Blasphemische Gedanken

Rezension des neuen Buchs von Slavoj Zizek

Susanne Schade

Nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo und während der terroristischen Bedrohungen durch den Islamischen Staat ist die Zeit gekommen, um die Hintergründe zu analysieren. Mit seinem neuen Buch „Blasphemische Gedanken – Islam und Moderne“ liefert einer der wichtigsten Denker unserer Zeit dafür wesentliche und gewagte Impulse. Nachdenken mit Zizek bedeutet, auf den Pfaden von Kant, Hegel und Marx und der Psychoanalyse Lacans zu wandeln. Mehr noch, Nachdenken mit Zizek bedeutet, an die Grenzen des Denkbaren zu gehen. Jenseits des diskursiven Gegensatzes von Islam und säkularem Christentum gilt es auch für die Linke eine Position zu entwickeln und ihre aktuelle Einmischung in politische Praktiken zu hinterfragen.

„Die Herausforderung besteht genau darin“, so Zizek, „den Akt des Denkens mit der Hitze des Augenblicks in Einklang zu bringen“ (7). Zizek verknüpft dabei die Anschläge auf Charlie Hebdo mit den Greultaten des IS in der arabischen Welt: Für ihn ist ein „Händchen Halten“ westlicher Staatsmänner auf der Trauerfeier für die Opfer der Anschläge auf Charlie Hebdo ein „Bild der Heuchelei“, da sie sich trotz Küssen und Umarmungen als Konkurrenzsubjekte gegenüberstehen und „hinter ihren Rücken die Messer wetzen würden“ (7). Ein Triumph der Ideologie, der das Volk jenseits ihrer Unterschiede gegen eine terroristische Bedrohung vereint. Denn fast täglich werden wir in den Medien mit der Radikalität des Islamischen Staates überschwemmt. Der IS macht keinen Hehl aus seiner Brutalität sondern stellt sie öffentlich zur Schau, indem er etwa Enthauptungen medial inszeniert, indem er sexuelle Versklavungen zugibt und rechtfertigt.

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Wie lässt sich das erklären ? Die Gründe dafür liegen zum einen in der westlichen Demokratie selbst. So schreibt Zizek: „Der liberale Westen ist deshalb so unerträglich, weil er Ausbeutung und Gewaltherrschaft nicht nur praktiziert, sondern diese brutale Realität wie zum Hohn als ihr genaues Gegenteil verkleidet, nämlich als Freiheit, Gleichheit und Demokratie“ (23). Eine der zentralen Thesen des Essays ist, dass das Aufkeimen des Fundamentalismus vom Scheitern einer Revolution zeugt. Es ist ein Beweis dafür, dass es ein Potential für eine Revolution gab, das die Linke es aber nicht zu mobilisieren verstand. Das Paradox sei, so Zizek, dass der Liberalismus ein neue, eine radikale Linke braucht, weil „er allein sich selbst unterminieren würde und seine zentralen Grundwerte nicht zu retten vermag“ (15). Gerade durch das Verschwinden der säkularen Linken in den muslimischen Ländern war ein Aufstieg des radikalen Islamismus erst möglich.

Der Islam erkennt zwar auch den Willen nicht zu glauben an, aber dennoch ist es unmöglich für einige Muslime zu schweigen, wenn sie mit Blasphemie – mit einer Abwertung ihrer Religion — konfrontiert werden. Warum sind ihre Reaktionen so leidenschaftlich, wenn sich Hohn und Spott über sie erhebt? Warum geht dieser Handlungsdurck so weit bis zu Mord und Gewalttaten? Und umgekehrt: Warum ist es für die westliche Welt so unerträglich, wenn Muslime ein Kopftuch tragen oder in eine Burka verhüllt sind. Das Problem liegt für Zizek in der Verführung. „Wann bin ich wirklich frei? Und wann glaube ich, dass ich frei handle, wenn ich in Wirklichkeit von den Bildern und der Rhetorik verführt werde?“ (27). Während der Westen die Verführung als Ausdruck von Individualismus feiere, gelte die Verführung im Islam als das größere Übel. Gerade die Verschleierung der Frau im Islam spricht dafür, dass eine ganze Sphäre äußerst sexualisiert ist, die Frau diejenige sei, die verführt, wogegen der Mann sich nur schwer wehren kann. Werden Frauen im Islam vergewaltigt, dann ist sie die diejenige, die verführt hat. Diese Lesart Zizeks wirft Fragen auf. Ist der muslimische Mann so schwach, dass er sich nicht gegen die sexuellen Reize einer Frau zu wehren vermag, und sind die medialen Representanzen eines westlichen Kulturraums schon eine Verführung an sich und sind deshalb die Reaktionen so leidenschaftlich und explosiv?

Folgt man Zizek so wurzelt der islamische Terror nicht darin, dass sich die Funadmentalisten für kulturell und religiös überlegen halten, sondern darin dass sie sich selbst „insgeheim für unterlegen halten“. Das Problem, so Zizek , liegt nicht in den kulturellen Unterschieden, darin die Identität zu bewahren, sondern darin, dass die „Fundamentalisten bereits so sind wie wir – dass sie unsere Standards insgeheim bereits verinnerlicht haben und sich an ihnen messen“ (14).

Die Psychoanalyse hat bisher wenig dazu beitragen, die vielfältigen Diskurse des Islams zu entschlüsseln. Freud, Lacan und auch ein Carl Gustav Jung haben sich nur begrenzt mit dem Islam auseinandersetzt. Was bleibt ist ein riesiger blinder Fleck in den Theoriebildung psychoanalytischer Tradition. Daher schöpft Zizek im zweiten Teil seines Essays ausschliesslich aus dem Werk zur Psychoanalyse und dem Islam von Fethi Benslama. Während im Judentum und im Christentum eine Vater-Beziehung für die psychoanalytische Erklärung zentral ist, „schliesst der Islam Gott aus dem Bereich der väterlichen Logik aus: Allah ist kein Vater, nicht einmal ein symbolischer“ (37). Freud, der sich selbst als gottloser Jude bezeichnete, zieht in seinen Schriften einen Parallele zwischen der Vater-Kind-Beziehung, der kindlichen Verehrung eines übermächtigen Vaters und der Gottesanbetung. In seinem Text „Die Zukunft einer Illusion“ stellt er in Frage, inwieweit die Illusionierung von Besänftigungsstrategien der bedrohlichen Macht in der Vaterfigur Gottes in monotheistischen Religionen zwar keine reale sei, aber eine seelische Entlastung und Überantwortung der eigenen Zukunft an Dritte. Insofern sei für Freud die Grundlage der Religion die menschliche Hilflosigkeit und die infantile Vatersehnsucht (Freud, 1927). „Der Islam hingegen entscheidet sich für die Abstammunglinie Hagars und für Abraham als den biologischen Vater; er wahrt damit den Abstand zwischen Vater und Gott und erhält so Gott im Bereich des Unmöglichen“ (42). Im Islam so Zizek weiter, verköpert gerade Hagar den direkten Zugang zu Gott und damit kündigt „Hagar den mystischen/ weiblichen Zugang zu Gott an, der später im Sufismus entwickelt wird“ (46). Mit einem Rückgriff auf den Kastrationsbegriff von Lacan liefert Zizek so eine neue Interpretation des Islams.

Der Essay Zizeks kann durchaus als ein Meilenstein im Ringen um einen psychoanalytischen Zugang zum Islam gesehen werden; wirft er gerade doch viele Fragen auf, die nach Beantwortung suchen. Für eine Linke gilt es umsomehr sich den vielfältigen Diskursen des Islams zu widmen und herauszuarbeiten, welche unterschiedlichen Strömungen es innerhalb des Islams gibt, welche davon in linker Tradition stehen, welche sich dem Thema Frau und Orient widmen oder einem männlichen Islam, welche auch hinterfragen wie selbst eine säkularisierte Sicht durchdrungen von religiösen Diskursen sein kann. Vielleicht wäre auch hier ein mehr an Foucault sinnvoll, denn ein Lacansche Lesart des Islam verbleibt immer etwas mehr an der Subjektseite verhaftet, als dass sie strukturell aufklärend ist. Und selbst Zizek bemerkt in dem er die feministische Kritikerinnen an Lacan zitiert (53), dass gerade der Islam mit seinem „Misstrauen gegen die Frau“ (61) einer Theoriebildung bedarf, die sich einer explizit weiblichen Subjektivität zu nähern versteht.

Slavoj Zizek: Blasphemische Gedanken: Islam und Moderne, Berlin 2015, übersetzt von Michael Adrian.

Susanne Schade studierte Psychologie und Linguistik in Dresden, Sheffield und an der Discourse Unit in Manchester, dem Centre for Qualitative and Theoretical Research on the Reproduction and Transformation of Language, Subjectivity and Practice. Derzeit ist sie in der Ausbildung zur Tiefenpsychologischen Psychotherapeutin.