Ungenießbar

Démocratie à la fra Françafrique

Bernhard Schmid

Frankreichs Regierungen sind um Demokratie und Menschenrechte auf dem afrikanischen Kontinent bemüht. Zumindest proklamieren sie dies bei jeder Gelegenheit. Man kann ganz fest daran glauben. Wer sich für die Wirklichkeit interessiert, sollte allerdings auf die Taten schauen. Am 14. Februar 2015 verkündete Frankreichs Innenminister Bernard Cazeneuve in der marokkanischen Hauptstadt Rabat, in nächster Zukunft werde seine Regierung einen Staatsbürger Marokkos mit der Légion d’honneur, einer Art französischem Pendant zum deutschen „Bundesverdienstkreuz“, auszeichnen. Bei dem Geehrten handelt es sich um den marokkanischen Nachrichtendienstchef Abdellatif Hammouchi. Von ihm war im Vorjahr in Frankreich viel die Rede gewesen. Eine Justizbehörde hatte es gewagt, im Februar 2014 ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren gegen Hammouchi – der sich in Frankreich aufhielt – einzuleiten. Es ging um handfeste Foltervorwürfe, die u.a. von einem französisch-marokkanischen Staatsbürger erhoben wurden. Daraufhin liefen die Telefone zwischen den Staatsapparaten heiß. Die Kooperation der Justiz beide Länder wurde von marokkanischer Seite ausgesetzt.

Wunschtraum: Kein Diktatorenempfang im Präsidentenpalast

Seit Februar 2015 sind die Beziehungen wieder gekittet. Von Strafverfolgung ist keine Rede mehr, stattdessen von der alsbald zu verleihenden Medaille. Am Tag nach der Ankündigung nahmen Zivilpolizisten in der Hauptstadt Rabat den Sitz der marokkanischen Menschenrechtsvereinigung AMDH auseinander. Jean-Louis Perez und Pierre Chautard, zwei französische Journalisten, die sich zu dem Zeitpunkt dort aufhielten, um einen Film über Wirtschaft und Korruption in Marokko zu drehen, wurden festgenommen und umgehend abgeschoben. Ihr Material bleibt beschlagnahmt. Das französische Außenministerium erklärte ausdrücklich, dass es nicht protestieren wolle. „Die Dinge (mit Marokko) sind dabei, wieder ins Lot zu kommen, wir sind nunmehr der Zukunft zugewandt“ erklärte ein Sprecher. Fast zeitgleich wurde in Kairo, in Anwesenheit des französischen Verteidigungsministers Jean-Yves Le Drian ein größeres Rüstungsgeschäft unterzeichnet. Vierundzwanzig Kampfflugzeuge vom Typ Rafale werden künftig an das ägyptische Regime geliefert, welches gerade die letzten Reste der Revolution von 2011 zertritt und die ProtagonistInnen einsperrt.

Das sind nur einige Schlaglichter aus Frankreichs Auftreten in seinem „Hinterhof“ südlich des Mittelmeers. Im subsaharischen Afrika – vor allem in den offiziell französischsprachigen Staaten West- und Zentralafrikas – fällt dies noch erheblich krasser aus. Denn die arabischsprachigen Länder haben durch ihre Beziehungen untereinander und zu den arabischsprachigen Ölförderländern ein größeres Gewicht. Die subsaharischen Staaten werden hingegen oft von reinen Marionettenregimes regiert.

Cherchez l’erreur!

Frankreichs Außenminister Laurent Fabius hat seinem Konzept den Namen diplomatie économique, „Wirtschaftsdiplomatie“, gegeben. Sie soll die Interessen französischer Unternehmen gegenüber Unternehmen aus anderen Ländern vertreten. Führende Firmen Frankreichs, darunter börsennotierte Konzerne wie TOTAL (Erdöl) und Bouygues (Beton, Mobiltelefone) oder auch der Mischkonzern von Vincent Bolloré (Transport, Infrastruktur; Besitzer oder Pächter mehrerer Tiefwasserhäfen in Westafrika), verdanken dem afrikanischen Kontinent einen beträchtlichen Teil ihrer Extraprofite.

Dem gegenüber wird mitunter eingewandt, das „veraltete Konzept“ des Neokolonialismus oder des françafrique[1] sei doch überholt. Durchschnittlich erzielten französische Wirtschaftsunternehmen nur noch zwei Prozent ihres Umsatzes mit Afrika. Dies stimmt nur dann, wenn man vergisst, dass der für die dort ausgebeuteten Rohstoffezu einem Preis verkauft werden, der bereits die extreme Abhängigkeit in einem ungleichen Handel widerspiegelt. Erschwerend kommt hinzu, dass die in aller Regel nicht vor Ort, sondern erst in Europa weiterverarbeitet werden und z.T. in Form von Fertigproduktion nach Afrika zurückkehren. Der mittelafrikanische Staat Niger lieferte in den letzten Jahren durchschnittlich 37 bis 38 Prozent des Urans für die französischen Atomkraftwerke. Ein Atomprogramm mit derzeit 58 im Betrieb befindlichen Reaktoren, das im Vergleich zu anderen Industrieländern von riesiger Dimension ist. Der französische Nuklearkonzern AREVA fördert seit den 1970er Jahren Uranmetall im Norden Nigers. Das Land zählt heute zu den drei ärmsten Staaten des Planeten. Cherchez l’erreur! Finden Sie den Fehler im System!

Manchmal zittern afrikanische Autokraten, wenn Politikwechsel in Frankreich anstehen. 2006/2007 war dies der Fall. Nicht weil ein Kurswechsel „gedroht“ hätte, sondern weil der neoliberale Konservative Nicolas Sarkoz, damals Innenminister, später Präsident in Bamako offenherzig erklärt hatte, Frankreich „benötige Afrika nicht länger“. Seine von manchen radikalen Wirtschaftsliberalen geteilte These: Die Fortführung der bisherigen französischen Afrikapolitik in neokolonialer Tradition kostet wesentlich mehr Geld, als es einbringt. Teure klientelistische Netzwerke und der Betrieb von Militärbasen sind teuer. Auch wenn die Zahl von Letzteren wegen heute bestehenden technologischen Möglichkeiten sinkt. Die rund 5.000 auf dem Kontinent stationierten Soldaten können notfalls schnell mit Truppen aus Europa verstärkt werden. Die französische Truppenpräsenz in Afrika wurde daher seit 2011 auf zwei Hauptbasen in Libreville (Gabun) an der Atlantikküste sowie Djibouti am Horn von Afrika konzentriert.

Neue Beutegemeinschaften …

Als Präsident ab 2007 ging Sarkozy allerdings schnell zu anderen Einsichten über. Statt als kostspieliges und sinnloses Unterfangen betrachtete er Afrika alsbald selbst als wichtigen „Hinterhof“. Keine zehn Tage nach seiner Wahl, empfing er Omar Bongo, dem neben Muammar Al-Gaddafi dienstältesten Potentanten Afrikas. Beide hielten sich jeweils 42 Jahre (!) an der Macht. Im Gegensatz zu Gaddafi starb Omar Bongo nicht eines gewaltsamen Todes, sondern in einer Klinik in Barcelona. In Krankenhäusern des eigenen Landes ließ er sich nicht behandeln, wissend um den Zustand des Gesundheitssystems.

Allmachtsphantasie: Omar Bongo, 41 Jahre und 193 Tage Präsident

Gabun ist ein erdölreicher Staat am Äquator, und seit dem Tod des alten Autokraten wird das „Emirat im tropischen Regenwald“ nun von Bongos Sohn Ali regiert. Eine fingierte Präsidentschaftswahl von Ende August 2009, bei der der Lieblingssohn des verstorbenen Autokraten sich im bereits übernommenen Amt bestätigen ließ, endete mit Unruhen und deren blutiger Niederschlagung. Das Regime der Bongos, Vater und Sohn, war 2007/08 noch vorübergehend im Visier eines französischen Ministers gewesen. Der damalige französische „Kooperationsminister“ (diese Bezeichnung löste jene des „Kolonialministers“ ab) Jean-Marie Bockel hatte in einer Neujahrsansprache 2008 das Ende der Schonzeit für pro-französische afrikanische Diktatoren angekündigt. Dies bekam ihm schlecht, er wurde alsbald geschasst. Sarkozys Berater Claude Guéant wurde mit seinem Nachfolger Alain Joyandet, wenige Tage nach seiner Amtseinführung im Frühjahr 2008, im Präsidentenpalast von Omar Bongo vorstellig, und alle drei kitteten die Beziehungen rasch.

Die französische Sozialdemokratie, damals noch in der Opposition, ging von vornherein kein Risiko ein. Am 13. Februar 2012, knapp drei Monate vor der französischen Präsidentschaftswahl, wurde Laurent Fabius, bereits Anwärter auf den Sessel des Außenministers, in Gabuns Hauptstadt Libreville vorstellig. Er nahm dort an einem „Wirtschaftsforum“ teil.

… und alles beim Alten?

Tut sich also nichts Neues in der französischen Afrikapolitik? Doch: Einerseits mischen sich mitunter die hauptbetroffenen Bevölkerungen ein, und die Stühle mancher Potentaten wackeln. Zum anderen hat auch die französische Politik erkannt, dass demokratisch wirkende Machtwechsel mitunter von Nutzen sein können, wenn sie für eine Erneuerung innerhalb der Eliten sorgen. Am 26. Februar 2012 jagte die senegalesische Bevölkerung den 85jährigen Präsidenten Abdoulaye Wade davon. Er hatte versucht, sich bei einer Wiederwahl im „Ticket“ mit seinem Sohn Karim als Vizepräsident bestätigen zu lassen – um dem im Land höchst unbeliebten Karim während der Amtszeit das Amt zuzuschanzen. Der Versuch ging schief, die Opposition ging auf die Straße und setzte die Anerkennung des Wahlsiegs von Macky Sall durch. Doch der neue Präsident stellt weder die Grundlagen der bisherigen Wirtschaftspolitik noch jene der Beziehungen zu Frankreich in Frage.

Noch näher liegt die Vertreibung des langjährigen Verbündeten Frankreichs an der Staatsspitze Burkina Fasos, Blaise Compaoré, Präsident von 1987 bis 2014 und zentraler Hintermann bei der Ermordung seines linksrevolutionär orientierten Vorgängers Thomas Sankara (1983 bis 87). Compaoré hatte Frankreich häufig als „Vermittler“ bei regionalen Konflikten gedient. Die Hauptstadt Ouagadougou beherbergte bis zu seinem Sturz Elitetruppen der französischen Armee. Doch am 31. Oktober 2014 jagte „die Straße“ ihn davon. Frankreichs Präsident François Hollande hatte noch versucht, ihm einen kontrollierten Machtwechsel schmackhaft zu machen, da man in Paris eingesehen hatte, dass Compaoré sich nicht mehr allzu lang würde halten können. In einem Brief vom 07. Oktober 2014 hatte er versucht, seinen Amtskollegen damit anzufreunden, dass man ihn einvernehmlich auf einen internationalen Posten wegloben würde, den des Vorsitzenden der „Internationalen Organisation für Francophonie“ (OIF), eines Zusammenschlusses französischsprachiger Staaten. Doch der alte Autokrat zeigte sich taub.

Nunmehr findet, bis zu im Spätherbst 2015 anstehenden Präsidentschafts- und Parlamentswahl, eine Übergangsperiode (Transition) in Burkina Faso statt, und es wird unter anderem über die Auflösung der Garde de Sécurité présidentielle als bisheriger Prätorianergarde des jeweils amtierenden Präsidenten heftig debattiert. Doch keine Sorge: Auch hier bemühen sich einflussreiche Kräfte, zu verhindern, dass künftige Wahl zu einem Bruch mit dem bisherigen Wirtschaftsmodell und/oder in den Beziehungen zur Postkolonialmacht Frankreich führen. Unter anderem die von der aufgelösten Präsidentenpartei CDP zu Anfang 2014 abgespaltene „Volksbewegung für den Fortschritt“ (MPP) tritt an, um für einen Wandel in Kontinuität mit dem bisher Bestehenden zu sorgen. Am 12. Februar 2015 wurde eine Delegation der Partei in Brüssel am gemeinsamen Sitz der europäischen sozialdemokratischen Parteien empfangen. Expert*innen für „demokratischen Wandel“ ohne gesellschaftliche Veränderungen waren dort unter sich.

Bernhard Schmid lebt seit nunmehr zwanzig Jahren in Paris, wo er teilweise studierte und im Anschluss promovierte. Heute arbeitet er als Gewerkschaftsjurist. Seit 1998 verfasste er diverse Bücher über die extreme Rechte sowie über post- und neokoloniale Außenpolitik Frankreichs.

Links:

  1. http://en.wikipedia.org/wiki/Françafrique