Demokratie lernen!?

Jetzt auch in der Schule möglich

Claudia Jobst

Der Alltag eines Kindes bzw. Jugendlichen sieht oft so aus: Ganze fünf Tage hat man die Schulbank gedrückt, in Windeseile Dinge von der Tafel abgekritzelt – dabei natürlich nur die Hälfte verstanden, für Tests gebüffelt, sich bis zum Abend mit den Hausaufgaben gequält, um am nächsten Morgen womöglich wieder schlecht gelaunt in die Schule zu gehen. Und das Woche für Woche, Jahr für Jahr.

Schule – ein Ort, der bisher nur wenige Gestaltungsmöglichkeiten für Kinder und Jugendliche parat hält. Ein Ort, dem man erst einmal etwas skeptisch gegenüber steht, da er vor Autorität seitens der Erwachsenen, gespickt mit Regularien und Sanktionen, nur so strotzt und kognitive Inhalte vermittelt, deren Sinn und Zweck man als HeranwachsendeR nur selten versteht. Die Lehrpläne geben einen roten Faden vor, den die Lehrer_innen nur selten verlassen wollen, da dies mit zusätzlichem Aufwand verbunden ist. Eine Mitwirkung der Kinder und Jugendlichen am Schulalltag ist nur wenig vorgesehen, da auch dies mit Unannehmlichkeiten, Zeitaufwand und ungewohnten Veränderungen verknüpft wäre. Daher befinden sich viele Schulen in dem Dilemma, dass ihre Schüler_innen und oft auch die Erwachsenen nicht gerade mit großer Freude ihren Alltag dort bestreiten.

Keine Nullen - freie Alternivschüler auf der Straße

Um genau dieses Dilemma zu beseitigen und um einen Raum des Miteinanders, des Vertrauens und der Akzeptanz der Vielseitigkeit zu schaffen, gründete sich 1992 aus einer Elterninitiative heraus die Freie Alternativschule Dresden e.V. (FAS). Eine solche Schule unterliegt aufgrund individueller und gesellschaftlicher Bedingungen einer ständigen Entwicklung und Veränderung. Eine Schule trägt immer eine gesellschaftliche Verantwortung, unabhängig davon, ob diese tatsächlich wahrgenommen wird oder nicht. Sie soll unser zukünftiges Leben sichern helfen und der nachfolgenden Generation bestehende Normen, Werte und Erkenntnisse vermitteln. Die FAS schafft ein Umfeld, in dem gesellschaftliche Zusammenhänge kritisch hinterfragt werden können und Ergebnisse dieser Arbeit in die Gestaltung des Schullebens einfließen. Dazu bedarf es einer flexiblen Struktur, damit sich die Schule ausgeglichen entwickeln kann. Wichtig sind dabei Grundregeln wie Integration, Demokratie, Recht auf Verschiedenheit, Information, Verantwortlichkeit und Solidarität.

Um genauer zu verstehen, was mit diesen Grundsätzen gemeint ist und wie deren Umsetzung im Alltag aussieht, hier ein paar Beispiele aus der alltäglichen FAS-Praxis:

Die FAS als Verein entscheidet selbständig im Rahmen von Mitgliederversammlungen über die Grundstruktur der Schule. Dazu zählen neben Konzeptdiskussionen und Finanzentscheidungen auch politische Aktivitäten und gemeinsames Feiern. Wichtig in der Ergebnisfindung ist, dass wir nach dem Konsensprinzip handeln. Ähnliches gilt für Entscheidungen, die wir im pädagogischen Team treffen. Diskussionen dauern dadurch meist länger, letztendlich lohnt es aber, sich genügend Zeit und Raum zu nehmen und keine Hauruckfestlegungen zu haben.

Diese Diskussionsatmosphäre hat sich auch auf die Kinder und Jugendlichen übertragen. Zu Beginn eines jeden Schuljahres geben sich die Schüler_innen in Zusammenarbeit mit den Erwachsenen ein Regelrahmenkonzept inklusive Sanktionen. Weiterhin findet wöchentlich ein Gruppenrat statt, wo eben jener Umgang mit den Regeln und mögliche Veränderungen besprochen werden. Vor allem für die Jugendlichen ist es von enormer Bedeutung, kein Regelwerk übergestülpt zu bekommen, welches sehr viel mehr dazu verleitet, es zu brechen. Und hier sprechen wir nicht nur davon, wie der Umgang mit Handys, dem Verlassen des Schulgeländes und dem Rauchen ist, nein, derartige Entscheidungen betreffen auch den Lehr- und Lernbereich. So lernen die Schüler_innen ab der 4. Klasse eigenverantwortlich darüber zu entscheiden, wann sie Aufgaben an welchem Ort und mit welchen Lernpartner_innen erledigen. Natürlich gehen die Kinder und Jugendlichen sehr unterschiedlich sowohl mit den Regeln als auch mit dem eigenverantwortlichen Lernen. Als pädagogisches Team haben wir jedoch die Möglichkeit, bei Bedarf Hilfestellung zu geben, so dass die Heranwachsenden in ihrer Selbständigkeit gestärkt werden.

Allgemein ist festzustellen, dass die Menschen, die mit der FAS zu tun haben, sehr mit der Schule verbunden sind. Die Schüler_innen identifizieren sich mit ihrer Schule, kommen sehr gern dahin, wertschätzen das System des Mitmachens und das Vertrauen, welches ihnen entgegengebracht wird. Dies merkt man derzeit an dem Engagement und an Protesten gegen die schlechte Finanzierung von Schulen in freier Trägerschaft, bei denen zahlreiche Ideen für Aktionen von den Jugendlichen stammen.

Das Mitwirken der Schüler_innen am täglichen Leben in und an der FAS ist ein sich stetig bewegender Prozess, welcher auch die eine oder andere Hürde meistern muss. Für die Zukunft der Kinder ist es von enormer Bedeutung, dass sie lernen, im späteren Leben nicht alles einfach hinzunehmen, sondern dass sie sich einzumischen oder wehren. Denn Demokratie zu lernen und zu leben, ist sinnvoll - das ganze Leben lang!

Claudia Jobst koordinierte über viele Jahre die Linksjugend Sachsen. Sie arbeitet als Lehrerin an der freien Alternativschule Dresden.