Mitten drin statt nur dabei

Über das Team Welcome United 03

Katharina Dahme

Für Fans großer Fußballvereine mag es etwas ganz Alltägliches sein, wenn die Stars ihres Vereins im ZDF Sportstudio zu Gast sind. Als Fan eines Viertligisten ist man hingegen schon froh, wenn es der eigene Klub in die Berichterstattung des Regionalsenders schafft. So war es für mich ein auf vielen Ebenen besonderer Abend, als Abdelhafid Ahmed Anfang September ins ZDF Sportstudio eingeladen wurde. Er saß dort neben Dortmunds Abwehrspieler Neven Subotic, von dem kleine und große Kinder Autogramme und Trikots sammeln. Das Thema der Sendung war nicht mehr und nicht weniger als die Kraft des Fußballs und was diese vermag, wenn es um die Integration von Geflüchteten in Deutschland geht. Abdihafid Ahmed, genannt Abdi, ist Spieler des SV Babelsberg 03 – dem Verein, für den seit Langem mein Fußballherz schlägt. Genauer gesagt: Er ist der Kapitän der dritten Mannschaft, von Welcome United 03, einer Mannschaft, die nur aus Geflüchteten besteht und im Sommer 2014 von den Babelsbergern gegründet wurde, nachdem Potsdamer Geflüchtete nach Möglichkeiten gesucht hatten, regelmäßig zu kicken. Der Verein stellte sofort die nötige Infrastruktur zur Verfügung: einen Trainingsplatz, Bälle, Fußballschuhe und Trikots. Die „Nordkurve“, ein Zusammenschluss verschiedener Babelsberger Fangruppen, sammelte bei den Heimspielen Geld und wurde Trikotsponsor. Ein Jahr später wurde Welcome United 03 für den regulären Spielbetrieb angemeldet und spielt nun in der Kreisklasse um den Aufstieg mit. Ganz unten muss man als neues Team anfangen, aber die Liga ist hier sowieso Nebensache. Der Klub finanziert einen Trainer mit einer Aufwandsentschädigung.

Abdihafid Ahmed im ZDF-Sportstudio

Abdi wird nun seit geraumer Zeit immer wieder eingeladen, seine Geschichte zu erzählen: die der ersten Flüchtlingsmannschaft Deutschlands und die seiner Flucht. Der Moderator an diesem Abend, Jochen Bendel, der sonst deutlich prominentere Gäste in seiner Sendung begrüßt, wirkt nervös. Er begibt sich auf dünnes Eis. Denn so schön dieses Beispiel gelebter Solidarität und Integration ist, so sprachlos macht, was Abdi von seiner Flucht erzählt. Ich habe seine Geschichte mittlerweile oft gehört und frage mich jedes Mal, ob man ihm das zumuten darf. Ihn die Geschichte immer und immer wieder erzählen zu lassen. Wie er seine Heimat Somalia verlassen musste, nachdem die Al-Shabaab-Miliz mehrere Mitglieder seiner Familie ermordete. Wie er zu Fuß durch die Wüste floh und mit dem Boot das Mittelmeer überquerte. Wie das Boot kenterte und von über 170 Menschen nur fünf überlebten. Wie sie um ihn herum ertranken, darunter viele Kinder, und er nicht helfen konnte, weil die Kraft gerade noch reichte, sich selbst über Wasser zu halten. Bendel will, dass sein Gast das erzählt – und ich will es auch, weil ich will, dass viele Menschen das hören und sich dabei genauso unwohl fühlen wie ich. Abdi sitzt dort also zur besten Sendezeit und erzählt seine Geschichte. Man will diese Geschichte am liebsten so im Raum stehen lassen. Die Zuschauer in ihren geheizten Wohnungen, auf den gemütlichen Familiensofas mit einem schlechten Gefühl zurücklassen, statt im Studio zum heiteren Torwandschießen weiterzugehen.

Aber es geht ja um die Kraft des Fußballs und was diese vermag, wenn es um die Integration von Geflüchteten in Deutschland geht. Abdi war in Somalia Spieler in einer Nationalauswahl und dachte auf der Flucht, dass er nie wieder Fußball spielen wird. Nun geht er jede Woche zum Training und zu Punktspielen. Er trägt das Trikot von Welcome United stolz und bei jeder Gelegenheit. Sein Traum ist, wieder bei einem großen Verein zu spielen. Er meint damit auch die erste Mannschaft von Babelsberg. Das ist die schöne Geschichte des Abends.

Sie soll stellvertretend stehen für die engagierten Vereine, die Flüchtlinge ins Stadion oder zu Trainingseinheiten einladen. Es sind unzählige Vereine, große und kleine, darunter Klubs, von denen man es nicht erwartet. Als Fußballfan war ich - ohne übertreiben zu wollen - auf eine sonderbare Weise davon berührt, wie engagiert Mitglieder und Funktionäre der Klubs waren, während sich der DFB in seiner Trägheit gerade mal das Prädikat „stets bemüht“ erarbeiten konnte. Die Aktion #refugeeswelcome der BILD war dann fast dazu in der Lage, all das Engagement von unten, innerhalb eines Wochenendes zu zerstören. 36 Erst- und Zweitligisten sollten mit der BILD-Aktion auf dem Trikotärmel auflaufen. Es ist dem FC St. Pauli zu verdanken, dass diese schäbige Instrumentalisierung der Geflüchteten zugunsten einer PR-Kampagne der BILD nicht gelang. Der FC St. Pauli verweigerte die Teilnahme und immerhin sieben weitere Klubs sagten ebenfalls ab. In fast allen Stadien sah man am besagten Wochenende #bildnotwelcome-Banner, Fans machten ihrer Wut Luft.

Zurück ins Sportstudio: Dort musste sich auch Ahmed Abdihafid Luft machen. Als Moderator Bendel gerade an Lockerheit gewann, - die schwierigsten Themen waren da immerhin abgehakt -, berichtet Abdi vom alltäglichen Rassismus auf der Straße. Dort werden er und die Bewohner aus einer Sammelunterkunft für Geflüchtete böse angesehen und bepöbelt. Man lässt sie spüren, dass sie nicht erwünscht sind. Abdi legt den Finger in die Wunde. Die sachliche und dabei schonungslose Art seiner Beschreibung des rassistischen Alltags in Deutschland tat der allgemeinen Wohlfühlstimmung kurz vor Ende der Sendung sichtlich gut. Sie erinnerte daran, dass es nicht reicht, wenn ein paar wenige Geflüchtete das Glück haben, bei einem Verein Fußball spielen zu können. Im Studio wurde es da ganz ruhig.

Mir bleibt zum Trost gegen diese Verzweiflung die Erinnerung an ein Gespräch mit Abdi. Er hatte, als er mir von jenen Anfeindungen auf der Straße erzählteauch gesagt: „But when I come to Babelsberg, to the team, it feels like home.“ Immerhin.

Katharina Dahme arbeitet für das Fußballmagazin 11FREUNDE, ist Mitglied im Parteivorstand der Partei DIE LINKE und im Aufsichtsrat des SV Babelsberg 03.