Wählen to go?

Sollte man das Wählen erleichtern? Und wenn ja, wie?

Es gab eine Zeit, in der sich Wählerinnen und Wähler schick machten, einen Sonntagsspaziergang absolvierten und danach feierlich im Wahllokal das Kreuz bei der bereits seit dem 18. Lebensjahr unterstützten Partei machten. Diese gute alte Zeit wünschen sich besonders die so genannten Volksparteien zurück. Zum Teil ist dieses besondere Pathos des Wahlaktes ja auch noch nicht verschwunden, sondern hat sich nur in die wohl situierten Viertel zurückgezogen.

Die Realität kennt auch das andere Bild: Die Wahlbeteiligung sinkt seit Jahren – parallel zur Glaubwürdigkeit von Politik und Parteien, parallel zum Glauben an die politische Gestaltbarkeit der eigenen Lebenswelt. Wer von der Politik keine Verbesserung seiner Situation erwartet, weil er ihr eine solche Leistung nicht zutraut, hat nur wenige Gründe zum Gang ins Wahllokal. Aus diesem Grund wählen oft gerade sozial Benachteiligte weniger. Dabei ist es unerheblich, ob der Politik Eigennutz, Unvermögen, Lobbyhörigkeit oder schlicht das Scheitern nationaler Ansätze in einer globalisierten Welt vorgeworfen wird. Einen besonderen Anteil am steigenden Nichtwähleranteil haben darüber hinaus Parteien, deren politisches Profil für Wählerinnen und Wähler nicht mehr erkennbar war. Die Nichtwahl ist manchmal genauso gut begründet wie die Wahl. Wäre die Politik besser, dann wäre wohl auch die Wahlbeteiligung höher. Hamburgs Innensenator Michael Neumann (SPD) meint dazu, an politischem Desinteresse und mangelnder Wertschätzung für die Demokratie könnten auch Vereinfachungsvorschläge nichts ändern. Allein schon diese Äußerung wäre ein Grund, ihn abzuwählen.

Es bleibt jedoch neben den Enttäuschten und Protestierenden ein Rest bei den Nichtwählenden: die Verpeilten, die Gedankenlosen, die Unentschlossenen, die Launigen, die Langschläfer*innen, die Ausflügler*innen, die Behördenbriefwegschmeißenden, die Nichtzeitunglesenden, die Passivierten. Warum sollte man ausgerechnet ihnen entgegenkommen? Die Antwort: Warum nicht? Warum sollte ausgerechnet das Kreuzchen auf dem Wahlschein eine pathetische Überhöhung bekommen – während wir Verwaltung und Staat öffnen, die praktischen Hürden für Volksbegehren senken und Barrieren für Partizipation abbauen wollen?

Derzeit werden diskutiert:

Wählen im Internet

Dem hat das Bundesverfassungsgericht leider eine Absage erteilt, da Wahlgang und Übermittlung der Stimmen für jeden und jede zweifelsfrei nachprüfbar sein müssten. In der Tat ist nicht nur das Manipulationspotenzial, sondern auch die Störungsanfälligkeit hoch. Andererseits: wir machen fast alles wichtige inzwischen online, selbst Geldtransaktionen. Da haben wir keine Scheu, aber bei der Wahlstimme vertrauen wir dem Internet nicht?

Wählen im Supermarkt, in der Fußgängerzone oder am U-Bahnhof

„Es ist nicht der richtige Weg in unserer Demokratie, das Wählen zwischen Aldi-Regalen erledigen zu wollen“, sagt dazu CSU-General Andreas „Andi“ Scheuer. Da ist er wieder, der Komplex derjenigen, die das Wahlkreuz für etwas über dem profanen Leben stehenden halten. Das Wählen im Einkaufszentrum könnte klappen, wenn das Problem mit den Wahlhelferinnen und Wahlhelfern nicht wäre. Unmöglich können die Angestellten der Läden und Märkte die Wahlen überwachen und die Listen abkreuzen. Würde man die Wahllokale einfach nur aus den Schulen und Gemeindehäusern heraus auf die zentralen Plätze mit Publikumsverkehr verlegen, wäre vermutlich die Erreichbarkeit für viele verbessert. Das funktioniert wohl nur in Verbindung mit einer Wahlwoche.

Wählen bei Aldi? Kommt nicht in die Tüte, findet Scheuer

Wahlwoche statt Wahltag

Mit der Briefwahl existiert praktisch sogar ein Wahlmonat. Davor steht allerdings die Hürde der Anforderung von Wahlunterlagen. In Schweden hingegen wird eine ganze Woche gewählt und die Erfahrungen damit sind gut. Wenn nicht mehr alle an einem Tag kommen, könnten vielleicht auch für die Überwachung der Wahlen neue Formen gefunden werden. Spannend wäre dann nur noch die Frage: Würden die Menschen montags anders freitags?

Wahlpflicht

Die Wahlpflicht wird schon länger unter der Abwägung „Freiheitsrechte gegen Gleichheitsgewinne“ diskutiert. Bei einer Wahlpflicht entfiele die Möglichkeit der Nichtwahl als politisches Statement – es bliebe die ungültige Stimme, die allerdings auch gezählt wird. Ob für eine Wahlpflicht die Verfassung geändert werden müsste, ist strittig. Das Grundgesetz garantiert die „Freiheit der Wahl“, die nach gängiger Lesart die Nichtwahl einschließt. Ob die Möglichkeit der ungültigen Stimme dazu ausreicht, bleibt ungeklärt. Einige der 19 Länder mit Wahlpflicht verhängen Geldstrafen, andere – etwa Italien – ahnden Verstöße nicht. In Ostdeutschland würde eine Wahlpflicht bei Vielen wohl Erinnerungen an die Wahlpraxis in der DDR auslösen – als mindestens diffuser sozialer Druck durch die Partei die Menschen an die Wahlurnen trieb. Andererseits: Wer Parteien weiter die Schuld zuschieben will, muss sie auch erstmal wählen. Zu Bedenken ist in dem Zusammenhang auch Folgendes: Der Anteil der Einkommensarmen ist besonders hoch unter den Nichtwählenden. Die Wahlpflicht mittels einer Geldstrafe durchzusetzen würde somit zu besonderen sozialen Belastungen führen. Hier lohnt ein Blick nach Italien, wo es zwar eine Wahlpflicht gibt, diese aber nicht sanktioniert wird.

Größe der Parlamente an die Wahlbeteiligung koppeln

Parlamentsgröße an Wahlbeteiligung koppeln? Dann wird der Bundestag bald seeehr klein

Diese Idee wurde in der Weimarer Republik schon einmal ausprobiert. Die Kreativität der Parteien wäre herausgefordert, Menschen an die Wahlurne zu bringen. Allerdings schwächt ein kleines Parlament dessen Gewicht gegenüber den Regierungsinstitutionen weiter.

Fazit

Wahlen sind heute nur noch ein politisches Statement unter vielen. Mit direktdemokratischen Elementen und neuen Formen der Demokratie in Wirtschaft und Verwaltung sollten weitere Spielarten dazu kommen. Gerade weil Wählen nicht mehr der sakrale Akt von früher ist, sollten wir kreativer mit ihm umgehen – auch wenn dies glaubwürdige und unterscheidbare Politik nicht ersetzt.