInnen haben zudem nach BGB Anspruch auf Beseitigung der „Besitzstörung“.

Abseits des rechtswissenschaftlichen Mainstreams ist eine lebendige Diskussion zu finden. Soviel: Es gibt Stimmen, die einen Leerstand nicht als befriedetes Eigentum verstehen und Stimmen, die auch einem fehlerhaften Besitz aufgrund seiner direkten Sachherrschaft das Hausrecht zusprechen, dessen Schutz der § 123 dient.

Krake eignet sich leerstehenden Wohnraum an

Derlei Spitzenfindigkeiten sollen der juristischen Fachliteratur überlassen bleiben. Wir sollten uns legislativ bewegen. Vor wenigen Wochen traf sich in Hamburg die Hausbesetzerszene zu den „Squatting Days“. Eine dort gemachte Forderung sollte mehr Beachtung finden: Hausbesetzungen legalisieren. So eine Forderung führt schnell zu Abwehrreflexen, da sie die Eigentumsfrage in den Blick rückt. Sozialistische Utopie ist das Ganze aber nicht. Im Oktober 2010 führten die Niederlande ein Gesetz ein, das Hausbesetzung mit einem Jahr Haft sanktioniert. Davor war es unter bestimmten Voraussetzungen geduldet, Wohnraum zu besetzen. Dazu gehörte der Leerstand des Hauses über mindestens ein Jahr, wenn nicht nachgewiesen werden konnte, dass das Objekt in Kürze wieder in Gebrauch genommen bzw. vermieten wird. Erst dann konnte geräumt werden. Das „Kraken“ war in den Niederlanden lange als probates Mittel gegen Spekulation und Wohnungsnot angesehen.

Am 27. Oktober waren auf Leerstandsmelder.de in Hamburg 851, in Berlin 567, in Bremen 696, in Frankfurt 536 und in Stuttgart immerhin auch noch 163 Leerstände gemeldet. Eine Legalisierung von Hausbesetzungen wird die neue Wohnungsnot nicht beseitigen, aber Hausbesetzungen können ein Teil der sozialpolitischen Stadtentwicklung sein. Sie können mehr als jedes zentralistische Regierungshandeln akute Probleme in einer Stadt sichtbar machen und unmittelbar korrigieren.

Die Menschen müssen nicht passiv den fehlgeleiteten Gesetzen des freien Marktes ausgeliefert sein. Leerstand muss sanktioniert werden, um schädliche Spekulation zu behindern. Hausbesetzungen haben einen doppelt positiven Effekte: Es wird Wohn- und Freiraum, aber auch ein Anreize für EigentümerInnen Leerstand zu beenden geschaffen.

Das Marktversagen dieser Tage beweist, dass wir die Ökonomisierung der Wohnungsfrage nicht als selbstverständlich hinnehmen dürfen, das es aktiv zu hinterfragen ist, wenn wenige Spekulanten mit den Bedürfnissen der vielen Kasse machen und scheinbar niemand Wohnen als effektives Grundrecht diskutieren mag. Ein bisschen Volksaufstand kann da nicht schaden.