„Wir fordern die Mächtigen mit Recht heraus“

Interview mit Miriam Saage-Maaß vom European Center for Constitutional and Human Rights

prager frühling: Das European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR) organisiert inter- und transnationale Klageverfahren, unter anderem gegen Großkonzerne wie Nestlé und Regierungen wie die US-amerikanische. Kannst du uns kurz die Idee schildern?

Miriam Saage-Maaß: Es geht um die Aufklärung und Anerkennung von Unrecht und es geht darum, die Verantwortlich für Unrecht zur Verantwortung zu ziehen. Menschen, die gefoltert wurden, weil sie in Opposition zu ihrer Regierung standen; Personen die zufällig in das Fadenkreuz der CIA geraten sind; Arbeiter_innen, die bei der Produktion für europäische Unternehmen ausgebeutet werden, oder auch Menschen, denen durch große Infrastrukturprojekte mit deutscher Beteiligung die Lebensgrundlage entzogen wird, fordern immer häufiger ihre Rechte ein. Das ECCHR unterstützt sie dabei. Diese Menschen wollen zum einen Aufklärung und Anerkennung des erlittenen Unrechts. Zum anderen sind sie oft auch auf materielle Entschädigung angewiesen, damit sie ihr Leben weiter gestalten können. Wir arbeiten mit den Betroffenen von solchen schweren Menschenrechtsverletzungen und ihren Organisationen aus dem globalen Süden zusammen. Gemeinsam mit ihnen und ihren Anwält_innen überlegen wir, welches juristische Vorgehen sich für sie und ihre Ziele eignet. Wir fordern die Mächtigen aus Politik und Wirtschaft mit Recht heraus.

prager frühling: Aber sind Rechtsverfahren dafür überhaupt geeignet? Kann man die Mächtigen damit wirklich herausfordern?

Never mind the papers! Recht ist umstritten und manchmal auch umkämpft.

Saage-Maaß: Die linken Kritiken am Recht sind berechtig, wir setzen aber auf das emanzipatorische Potential des Rechtes. Wir wollen das Recht dem Unrecht der Mächtigen, egal ob es sich dabei um Staaten, Paramilitärs oder Wirtschaftskonzerne handelt, entgegensetzen. Durch rechtliche Verfahren, sei es eine Strafanzeige bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main, eine Zivilklage in Italien oder eine Anzeige beim Internationalen Strafgerichtshof, helfen wir den Betroffenen, sich ein Forum zu erschließen, in dem sie ihre Rechte und ihre Forderungen nach Aufklärung, Anerkennung und Entschädigung geltend machen können. Wir wollen die Straflosigkeit beenden. Wir sagen: „Liebe Militärs und Staatsdiener, liebe Wirtschaftsbosse, wenn ihr Eure Macht missbraucht und Menschenleben zerstört, müsst ihr damit rechnen, dass Ihr Euch noch Jahrzehnte mit Gerichtsverfahren auseinandersetzen müsst.“ Mit den Rumsfeld-Fällen und den draus resultierenden anderen Verfahren ist uns das in den vergangenen zehn Jahren gelungen. Wir geben nicht schnell auf.

prager frühling: Wir beschäftigen uns ja in dieser Ausgabe des prager frühling mit internationaler Politik. Wie schätzt ihr denn die Entwicklung der letzten Jahre ein? Sind wir auf dem Weg zu einem umfassenden Weltrechtsprinzip?

Saage-Maaß: Leider sind wir noch weit entfernt von einem umfassenden Weltrechtsprinzip. Es gibt ein solides internationales Wirtschaftsrecht, das die Interessen der globalen Wirtschaft absichert. Doch die sozialen Menschenrechte sind nur schwer durchzusetzen, obwohl sie im internationalen Recht klar definiert sind. Das gilt für das Verbot der Folter wie für schwere Kriegsverbrechen gleichermaßen. Sie gelten universell, die Durchsetzung ist jedoch schwierig.

prager frühling: Was müsste denn getan werden, um das zu ändern?

Saage-Maaß: Der Internationale Strafgerichtshof muss endlich bereit sein, auch gegen die westlichen Staaten und deren Verbündete vorzugehen. Die Aufnahme von Vorermittlungen gegen britische Militärs und Regierungsmitglieder wegen Folter im Irak im Mai 2014 waren ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Aber das ist noch nicht genug. Es muss international auch endlich anerkannt werden, dass Topmanager eine echte Rechtspflicht haben, Menschenrechtsverletzungen ihrer Tochterunternehmen und Zulieferbetriebe zu verhindern. Wer global Profite macht, muss auch global Verantwortung tragen. Derzeit können sich die Unternehmen aus der EU und Nordamerika noch hinter komplizierten Unternehmensstrukturen und Wertschöpfungsketten verstecken. Diese sind aber nicht naturgegeben. Sie sind Ergebnis gezielter Freihandelspolitiken und neoliberaler Produktionsmethoden. Das ist organisierte Unverantwortung. Wir brauchen klare gesetzliche Regelungen. Das ist vor allem deswegen so wichtig, weil die Wirtschaftsaktivitäten europäischer Unternehmen eben nicht per se zur Entwicklung der Länder des Südens beitragen. Allzu oft schwächen die Geschäftspraktiken die Gewerkschaften vor Ort oder tragen direkt oder indiretk zur blutigen Niederschlagung sozialer Proteste bei. Damit sich die betroffenen Menschen organisieren können und ihre sozialen Interessen gegen Wirtschaftsinteressen durchsetzen können, brauchen sie Freiräume. Diese Freiräume können auch durch juridische Verfahren geschaffen werden.

Dr. Miriam Saage-Maaß ist stellvertretende Legal Director des European Center for Constitutional and Human Rights (ECCHR), wo sie das Programm Wirtschaft und Menschenrechte leitet. Sie hat unter anderem an zivilrechtlichtlichen Verfahren gegen Unternehmen wie Lidl und KiK wegen der Ausbeutung von Arbeitnehmer_innen in Bangladesch und Pakistan gearbeitet. Ebenso betreibt sie verschiedene strafrechtliche Verfahren gegen hochrangige Manager transnationaler Konzerne wegen deren Beteiligung an Menschenrechtsverletzungen im Sudan, der DR Kongo oder Bahrain.