Griechenland nach den Wahlen

Eine Chance für einen Politikwechsel in Europa

Axel Troost
Mit Syrizas Wahlsieg gibt es vielleicht bessere Rezepte

Aus den vorgezogenen griechischen Parlamentswahlen ist das linke Parteienbündnis SYRIZA mit deutlichem Vorsprung als stärkste politische Kraft hervorgegangen. Das Votum der griechischen Wähler_innen bedeutet in der Tat, dass die Troika nicht fortgesetzt werden kann. Das ist auch eine Chance für einen Politikwechsel in der Euro-Zone insgesamt. Ein Entgegenkommen von Seiten der anderen Euroländer könnte der neuen Regierung einen wirtschafts- und sozialpolitischen Neustart ermöglichen. Syriza sucht ein Arrangement mit den europäischen Regierungen. Die Griechen wollen die Gemeinschaftswährung behalten, das belegen alle Umfragen. Nicht nur die griechische Linkspartei, sondern die große Mehrheit ihrer Wähler_innen wissen, dass ein Neuanfang in Griechenland nur mit europäischer Unterstützung möglich wird.

Das ist mehr, als man zum Jahreswechsel hoffen konnte

So betont der griechische Ministerpräsident Alexis Tsipras: „Ich bin optimistisch, dass wir alles versuchen werden, um eine für alle Seiten vertretbare Lösung für unsere gemeinsame Zukunft zu finden. Ich weiß, dass die Geschichte der Europäischen Union eine Geschichte von Meinungsverschiedenheiten ist. Aber am Ende stand immer der Kompromiss.“ … „Unser Ziel lautet: Respekt für die Selbstbestimmung der Griechen. Gleichzeitig achten wir auch die Regeln der EU. Wir wollen dieses Gerüst ausbessern, wir wollen es nicht einreißen.“

Gerüchte über Tauschgeschäfte machen die Runde: Die Troika, das dreibeinige Kontrollwesen, das über die Sparanstrengungen in Griechenland wacht, hatte Athen bereits vor die Tür gesetzt. Die Troika könnte nun gegen die Zusage weiterer Reformen getauscht werden, lautet eines dieser Gerüchte. Und: Statt Schuldenschnitt könnte es Schuldenerleichterungen geben, etwa durch ans griechische Wachstum gekoppelte Rückzahlungsfristen. Entschieden ist nichts.

Griechenlands Regierungschef Alexis Tsipras sieht es als vordringliche Aufgaben an, die humanitäre Krise zu bewältigen, die rezessionsgeschwächte Wirtschaft zu stärken – mit einem Kampf gegen Korruption und Vetternwirtschaft und der Einführung eines gerechten Steuersystems. Schließlich soll ein Vierjahresplan auf den Weg gebracht werden, der zu einem ausgeglichenen Staatshaushalt führen soll. „Wir wollen der Gesellschaft das Gefühl der Sicherheit und der Würde zurückgeben“, sagt Tsipras. „Unsere Aufgabe ist die Schaffung eines europäischen New Deal, in dem unser Volk atmen kann und in Würde leben.“

Schon im Wahlkampf hat Syriza kostenlosen Strom und verbilligtes Heizöl für 300.000 bedürftige Familien versprochen. Sie sollen auch Lebensmittelmarken und Freifahrscheine für öffentliche Verkehrsmittel erhalten. Arbeitsminister Panagiotis Skourletis verkündete im Rundfunk, den Mindestlohn in der Privatwirtschaft von 586 Euro auf 751 Euro anheben zu wollen. Und Ruheständler_innen, deren Rente 700 Euro oder weniger beträgt, sollen bald eine 13. Monatsrente bekommen.

Syriza will außerdem 300.000 neue Arbeitsplätze schaffen. 9.500 Beschäftigte, die im vergangenen Jahr auf Druck der Troika ihre Jobs im Staatsdienst verloren haben, sollen wieder eingestellt und die unpopuläre Immobiliensteuer abgeschafft werden. Für Jahreseinkommen von bis zu 12.000 Euro sollen keine Einkommensteuern mehr fällig sein. Syriza beziffert die Kosten dieses Sozial- und Steuerpaket auf elf Milliarden Euro.

Das Geld soll vor allem durch eine entschlossenere Bekämpfung der Steuerhinterziehung hereinkommen. Zusätzliche Einnahmen durch einen Umbau des Steuersystems brauchen allerdings eine gewisse Zeit, also müssen die Sofortmaßnahmen aus den aktuellen Finanzressourcen finanziert werden.

Berlins harte Linie

Die deutsche Bundesregierung ist als neoliberaler Hardliner in der Griechenlandfrage bekannt:

  • Sie fordert eine „fortgesetzte Rolle“ von EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) dabei, die Reformen in Griechenland zu überprüfen. Bislang sind diese drei zusammengeschlossen in der sogenannten „Troika“, die in Griechenland wenig überraschend denkbar unbeliebt ist.
  • Griechenland soll eine Erklärung abgeben, dass es seinen Zahlungsverpflichtungen gegenüber den öffentlichen Gläubigern nachkommt.
  • Die neue griechische Regierung soll zudem die Unabhängigkeit der griechischen Notenbank, des Finanzstabilitäts-Fonds (HFSF) sowie der Statistik- und Steuerbehörden im Land anerkennen.
  • Griechenland soll in diesem Jahr darüber hinaus einen sogenannten Primärüberschuss im Haushalt von drei Prozent sowie im kommenden Jahr von 4,5 Prozent der Wirtschaftsleistung erreichen. Der Primärüberschuss bezeichnet den um Zinsdienst und Tilgungen bereinigten Haushaltsüberschuss. Die griechische Regierung möchte dieses Ziel gerne verringern auf ein Niveau zwischen 1 und 1,5 Prozent - damit der Staat mehr Geld ausgeben kann.
  • Griechenland soll die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Bereich wie vereinbart um 150.000 Stellen verkleinern. Die neue Regierung hat bislang angekündigt, entlassene Staatsbedienstete wieder zurückholen zu wollen.
  • Außerdem müsse Griechenland den Mindestlohn senken und die Renten enger an die Beitragszahlungen koppeln. Auch hier will die Regierung in Athen bislang in die entgegengesetzte Richtung: Sie will den Mindestlohn von derzeit 586 Euro wieder auf das frühere Niveau von 751 Euro anheben.
  • Die deutsche Regierung fordert wohl auch weniger Ausnahmen bei der Erhebung der Mehrwertsteuer. Außerdem müsse Griechenland Häfen, Energieversorger und Wohnungsgesellschaften privatisieren mit dem Ziel, dadurch in diesem Jahr 2,2 Milliarden Euro einzunehmen.
  • Schließlich soll Griechenland die regulierten Strompreise für Haushalte und kleine Unternehmen den Marktpreisen anpassen.

Die absehbaren Herausforderungen und Schwierigkeiten einer von Syriza geführten Regierung sind enorm und der Zeitrahmen eng. Die schnelle Entscheidung für die Bildung einer Koalitionsregierung mit der rechtspopulistischen Partei der Unabhängigen Griechen ANEL ergibt sich aus der Übereinstimmung in der Kritik an dem brutalen Konsolidierungskurs unter strikter Kontrolle der Troika und den Folgen der sechs Jahre andauernden Rezession in Griechenland. Athens neuer Finanzminister Yanis Varoufakis verdeutlichte das glasklar: „Unser Land weigert sich mit der Troika zu kooperieren“, sagte er nach einem Treffen mit dem Chefkoordinator der Euro-Finanzminister Jeroen Dijsselbloem. Athen verzichte lieber auf die letzte Tranche des laufenden Hilfsprogramms von 1,8 Mrd. Euro und werde nicht mehr mit der Troika zusammenarbeiten. Dafür gibt es gute Gründe.

Bruch mit der Austeritätspolitik

Die bisherige Krisenpolitik hat die grassierenden sozialen und wirtschaftlichen Probleme nicht gelöst, sondern durch ihre einseitige Ausrichtung auf Austerität und Währungsstabilität erheblich verschärft. Syriza hatte sich deshalb festgelegt: es muss einen Bruch mit der neoliberalen Sanierungslogik geben. Nur die rechtspopulistischen Unabhängigen Griechen plädieren gleichfalls für einen Neuanfang. Wie belastbar ein solches Bündnis sein wird, wird sich zeigen.

Der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann hat mit seiner Bewertung recht: Das Wahlergebnis in Griechenland ist vor allem eine Chance für einen Neuanfang und damit einen Politikwechsel in Europa. „Es muss endlich Schluss sein mit einer Sparpolitik, die vor allem auf dem Rücken der Bevölkerung ausgetragen wird, und in Griechenland wie in anderen Ländern zu skandalösen Lebensverhältnissen geführt hat. 800.000 Menschen in Griechenland haben keine Krankenversicherung, über 50 Prozent der Jugendlichen sind arbeitslos, Sozialleistungen wurden dramatisch gesenkt – aber die Verursacher der Krise werden nicht zur Verantwortung gezogen“, sagte Hoffmann. „Der politische Kurswechsel der EU muss jetzt eingeleitet werden, in Griechenland und in allen anderen Krisenländern – weg von Spardiktaten, hin zu Investitionen. Ich erwarte, dass die deutsche Bundesregierung dieses demokratische Wahlergebnis respektiert und Syriza unterstützt, statt wieder wilde Spekulationen zum Euro zu führen.“

Syriza schlägt die Neuverhandlung der Troika-Auflagen vor. Hauptziel ist die Ermöglichung eines Programms zur Bekämpfung der humanitären Krise: Versorgung der ärmsten Familien mit Elektrizität, Nahrungsmittelgutscheine, Zugang für alle zum Gesundheitswesen, verbilligter Wohnraum zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit und eine Senkung der Besteuerung von Heizöl auf Vorkrisen-Niveau. Dieses Programm würde jährlich 1,8 Mrd. Euro kosten.

Eine von Syriza geführte Regierung will – so programmatische Äußerungen des Linksbündnisses – nach den Sofortmaßnahmen zur Linderung der humanitären Krise in einem zweiten Schritt umgehend ein soziales Investitionsprogramm auf den Weg bringen, mit dem die Arbeitslosigkeit bekämpft und die Wirtschaft wieder in Schwung gebracht werden kann. Ein solches mittelfristiges Programm soll aus inländischen Mitteln finanziert werden, etwa durch Verbesserung der Steuererhebung und Bekämpfung des Schmuggels.

Tatsache ist aber auch, dass heute 228 Mrd. Euro Forderungen an Griechenland in öffentlicher Hand liegen. Daher ist es nicht überraschend, wenn aus Berlin und Brüssel übereinstimmend erklärt wird, dass ein Schuldenschnitt derzeit kein Thema sei. In der Tat ist die griechische Bruttoverschuldung mit zuletzt rund 176% des Bruttoinlandprodukts zwar hoch, aber derzeit nicht allzu drückend: Bei den EFSF-Krediten, die 44% der Gesamtschuld ausmachen, werden erste Rückzahlungen erst 2022 fällig, und bis dann werden auch die Zinsen gestundet. Auch die Konditionen der bilateralen Kredite der Euro-Staaten sind günstig.

Eine Lösung für die hohen Kreditschulden drängt nicht in den nächsten Monaten. Entscheidend für den weiteren Verlauf wird sein, ob die Troika einer teilweisen Korrektur der massiven Kürzungen und – auch um den Preis neuer Schulden – einem Programm gegen die humanitäre Krise zustimmt.

Während die deutsche Regierung den harten Konfrontationskurs beibehält, wird auch von Teilen der Eliten zugestanden, dass ein einseitiges Kürzungs- und Sparprogramm - wie in Griechenland vollzogen - die Probleme nicht gelöst, sondern verschärft hat. An die Adresse der vorherigen griechischen Regierungen konstatiert Elmar Broks (CDU): „Ich kenne kein Land in Europa, in dem die normalen Bürger so von der politischen und wirtschaftlichen Klasse über 30 Jahre betrogen wurden.“ Das sei noch nicht wieder in Ordnung gebracht worden. „Man kann kein Land in Ordnung bringen, wenn das nur der kleine Mann zu zahlen hat und man erneut an die Senkung der Renten herangeht. Hier müssen Reformen gemacht werden.“ Und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz (SPD) erklärt sich nach einem Treffen mit Tsipras ähnlich: „Normale Bürger in Griechenland haben in den letzten Jahren die Rechnung bezahlt. Es wird Zeit, dass diejenigen, die Geld haben oder es außer Landes gebracht haben, etwas beitragen.“

Womöglich deutet sich hier der Korridor für die anstehenden Neuverhandlungen zwischen der neuen Regierung und der EU an.

Die Wahl des Linksbündnisses Syriza ist ein demokratischer Weckruf für Europa. Die EU muss aus ihren Fehlern lernen, ihr Krisenmanagement überdenken und anpassen.

Axel Troost ist stellvertretender Vorsitzender der Linken und Mitglied im Deutschen Bundestag. In der Memorandum-Gruppe engagiert er sich seit vielen Jahren für alternative volkswirtschaftliche Expertise jenseits des neoliberalen Mainstreams.