Zivil helfen

Konfliktbearbeitung als Alternative zu Militärinterventionismus

Kathrin Vogler
Katrin Vogler

Wer sich gegen Militäreinsätze stellt, dem wird oft vorgeworfen, dass er angesichts von Krieg und Gewalt zynisch Nichtstun predige. Aber: Es gibt Möglichkeiten, Gewalt und Menschenrechtsverletzungen wirksam zu beenden, ohne zu den Waffen zu greifen.

Die Beendigung des Bürgerkriegs auf der Pazifikinsel Bougainville ist so ein Beispiel. Bougainville, das aufgrund seiner Kolonialvergangenheit (übrigens von 1886 bis zum I. Weltkrieg als Teil von Deutsch-Neuguinea) politisch zu Papua-Neuguinea gehört, geografisch und ethnisch aber zu den Salomonen, erlebte seit 1988 einen blutigen Bürgerkrieg.

Dabei kämpfte die Bougainville Revolutionary Army für Unabhängigkeit von Papua-Neuguinea. Auslöser war der Streit über die Erlöse aus einer Kupfermine, die einen Großteil des Bruttosozialprodukts Papua-Neuguineas erwirtschaftete. Dem Bürgerkrieg fielen über zehn Prozent der etwa 200 000 Einwohner der Insel zum Opfer, die Infrastruktur wurde komplett zerstört, massive Menschenrechtsverletzungen – Mord, Folter, Vergewaltigungen, Verschwindenlassen – waren an der Tagesordnung und betrafen vor allem die Zivilbevölkerung. 1997/98 kam es zu zwei von Neuseeland unterstützten Waffenstillstandsabkommen, nachdem beide Bürgerkriegsparteien einsahen, dass sie diesen Krieg nicht gewinnen konnten. An der Aushandlung des Waffenstillstands waren auch zivilgesellschaftliche, vor allem kirchliche und Frauenorganisationen beteiligt.

Der Waffenstillstand wurde von einer unbewaffneten Truce Monitoring Group(TMG)/Peace Monitoring Group (PMG) überwacht, die aus 370 unbewaffneten und zivil gekleideten Personen bestand, überwiegend SoldatInnen und einige ZivilistInnen aus Neuseeland, Australien, Fidschi und Vanuatu. Die Hauptaufgabe der Mission war es, Patrouillen durchzuführen und Brüche des Waffenstillstands aufzuklären. Die Patrouillen suchten, von DolmetscherInnen begleitet, die Einwohner in den Dörfern auf, verteilten Informationsmaterial, klärten über den Friedensprozess auf und beteiligten sich an Diskussionen.

Die Mission war erfolgreich. Schnell wurde Vertrauen auf allen Seiten aufgebaut, besonders unter den Einwohnern der Dörfer. Gerade dass die Mission unbewaffnet und für ihre eigene Sicherheit auf die Unterstützung der lokalen Bevölkerung angewiesen war, hat dazu beigetragen, dass die Mission erfolgreich war. Aber auch in Bougainville ist Frieden ein langer Prozess. Bougainville ist jetzt eine autonome Provinz innerhalb Papua-Neuguineas, in den nächsten Jahren soll ein Referendum über die Unabhängigkeit von Papua-Neuguinea stattfinden.

Schon dieses eine Beispiel unter vielen zeigt: Methoden ziviler Konfliktbearbeitung sind wirksamer und nachhaltiger als Militäreinsätze; sie kommen ohne die verheerenden Zerstörungen von Menschenleben, Infrastruktur und Umwelt aus. Wenn sie klein und unbedeutend wirken, dann liegt das vor allem an der mangelnden politischen Unterstützung und an den geringen Mitteln, die dafür aufgewandt werden. Denn zivile Konfliktbearbeitung umfasst ein weites Spektrum an Aktivitäten. Verhältnismäßig gut bekannt ist der Zivile Friedensdienst (ZFD): Finanziert vom Entwicklungsministerium werden ausgebildete Friedensfachkräfte (in aller Regel berufserfahrene Menschen, die eine Zusatzausbildung als Friedensfachkraft/KonfliktberaterIn absolviert haben) in Absprache mit lokalen Partnerorganisationen in Konfliktregionen entsandt. Die Friedensfachkräfte wirken dort in der Gewaltprävention oder der Friedenssicherung nach Konflikten mit. Die konkrete Arbeit ist vielfältig: Begegnungen, Mediation, Unterstützung von lokalen Dialog- und Versöhnungsinitiativen, Menschenrechtsarbeit, Unterstützung von besonders von Gewalt betroffenen Gruppen und die Schulung von JournalistInnen. Die Arbeit setzt meist auf der Graswurzelebene an, manche Projekte arbeiten aber auch gezielt mit MultiplikatorInnen. Diese Arbeit muss mit Peanuts zurechtkommen: Für den Zivilen Friedensdienst wird im Bundeshaushalt gerade einmal ein Tausendstel des Verteidigungshaushalts bereitgestellt.

Nicht nur vor und nach Gewalthandlungen, sondern auch während bewaffneten Konflikten kann erfolgreich gewaltfrei eingegriffen werden. Das zeigt zum Beispiel die Arbeit der Nonviolent Peaceforce im Südsudan. Nonviolent Peaceforce (NP) ist eine internationale Organisation mit Mitgliedern von allen Kontinenten, die auf Einladung durch lokale Partner tätig wird. Der Südsudan ist das jüngste Mitglied der Vereinten Nationen, das 2011 nach einem Referendum unabhängig vom Sudan wurde. Weihnachen 2013 kam es dort zu blutigen bewaffneten Machtkämpfen. NP hatte da bereits mit 100 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern in sechs Bundesstaaten des dünn besiedelten Landes lokale Schutznetzwerke aufgebaut. Diese konnten dazu beitragen, dass es trotz des Bürgerkriegs in vielen gemischten Nachbarschaften ruhig blieb, dass Menschen unterschiedlicher Stammeszugehörigkeit sich gegenseitig beschützten und halfen. Die Teams von NP sorgten in den Flüchtlingslagern für Sicherheit, überprüften Gerüchte über Gräueltaten und halfen so, Spannungen zu deeskalieren. Seit Abklingen der Kämpfe begleiten sie wieder die Wanderungen der Viehherden, die in früheren Jahren immer wieder zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Ackerbauern und Viehzüchtern mit hunderten Toten geführt haben. Auch die Rückkehr der Binnenflüchtlinge und die Ermöglichung von Verhandlungen und Versöhnungsprozessen erfordert eine Präsenz in der Fläche des Riesenlandes, die nur durch eine Vielzahl lokaler Initiativen aufrechterhalten werden kann. Diese sind dadurch deutlich effizienter als die UN-Mission UNMISS, an der auch deutsche SoldatInnen und PolizistInnen beteiligt sind, und die ein Vielfaches an Ressourcen verschlingt.

Zum Schluss ein Gedanke zur Gewaltprävention: Vorbeugende Friedenspolitik muss auf eine Veränderung der „kannibalischen Weltordnung“ (Jean Ziegler) hinwirken. Ein Wirtschaftssystem, dessen Grundprinzip die Ausbeutung der einen für die Profite der anderen ist, ruft immer neue, auch gewaltsame Verteilungskonflikte hervor. Und natürlich brauchen wir eine Außenpolitik, die für Entspannung und Zusammenarbeit wirbt, statt Abschreckung und Konfrontation zu betreiben. Dazu gehört Abrüstung und ein konsequenter Verzicht auf Rüstungsexporte. Es bleibt richtig, in den Debatten um neue Bundeswehreinsätze darauf hinzuweisen, wo die Bundesregierung nicht präventiv gehandelt und sogar konfliktverschärfend agiert hat, aber in der konkreten Auseinandersetzung um die Zustimmung oder Ablehnung von Kriegseinsätzen wird immer wieder die Frage kommen: Was soll man denn sonst tun? Und in dieser Situation ist der Hinweis auf erprobte und erfolgreiche Maßnahmen der Zivilen Konfliktbearbeitung hilfreich.

Natürlich ist nicht alles zivil, was von der Bundesregierung als „Stabilisierung“ und „Krisenprävention“ verkauft wird. Es besteht die Gefahr, dass all diese Instrumente in eine Außenpolitik eingebunden werden, die Militär einsetzt. Die, wenn es sich lohnt und wenn eigene SoldatInnen nicht gefährdet werden sollen Waffen liefert und die zivile Instrumente vorrangig dafür nutzt, die Folgen dieser falsch verstandenen Außenpolitik einzuhegen. Der Ausbau von Polizeimissionen ist dann noch der Joker, der eingesetzt werden kann, wenn militärische Instrumente nicht leistbar oder durchsetzbar sind und zivile Instrumente nicht genug Handlungsfähigkeit oder Bündnistreue signalisieren. Wenn das Auswärtige Amt, wie angekündigt, die Krisenprävention stärken will, dann muss kritisch beobachtet werden, ob es darum geht, zivile Elemente außenpolitischen Handelns wirklich zu stärken oder ob doch wieder nur ziviles Handeln zur Bemäntelung einer militärinterventionistischen Politik benutzt werden soll.

Kathrin Vogler ist Bundestagsabgeordnete für DIE LINKE. Sie vertritt ihre Fraktion im Unterausschuss Zivile Krisenprävention. Vor ihrer Tätigkeit als Abgeordnete hatte sie verschiedene Funktionen in der Friedensbewegung inne, u. a. als Gründungssprecherin des Dachverbands Kooperation für den Frieden.