Fenster in eine andere Welt

Zum Demokratiepotenzial von Alternativökonomie

Gisela Notz

In den 1970er Jahren sind im Westen der Republik viele Alternativbetriebe und selbstverwaltete Unternehmungen aus politischem Anspruch, in engem Zusammenhang mit der StudentInnen-, Ökologie- und Frauenbewegung entstanden. Sie wollten demokratische Betriebsorganisationen, humanere Arbeitsprozesse und eine ökologisch verträgliche, gesellschaftlich nützliche Produktion erreichen. Zum Teil bestehen sie noch heute. Meist haben sie den Anspruch in kollektiven, nicht hierarchischen, nicht patriarchalen Strukturen ebenbürtig unter Normen zu arbeiten und zu leben, die sie sich selbst gegeben haben. Die meisten alternativen Betriebsformen praktizieren neue Möglichkeiten der Partizipation und experimentieren mit weitgehend selbstbestimmten Arbeitsformen. Sie sind Ansätze radikaler Kritik an der fremdbestimmten Erwerbsarbeit. Mitarbeitende und EigentümerInnen sind meist identisch und alle Kollektivmitglieder haben im Idealfall ein gleiches Entscheidungsrecht in betrieblichen Belangen. Als Gruppe haben sie den Vorteil, dass sie sich die Menschen, mit denen sie arbeiten wollen selbst aussuchen. Viele haben ein kritisches Verhältnis zu Autoritäten, Propheten und Gurus jeglicher Art. Die ersten selbstverwalteten Betriebe waren Druckereien, Verlage und Buchläden. Es folgten ökologische und energiepolitische Aktivitäten, selbstverwaltete Produktions- und Handelsbetriebe z. B. für Naturkostläden und Naturtextilien. Viele nahmen sich umweltschonender und energiesparender Techniken an. Berührungspunkte mit den Gewerkschaften bildeten Erfahrungen mit (versuchten) Betriebsübernahmen durch die Belegschaft und mit Initiativen „Alternativer Produktion“ oder Produktkonversion hin zu sinnvoller, ökologisch verträglicher und auf friedliche Zwecke gerichtete Produktion.

Fenster in eine andere Zeit

Kommunen als Fenster in eine herrschaftsfreie Welt

Als Beispiel für gelebte Gegengesellschaften können die Kommunen als Experimente für neue Lebens- und Arbeitsformen betrachtet werden. Kommunen sind das wohl radikalste Demokratiemodell innerhalb der alternativen Ökonomie. Ihnen geht es nicht nur um das gemeinsame andere Wirtschaften. Sie stellen die Partialisierung in „Leben“ und „Arbeiten“ zur Disposition und versuchen in ihrer Alltagspraxis beides zusammenzubringen. Sie üben Kritik am kapitalistischen Wirtschaftssystem und Kritik an der bürgerlichen Kleinfamilie als Organisationsstruktur für Reproduktionsarbeiten. Dadurch gehen auch Arbeitszeit und Freizeit ineinander über. In Kommunen schließen sich Menschen mit gleichen oder ähnlichen Interessen zu überschaubaren sozialen Einheiten, Lebens- und Arbeitsgemeinschaften, zusammen, weil sie mit anderen solidarisch und ganzheitlich leben und arbeiten wollen, nach eigenen Regelungen und Absprachen.[1] Dazu gehört eine Auseinandersetzung mit den Schäden der modernen Zivilisation, die die Umwelt, aber auch solche, die die zwischenmenschlichen Beziehungen betreffen. Kommunen bilden Gegenkulturen außerhalb von institutionalisierten Betriebsverfassungen und ohne Heiratsurkunden. Sie wollen das Verlangen nach einem würdevollen Leben, nach demokratischen Arbeitsstrukturen, nach ebenbürtigen Geschlechterverhältnissen und nach freier Ordnung, im Hier und Jetzt verwirklichen.

In Westdeutschland gab die Kommunebewegung an vielen Orten den Impuls, die Idee des befreiten Menschen und der humanen Gesellschaft in subkulturellen Milieus zu verwirklichen. Seitdem entstanden in Städten und auf dem Lande zahlreiche Kommunen mit dem Selbstverständnis von Kollektiven gleichberechtigter Mitglieder, die die Isolation der Einzelnen und die Fixierung der Geschlechterrollen in neuen Formen des Zusammenlebens- und Arbeitens auflösen wollten. Kommunen sind keine einheitlichen Gebilde, sie haben viele Gesichter.

Die meisten wollen sich möglichst weit lösen von den Prinzipien der neoliberalen marktwirtschaftlichen Ordnung und der damit verbundenen Warenbeziehungen. Daher betreiben sie einen Teil Selbstversorgung und auch der Tauschhandel mit bestehenden Gruppen floriert, auch wenn sie „für den Markt“ arbeiten müssen, was ihnen von anderen Alternativen immer wieder zum Vorwurf gemacht wird, kaufen die KommunardInnen für ihre Kommunebetriebe keine Arbeitskraft von anderen, wie es „normale“ Unternehmer tun. Sie vermarkten nur die eigene Arbeitskraft für Produkte, die direkt an die EndabnehmerInnen gehen. Alle Produktionsmittel gehören ihnen gemeinsam. Aus diesen kollektiven Besitzstrukturen ergeben sich auch kollektive Entscheidungsstrukturen. Darin liegt das Demokratiepotential. Freilich bringt das Kommuneleben, wie andere Lebensformen auch, Probleme mit sich. Möglicherweise potenzieren sie sich durch die Zahl der Beteiligten, aber die Lösungsmöglichkeiten potenzieren sich auch.

Die Kommune Niederkaufungen

Als Beispiel gilt die Kommune Niederkaufungen, eine seit 1986 bestehende links-alternative Kommune in der Nähe von Kassel. Wer dort lebt, hat sich mit den sechs Grundsätzen, die sich die Kommune selbst gegeben hat, einverstanden erklärt. Sie sollen hier vorgestellt werden, weil sie Kerninnovationen auf dem Weg in eine radikaldemokratische Gesellschaft darstellen. Sie sind: 1. gemeinsame Ökonomie, 2. Entscheidungsfindung im Konsens, 3. kollektiv selbstbestimmt arbeiten, 4. linkes Politikverständnis, 5. Abbau kleinfamiliärer Strukturen und 6. Abbau geschlechtshierarchischer Arbeitsteilung.

Nachhaltigkeitsprinzip und soziale Absicherung gelten in letzter Zeit als zusätzliche Kriterien. Schließlich braucht jeder Kommunarde nur 1/7 Auto und 1/35 Waschmaschine. Andererseits braucht auch niemand auf mehr oder weniger notwendige Güter zu verzichten.

Da auch Theorien und Praxen von Kommunen situativ vieldeutig sind, haben sich die links-politischen Kommunen in den 1990er Jahren zum Netzwerk politischer Kommunen (Kommuja) zusammengeschlossen. 2012 gehörten 32 Kommunen mit ca. 450 Menschen zum Netzwerk.[2]

Freilich gibt es auch in links-politischen Kommunen informelle Hierarchien und mancher Konsens wird eher durch Überreden, als durch wirkliche Überzeugung erreicht. Oft fühlen sich die besser informierten überfordert, weil sie auch diejenigen sind, die die Informationen geben müssen, während andere sich in ihren Beteiligungsmöglichkeiten eingeschränkt und vor vollendete Tatsachen gestellt sehen. Zu traditionellen Entscheidungsstrukturen wollen Kommunen dennoch nicht zurück. Obwohl die zahlreichen Plenumssitzungen Zeit und Kraft rauben und das Konsensprinzip ein Experimentieren mit innovativen Ideen nicht selten unmöglich macht.

Es erscheint müßig, den Kommunen immer wieder vorzuwerfen, dass sie in ihren Nischen verweilen oder dass sie sich ins private Überleben zurückziehen. Schließlich gibt es auch Kommunen – wie z. B. Longo Mai – die an verschiedenen Orten, in verschiedenen Ländern tätig sind. Die KommunardInnen wollten lokal, regional, national und international politisch wirksam werden. Die verschiedenen Longo-Mai-Kommunen kooperieren mit den Bauern in der jeweiligen Nachbarschaft sowie mit ländlichen und städtischen selbstverwalteten Betrieben und Projekten.

Autor*inneninfo:

Gisela Notz[1] ist Historikerin und Sozialwissenschaftlerin und zudem Redakteurin der Zeitschrift Lunapark 21. Sie ist Herausgeberin des Wegbereiterinnen-Frauenkalenders[2] und Verfasserin von Marx für SozialwissenschaftlerInnen[3].

Zum weiterlesen: Gisela Notz: Theorien alternativen Wirtschaftens. Fenster in eine andere Welt, Stuttgart 2012, 2. Auflage[4]

Literaturnachweise:

[1]„Ganzheitliche Arbeitsvollzüge“ heißt, ihre Tätigkeiten umfassen Planung, Ausführung und Kontrolle des Produktionsprozesses.

[2] www.kommuja.de/meilensteine-der-kommuja/[5] (letzter Zugriff: 14.2.2015).

Links:

  1. http://www.gisela-notz.de/
  2. http://www.agspak-buecher.de/Wegbereiterinnen-XIII-Kalender-2015
  3. http://www.springer.com/springer+vs/soziologie/theorie/book/978-3-531-15894-5
  4. http://www.theorie.org/titel/660_theorien_alternativen_wirtschaftens
  5. http://www.kommuja.de/meilensteine-der-kommuja/