bringschuld einlösen

DIE LINKE muss Theorie und Praxis einer sozialistischen Bürgerrechtspartei neu begründen

Lena Kreck und Jörg Schindler
Jörg Schindler ist Rechtsanwalt und macht in seiner Freizeit immer mal wieder den Ermittlungsausschuss auf Antifa- Demos.

DIE LINKE will sozialistische Bürgerrechtspartei sein — ein hehrer Anspruch! Ob bei G8-Protesten, Vorratsdatenspeicherung oder der Datensammelwut der Hartz- IV-Behörden: Man möchte Ansprechpartnerin für diejenigen sein, die sich mit staatlichen Repressionen und Überwachung nicht abfinden wollen. Tatsächlich ist die neue Partei dies vielfach — und muss es auch sein. Nur so kann sie sich von dem Makel ihrer Geschichte befreien. Schließlich hatte ihre realsozialistische Vorgängerin ein vollständig anderes, autoritäres Verständnis des Verhältnisses zwischen Bürger und Staat. Dessen Grundlage bildete die Annahme, dass „die Partei“ als Vollstreckerin einer historischen Mission im Sinne des allgemeinen Fortschritts schon dabei die Interessen der großen Mehrheit so gut berücksichtigen würde, dass es so bürgerlicher Errungenschaften wie Gewaltenteilung, Meinungsfreiheit, Streikrecht, Recht auf politischen Dissens usw. nicht mehr bedürfe.

Lena Kreck ist Juristin und getreu dem Mottto „Einen DemoGrund gibt es immer!“ Koordinatorin des Bundesarbeitskreises Demokratie und Grundrechte (BAK DemoGrund) der Linksjugend [’solid].

So richtig dieses gewandelte Verständnis ist, so wenig genügt es, sich selbst nur als neue Bürgerrechtspartei zu proklamieren. Eine sozialistische Partei, die Bürgerrechtspartei sein will, benötigt ein real erfahrbares Profil — in Theorie und Praxis. Es braucht eine politische Theorie sozialistischer Bürgerrechtspolitik. Diese muss die Erkenntnisse der klassischen Bürgerrechtspolitik aufnehmen. Kein Zurück hinter den bürgerlichen Rechtsstaat! Es lebe die Gewaltenteilung! Aber es gibt auch Dissense mit dem klassischen Bürgerrechtsspektrum. Dass beispielsweise Rosemarie Will im vorstehenden Interview sämtliche Grundrechte angetastet sieht, sobald das private Eigentum an Produktionsmitteln eingeschränkt wird, verdeutlicht den unterschiedlichen Ansatz. Als bloße Abwehrrechte verstanden, sind Grundrechte gefesselte Riesen. Schließlich bedürfen Menschen nicht nur des gesetzlichen Bürgerrechts, sondern auch der praktischen Möglichkeit hierfür: etwa Bildung, um Prozesse zu verstehen, Geld, um die Reisefreiheit zu nutzen, oder auch eigene Medien, wie prager frühling statt BILD. Grundrechte sind mehr als Zuflucht der vielen Davids gegen einige Eigentümer-Goliaths. Eine sozialistische Bürgerrechtspolitik versteht deshalb Grund- und Freiheitsrechte nicht nur als Abwehrrechte, sondern gerade auch als Teilhaberechte.

Zudem braucht es aber eine politische Praxis einer Bürgerrechtspartei. Das Problem der LINKEN ist hierbei die latente Neigung vieler Mitglieder, im Eifer des Gefechts oder aus schlechter Tradition, Lösungsansätze zu bevorzugen, die mit einem emanzipatorischen Gesellschaftsbild nicht zu vereinbaren sind.

Will sich DIE LINKE also als Bürgerrechtspartei etablieren, ist jenseits rhetorischer Proklamation eine NeuBegründung Voraussetzung. Prämissen sind die Idee des mündigen Bürgers, die klare Trennung zwischen Bürger und Staat, Gewaltenteilung und umfassender grundrechtlicher Schutz. Dieses Verständnis muss sich in allen Bereichen der Partei durchsetzen. Nur so kann man sich auf eine sozialistische Bürgerrechtspolitik verständigen. Letztlich geht es auch darum, den Einwand, Egalität schaffe politische Konformität und töte Individualität und Selbstentfaltung ab, durch ein attraktives Bild einer freien, sozialistischen Gesellschaft zu entkräften. Hier ist DIE LINKE derzeit in der Bringschuld. Wird diese jedoch beglichen, bietet sich für die klassische Bürgerrechtspolitik ein neue Akteurin, ein neues Subjekt und eine offensivere Perspektive, um gemeinsam gegen den repressiven Überwachungsstaat zu kämpfen.