Die NichtwählerIn – eine Typologie

Die einen wollen, die anderen können nicht – wählen

Der/die Überzeugungstäter*in

Sieht nicht aus wie einer, ist aber einer: Rocker! Vorname Rudolf

Was hat ein radikaler Christ mit der Anarchistin gemeinsam? Kein Witz: Beide meinen, wählen gehen, geht gar nicht. Im Johannesevangelium steht, die christliche Gemeinde sei nicht von dieser Welt. (Johannes 17) Deswegen beteiligt sich, wer als wirklich bibeltreuer Christ auf Johannes‘ Pfaden wandelt nicht an Weltlichem. Wahlen sind damit genauso tabu wie Revolutionen. Für Anarchist*innen ist hingegen die Revolution alles und alles andere nichts. Sie folgen Rudolf Rockers Aufruf "Seid aktive Nichtwähler" von 1924. Sie wählen aus Überzeugung nicht und schauen auf all jene herab, die es ohne ideologisches Motiv tun. Sie sind mit Rocker „der Meinung, daß ein Mensch, der nicht wählt, ohne einen gewissen Zweck dabei zu verfolgen, lediglich weil er geistig zu abgestumpft und träge ist, seine Stimme abzugeben, in seiner geistigen Einstellung noch tief unter dem Wähler steht!“

Der/die Straftäter*in

Manch Anarchist hat aber auch schon auf anderem Wege das Recht zu wählen verloren. Denn wer z.B. Kriegsgerät zerstört oder den Bundespräsident verunglimpft, dem droht auch die Aberkennung des aktiven Wahlrechts durch Richterspruch. Im Straf- und Parteienrecht findet sich noch manch anderes Relikt des obrigkeitsstaatlichen Feindstraf- und Ehrenrechts. Wer zu einer Haftstrafe von mehr als einem Jahr verurteilt wird, stirbt zwar heute nicht mehr den bürgerlichen Tod, aber er oder sie verliert das passive Wahlrecht auf fünf Jahre. Auch die Mitgliedschaft in einer Partei endet automatisch. Die Grünen wollten dies in den 1980er Jahren nicht akzeptieren und unterhielten angeblich informelle Ortsverbände in Justizvollzugsanstalten. Aktuell gibt es kaum wahrnehmbare Bestrebungen einer Abschaffung dieser Relikte, so dass auch, wer heute noch ein Kind ist, sich in Zukunft erst nach der Parteikarriere strafbar machen sollte.

Nicht schon wieder Spinaaaaaaaaat

Das Kind

Apropos Kinder … die sind Sinnbild für Wahlrechtslosigkeit. Sie mussten immer für Analogieargument herhalten, wenn es z.B. darum ging Frauen oder Kolonisierten das Stimmrecht vorzuenthalten. Der Hinweis Frauen und Kolonisierte seien wie Kinder schien selbsterklärend. Nun mag man meinen, dass Kinder ganz andere Sachen bevormundend finden. Wer noch nicht mal wählen kann, ob es Spinat oder Schokoladenkuchen zum Mittag gibt, dem ist wohlmöglich pipi-egal, dass nur die Großen kleine Parteien wählen können. Altersunabhängig gilt es aber genau hinzusehen, wenn jemand Kindern das Wahlrecht verspricht. Das wollen manche Linken, einige Grüne genauso wie der Front National und Manuela Schwesig. Während die ersten beiden zumindest die Höchstpersönlichkeit und die Unübertragbarkeit fordern, wollen die anderen ein Familienwahlrecht. Der Trick: Das Recht des Kindes wird kommissarisch durch die Eltern wahrgenommen werden, die Juristin nennt dies derivatives Elternwahlrecht. Das ist ungefähr so, als würde Frauenwahlrecht heißen, dass Ehegatten für die Ehefrauen abstimmen. Emanzipatorisch ist daran nix.

Der/die Gleichgültige

Den Gleichgültigen ist das ohnehin egal. Und was Herr Rocker (s. oben) von ihnen hält, das ist ihnen schnuppe. Leider! Wäre es ihnen nicht ganz so Wurst, könnten sie eine Person, die keinen deutschen Pass hat und deshalb nicht wählen darf, per Briefwahl abstimmen lassen.

Das wäre besser als das Mitlaufen bei Pegida oder Würgida und noch billiger als Obst bei Eurogida, nämlich kostenlos.

Der/die mit dem „falschem“ Pass

Sie sind das Volk, leider!

Apropos Pegida. Mit einem haben sie ja Recht: Wir sind das Volk. Nach einem Verfassungsgerichtsurteil von 1990 kann man gut und gern tausend Jahre im Reich Land leben und sich auf den Kopf stellen. Wem die Staatsbürgerschaft eines EU-Landes fehlt, kann noch nicht mal den Gemeinderatswahl mitwählen. Im Übrigen anders als in den Niederlande, Estland, Irland, Dänemark, Litauen, Luxemburg, Slowakei, Slowenien, Spanien, Finnland und Schweden.

Verrückt, oder?

Der/die Betreute

Vorsicht mit solchen diskriminierenden Zuschreibungen! Aber es ist was dran: Ein Teil der Menschen mit geistigen Behinderungen werden im Wahlrecht großzügig ausgeschlossen. Wählen dürfen oder nicht richtet sich danach, ob ein Betreuer zur „Besorgung aller Angelegenheiten“ bestellt ist. Werden die Betreuungsangelegenheiten einzeln aufgezählt, darf man wählen, wenn nicht dann nicht.

Das Kriterium ist einigermaßen willkürlich: Ob man in der Lage ist eine Wahlentscheidung zu treffen, hängt schließlich nicht damit zusammen, ob man einen rechtsgültigen Gebrauchtwagenkaufvertrag abschließen darf. Behindertenverbände fordern seit Jahren eine Reform. Im Koalitionsvertrag ist vage angedeutet, dass sich in dieser Legislaturperiode etwas tun könne. Bisher hatten CDU und CSU immer gebremst.