05.06.2008

Falsche Glücksversprechen

Warum auch Robert Zions Polemik gegen die Vollbeschäftigungsziele der SPD keine Lösung bietet. Eine Replik

Dirk Burczyk
Dirk Burczyk ist Mitarbeiter bei Ulla Jelpke (MdB).

Falsche Glücksversprechen

Warum auch Robert Zions Polemik gegen die Vollbeschäftigungsziele der SPD keine Lösung bietet. Eine Replik

Robert Zions Ausgangspunkt der Überlegung ist das Ende der „industriegesellschaftlichen Normarbeit“. Darüber ließen sich Statistiken anführen, die zugleich zeigen, dass der so genannte Dienstleistungssektor in den vergangenen dreißig Jahren ordentlich gewachsen ist. Weil Lohnarbeit im Industriesektor nicht mehr den Löwenanteil darstellt (anders als in den 50er und 60er Jahren), gibt sie nicht mehr das Leitbild von Lohnarbeitsverhältnissen überhaupt ab.

Daraus zieht der Autor zwei Schlüsse, einen eher implizit, den anderen als utopisches Versprechen: der eine ist, dass das Leitbild von Lohnarbeit nun in der Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft zu suchen sei. Der andere ist die Forderung nach einem Grundeinkommen für alle.

Zum ersten Schluss: Dass von allen möglichen Seiten schon seit einigen Jahren behauptet wird, wir befänden uns auf dem Weg von der Industriegesellschaft in die Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft, macht diese Behauptung weder richtiger noch einleuchtender. Denn erstens ist die in der Industrie geleistete Lohnarbeit nicht so stark zurückgegangen, wie die Statistiken nahelegen. Denn all diejenigen, die unmittelbar produktorientierte Dienstleistungen erbringen – Forscher, Produktentwickler, Speditionen, Werbetexter usw. – waren in früheren Zeiten unmittelbar bei den Industrieunternehmen beschäftigt und wurden daher zum industriellen Sektor gezählt. Erst, seit die Industrieunternehmen produktbezogene Dienstleistungen ausgegliedert haben, zählen sie auch zum Dienstleistungssektor. Zweitens: ein großer Teil industrieller Arbeit ist ja nicht einfach irgendwie verschwunden, sondern wurde an Standorte außerhalb Deutschlands verlegt. Dies ist ein Prozess, der schon früh begann: bereits in den 50er Jahren gab es die ersten Massenentlassungen im Ruhrgebiet. Die Betroffenen waren ausschließlich Frauen aus der Textilindustrie, deren Werke geschlossen und nach Portugal und Spanien verlegt wurden. Auch für die meisten anderen Industrieprodukte gilt: nie wurde mehr davon produziert als heute – nur findet das nicht mehr in Deutschland statt. Wohl aber die darauf bezogenen Dienstleistungen: Produktentwicklung, Marketing, Verkauf. Auch die schlecht bezahlte Schlecker-Verkäuferin erbringt letztlich Dienstleistungen, die sich auf Industrieprodukte beziehen.

Diese Art der Dienstleistungen, die sich rein auf die Distribution von Waren beziehen, waren und sind im ökonomischen Sinne im Übrigen noch nie produktiv; sie dienen einzig dazu, die Waren an den Mann bzw. die Frau zu bringen und so sicherzustellen, dass das vorgeschossene Kapital nebst Profit wieder an den Kapitalisten zurückfließt.

Solcherart Dienstleistungen können gar nicht in Produktivität gemessen werden, die ausgehandelte Lohnhöhe ist schlicht und ergreifend das Ergebnis von Aushandlungsprozessen. Es gilt weiterhin, dass sich die Arbeiterinnen und Arbeiter von ihrem Lohn reproduzieren können müssen. „Hungerlöhne“ sind dabei kein Zeichen niedriger Produktivität, wie Zion wohl meint, sondern einerseits der Schwäche der ArbeiterInnenbewegung, im konkreten Fall Lohnerhöhungen durchzusetzen, und andererseits der langfristigen Folge dieses Scheiterns: die Summe, die den einzelnen in der Gesellschaft zugestanden wird, sich zu reproduzieren. Das Kapital versucht dabei schon immer, die Lohnhöhe auf das physische Existenzminimum zu drücken. Die Schlecker-Mitarbeiterin ist davon stärker bedroht als der hoch spezialisierte Metallarbeiter, dessen hoher Lohn zugleich Stillhalteprämie ist. Mit anderen Worten: Die Bildung der Lohnhöhe ist nicht Ergebnis von ökonomischen Gesetzmäßigkeiten allein, sondern von dem, was man in früheren Zeiten Klassenkampf genannt hat. Dass die ArbeiterInnenklasse dort gerade eine Niederlage nach der anderen einsteckt, bedeutet nicht, dass er nicht mehr stattfindet.

Es wäre aber vollkommen verfehlt, Robert Zion eine affirmative Haltung zu diesen Verhältnissen anlasten zu wollen. Dass Menschen wenig verdienen, sich mit Teilzeitarbeit und geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen über Wasser halten müssen, das alles lehnt er ab. Wenn auch nicht, weil es den Betroffenen beschissen geht, sondern weil es Ausdruck protestantischer Arbeitsethik sei, das gut zu finden. Ganz anti-protestantisch kommt Zion zu seinem zweiten Schluss: der Forderung nach einem Grundeinkommen (und einem „gemeinwohlorientierten Sektor“).

Was Zion damit nahelegt, ist nichts weniger als die Forderung nach einer Stillhalteprämie für diejenigen, die ihre Arbeitskraft auf dem Markt nur zu niedrigen Preisen verschachert kriegen. Statt sich für 800 Euro im Monat den Rücken krumm zu machen, sollen sie lieber zu Hause bleiben – wahrscheinlich fürs gleich Geld. Im „gemeinwohlorientierten Sektor“ können dann diejenigen arbeiten, die darauf keine Lust haben, und sich was dazu verdienen wollen. Machen werden sie da dann wohl die Jobs von den hunderttausenden von ArbeiterInnen und Angestellten, die dort in den letzten beiden Jahrzehnten ihre Stelle verloren haben.

Im Dunkeln bleibt, was Zion mit „neuen Anerkennungs- und Entlohnungsformen von Arbeit“ meint. Soll die Entlohnung demnächst in Naturalien vorgenommen werden, oder in Anteilsscheinen? Und was wäre eine adäquatere Form der Anerkennung als der Lohn? Will Zion die „Straße der Besten“ zurück? Und wie passt das alles zu den „ökonomischen Gesetzlichkeiten“, die auf keinen Fall angegreint werden dürfen, besonders nicht von denjenigen, die gern mit ihrer völligen Unkenntnis dieser „Gesetzlichkeiten“ kokettieren? Solange auf diese Fragen keine befriedigende Antwort gegeben werden kann, sollte die Linke darum kämpfen, dass alle in der Gesellschaft zu „würdigen Bedingungen“ bzw. schlicht einem ordentlichen Lohn ihre Arbeitskraft verkaufen können.