Gretchenfrage

„Sag mir, wie hältst Du es mit der Weltpolizei?“

Die Weltpolizei — einst polemischer Begriff gegen unilaterales Vorgehen der USA in internationalen Konflikten. Ist sie heute Vorausssetzung der „Responsibility to Protect“ Geltung verschaffen, wie Rupert Neudeck meint, oder Einfallstor für eine Militarisierung der Außenpolitik?

Margot Käßmann

Die Evangelische Kirche hat in ihrer Denkschrift von 2007 klar den gerechten Krieg abgelehnt und den Vorrang ziviler Mittel zur Konfliktbewältigung betont. Im Notfall kann es „just policing“ geben, eine Art Weltpolizei also, aber nur unter UN Mandat. Auch als Pazifistin kann ich dem zustimmen. So, wie wir im Rechtsstaat das Gewaltpotential der Einzelnen an die Polizei delegieren, die nach Recht und Gesetz zu handeln hat, könnte das auf Weltebene denkbar sein. Das ist etwas völlig anderes als militärisches Eingreifen von Nationalstaaten.

Margot Käßmann ist Pfarrerin und Theologin.

Christine Buchholz

Die Vorstellung, eine wie auch immer geartete Weltpolizei könne Probleme lösen, ist absurd. So genannte Sicherheitskräfte haben die Funktion, die gesellschaftliche Ordnung aufrecht zu erhalten und nicht gesellschaftliche Widersprüche im Interesse der Armen und Ausgegrenzten aufzulösen. Das gilt sowohl für nationale Polizeien, als auch für Armeen auf internationaler Ebene. Sie agieren nie losgelöst von Interessen.

Gerade offenbaren Polizei und Nationalgarde in den USA ihren tiefsitzenden Rassismus. Sie sind nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems.

In Afghanistan hat eine ‚weltpolizeiliche Mission‘ mit Segen der Vereinten Nationen und unter Beteiligung der Bundeswehr 13 Jahre Krieg geführt. Doch in Kundus gewinnen die Taliban gerade an Einfluss zurück. Auch hier gilt: Die Militäreinsätze haben nicht nur Probleme nicht gelöst, sondern neue geschaffen.

Christine Buchholz ist linke Bundestagsabgeordnete und Mitglied im Verteidigungsausschuss.

Ute Finckh-Krämer

Eine Weltpolizei, die nach den Grundsätzen arbeitet, die für die Polizei in demokratischen Ländern gilt, halte ich für sinnvoll und wünschenswert. Also eine Weltpolizei, die das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit des Einzelnen respektiert und dieses Recht nur in Fällen unmittelbarer Notwehr oder Nothilfe verletzt, und die aus Menschen besteht, die eine mehrjährige Polizeiausbildung durchlaufen haben. Für ihren Einsatz müssten - wie für den Einsatz von UN-Blauhelmen - verbindliche Regeln aufgestellt werden, und sie müsste im Rahmen des regulären Haushaltes der Vereinten Nationen verlässlich finanziert werden.

Ute Finckh-Krämer ist Bundestagsabgeordnete der SPD.

Rainer Rilling

Ein paar hundert Imperien haben sich an zahllose Varianten versucht und die letzten der Gattung (USA, China, Europa, Russland) hören einfach nicht auf damit - ganz zu schweigen von den Vereinten Nationen und den üblichen kapitalistischen Hervorbringungen. Da die Idee der Weltpolizei bislang nicht ohne einen irgendwie abstoßenden Weltstaat ausgekommen ist, hat vor ein paar Jahrzehnten der Schotte Ken MacLeod (einer dieser tollen trotzkistischen SF-Autoren) diesem mit der fantasy einer Welt aus ca. 1000 libertären, anarchischen, sozialistischen, anarcho-syndikalistischen und sogar kommunistischen Ministaaten zu Leibe rücken wollen. Wunderbare Idee, doch Leichen pflasterten seinen Plot. Eine staatenlose radikal gewaltfreie Weltpolizei wäre natürlich die freundlichste, wenngleich mit recht voraussetzungsvollen Bedingungen versehene Lösung.

  • Bitte klicken sie auf „EINVERSTANDEN“, um diesen Bedingungen zuzustimmen.
  • Wenn Sie diesen Bedingungen nicht zustimmen, klicken Sie nicht auf „EINVERSTANDEN“ und nutzen Sie diese Polizei nicht.

Rainer Rilling Senior Research Fellow der Rosa Luxemburg Stiftung am Institut für Gesellschaftsanalyse der Rosa Luxemburg Stiftung und Professor für Soziologie an der Philipps-Universität Marburg.

Alexander S. Neu

Die Frage nach einer Weltpolizei, die Doktrinen wie Responsibility to Protect umsetzen soll, ist dahingehend zu beantworten, dass diese Funktion nicht eine Großmacht oder ein hegemonialer Block, wie die NATO, übernehmen kann und darf. Denn Staaten und dahinterstehende Eliten handeln gemäß geostrategischer und ökonomischer Interessen. Alle anderen Motive sind Folklore. Warum helfen denn die Menschenrechts-Bellizisten nicht auch den vielen Millionen Hungernden. Über 20 Mio. Menschen sterben jährlich den Hungertod. Warum schauen unsere „Eliten“ zu, wie fast tagtäglich Menschen im Mittelmeer ersaufen? Warum handelt die EU bzw. Ihre Mitgliedsstaaten nicht? Weil es nicht den ökonomischen Interessen entspricht. Soviel zur Menschenrechtsmoral des Westens. Wenn dem Westen allerdings ein Autokrat nicht passt, dann wird die Menschenrechtsmär erzählt. Die Medien springen drauf, bis die Bürger es endlich auch glauben und den Handlungsbedarf einsehen. Dann endlich wird interveniert. Der Autokrat wird weggeputscht und ein genehmes Regime wird etabliert. Danach bricht zwar der Staat gänzlich zusammen und das soziale Elend greift um sich. Dafür aber sind dann unserer Menschenrechtsapostel nicht mehr zuständig.

Die Frage ist, wer entscheidet, wann, wo und wie militärisch interveniert wird. Erst wenn die UNO umfassend demokratisiert und reformiert ist, ist an „Weltpolizei“-Kompetenzen für die UNO überhaupt zu denken. Alles andere stellt einen Interessenmissbrauch auch der UNO dar.

Alexander S. Neu ist linker Bundestagsabgeordneter und stellvertretendes Mitglied im Auswärtigen Ausschuss.