07.01.2015

Guiseppe Fiori – Das Leben des Antonio Gramsci. Eine Biographie, Rotbuch 2014

Bodo Niendel

Die Leserinnen und Leser des Werks von Antonio Gramsci haben es schwer mit diesem sperrigen Denker umzugehen. Wurde und wird er doch von den unterschiedlichsten gesellschaftlichen Kräften für sich beansprucht. Der verstorbene Sozialdemokrat Peter Glotz berief sich auf ihn, der ehemalige Grüne Bundesumweltminister streut ihn schon mal in seine Reden ein und selbst die nur kaschierten Rechtsextremisten der sogenannten „Neuen Rechten“ berufen sich seit Jahrzehnten auf ihn. Das Hauptwerk dieses marxistischen Philosophen sind seine Gefängnishefte, unter größter Mühe verfasste kurze Notizen. Doch diese sollten eine Sprengkraft haben, die ihn aus dem Korsett des Marxismus-Leninismus, also der verkürzten und zurechtgebogenen Rechtfertigungslehre – der noch so schlimmsten Verbrechen – die unter Stalin ihre Blüte feierte und in dessen Ära Gramsci eingekerkert war, befreien. Die endlich wieder lieferbare und neu editierte Biographie von Guiseppe Fiori hilft, sich diesem Denker, aber vor allem seinem Leben, zu nähern. Eigentlich wäre seine Biographie schnell erzählt, ein kleiner buckliger Mann aus armen Verhältnissen im ökonomisch abgehängten Teil Italiens, in Sardinien 1891 geboren, schließt sich in jungen Jahren der kommunistischen Bewegung an, wird Mitgründer der Kommunistischen Partei Italiens (KPI). Er wächst schnell zum Kopf dieser Partei heran, da er sich in den Kämpfen der Zeit, wie den Fabrikräten Turins, engagiert, die Verhältnisse klug kommentiert und in unzähligen Artikeln die Kultur der Zeit reflektiert. Er wird Abgeordneter für die KPI im Parlament. Er begreift die Gefahr, die vom italienischen Faschismus ausgeht und versucht dieses sich revolutionär gebärdende Phänomen zu verstehen, um Möglichkeiten und Bedingungen für die kommunistische Bewegung auszuloten. Doch er wird ebenso wie viele andere Tausend KommunistInnen von den Faschisten 1926 verhaftet, denn gerade er sollte im Kerker schmoren. Der Staatsanwalt betonte: „Für die nächsten 20 Jahre müssen wir verhindern, dass dieses Gehirn funktioniert.“ Im faschistischen Gefängnis verfasst er sein schon erwähntes Hauptwerk: Die Gefängnishefte. Gramsci durchleidet viele Krankheiten, Tuberkulose wird ihn dahinraffen. Er wird zwar aus der Haft in ein Krankenhaus verlegt, doch da ist er schon vom Tod gezeichnet und stirbt kurz danach am 27. April 1937.

Doch Fioris Biographie leistet mehr als die Ausschmückung dieser Fakten. Sie bringt Gramscis Leben nahe. Gramscis Kontakte waren durch die Kerkerhaft begrenzt, wenige Besuche, wenige Briefe und eine harsche Gefängniszensur, die auch nur die leiseste politische Andeutung unterband. Zu seiner Frau Julia Schucht konnte er den Briefkontakt kaum halten. Sie hatte psychische Probleme und verwand die Trennung von ihrem Mann nicht. Ihre Schwester, Tatjana Schucht – seine wahlverwandschaftliche geheime Liebe – hielt den Kontakt zu ihm. Dieser Austausch und die Freundschaft zu seinem Professor und Freund Piero Sraffa, der ihm alle Bücher sandte, die Gramsci benötigte – und er las sehr viel – half ihm den Kerker zu ertragen. Tatjana Schucht hielt engen Kontakt zur illegalen Führung der KPI, aber sie tauschte sich eben auch und vor allem auf das menschlichste mit Gramsci aus. Obwohl im Kerker eingesperrt, konnte er das Geschehen, die Festigung des italienischen Faschismus, die Direktiven der KPI und die Anweisungen der Kommunistischen Internationale verfolgen und in seine Reflektionen einfließen lassen. Durch die Gefängniszensur behindert, aber nicht völlig verhindert, konnte er die Gedanken auch nach außen tragen. Seine Reflektionen über den Faschismus bestärkten ihn darin, dass dem Faschismus nicht durch eine proletarische Erhebung und einem kleinen Sturm auf das Staatsgebäude – wie dem russischen Sturm auf das Winterpalais – Herr zu werden sei. Der Faschismus saß zu fest im Sattel. Intern wurde er deshalb als Trotzkist bezeichnet, die generelle Bezeichnung für Abweichler. In Stalins Sowjetunion eine Bezeichnung, die im günstigsten Fall die Deportation ins Gulag bedeutet hätte. Gramsci begriff, dass man Bündnisse schließen muss, um den Faschismus zu besiegen – auch mit Sozialdemokraten. Was natürlich gegen die KomIntern-Linie verstieß, die der Dimitroffschen Sozialfaschismusthese folgte. Doch Gramsci war zugleich einer der prominentesten Gefangenen des Faschismus und bot sich deshalb par excellence für die Propaganda der Kommunistischen Internationale an. Deshalb und weil Gramsci sicherlich nicht als linientreuer Parteisoldat das Gefängnis verlassen hätte, waren die Bemühungen um einen Gefangenenaustausch (der Vatikan vermittelte) oder einen anderen Deal zwischen Italien und der Sowjetunion von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Die Faschisten wollten ihn durch die Kerkerhaft ermorden, die führenden Kommunisten hatten Angst, dass ein Gramsci in Freiheit der Parteilinie widersprach. Fiori zeichnet diese für Gramsci so tragische Situation nach und erschließt mit der Biographie die Briefe Gramscis (Im Argumentverlag sind bislang drei der vier avisierten Briefbände Gramscis erschienen). Somit wird ein umfassendes Bild von der Persönlichkeit Gramscis sichtbar, die man allein aus der Lektüre der Gefängnishefte nicht erschließen könnte. Eine wichtige Biographie, die allen Interessierten an Gramscis Denken dringend empfohlen sei, bevor sie sich der umfangreichen Lektüre der „politisch-philosophischen Weltliteratur“ (W.F. Haug in der Einleitung zu dieser Neuausgabe) Gefängnishefte widmen.

Guiseppe Fiori – Das Leben des Antonio Gramsci. Eine Biographie. Rotbuch 24,99 €