„Wo soll ich hingehen?“

Frank Spilker im Gespräch über „Flucht in die Flucht“

Schickes Albumcover

Beim Fest der Linken spielten Die Sterne. Irgendwie war es surreal, weil sich kurz vor Beginn des Konzerts das Klientel praktisch austauschte: Aus gesetzt wurde hibbelig. Aus der UZ unter Arm wurde ein mitgebrachtes Bier in der Hand. Trotzdem hat am Ende niemand bei „Fickt das System“ mit geschrien. Anyway, das Konzert war toll und wir sind ganz dankbar, dass wir vorab mit Frank Spilker, dem Sänger der Sterne, ein Gespräch führen konnten.

prager frühling: Wenn ich es richtig verstanden habe, geht es in eurem aktuellen Album „Flucht in die Flucht“ weniger um die Flüchtlinge sondern um Entfliehen.

Frank Spilker: Es geht um die innere Flucht. Um die Möglichkeiten, die einem bleiben, um den Druck auszuweichen. In einem ganz abstrakten Sinn kannst du das natürlich auch übertragen auf Migrationsbewegungen, weil das natürlich auch eine Drucksituation ist, die Leute veranlasst, den Ort zu verlassen, an dem sie Freunde haben, ein Leben und ein Einkommen. Aber nur ganz abstrakt. Denn das, worum es in dem Album geht, sind Fluchtbewegungen, die wir kennen. Die haben mehr etwas damit zu tun, dass einem alles aus dem Hals raushängt und man in der Kneipe versackt oder Musik, oder was man sich zurecht gestrickt hat, nutzt, um dem Druck von außen Stand zu halten oder auszuweichen.

pf: Ihr habt einmal diese Flucht als Ende und einmal, nämlich in dem Stück „Wo soll ich hingehen“, als Anfang beschrieben.

Frank Spilker: Ich finde das ganz interessant, dass du das so siehst. Das stimmt absolut. Das ist im Grunde so eine Aufbruchssituation, wo man erst mal einfach nur weiß, dass man sich bewegen muss, dass man da, wo man ist, nicht bleiben kann. Aus was für Gründen auch immer. Für mich ist das ja ein sehr jugendlicher Song, der ist eigentlich gar nicht altersgemäß. Finde ich jedenfalls, wenn ich mich da selbst höre. Denn die Fragen, die darin gestellt werden – Wo soll ich hingehen? – das sollt man mit beinahe 50 doch irgendwann mal wissen.

Leg Dich dazu! Betrunken in der Öffentlichkeit kann auch mit 50 noch stilvoll sein

pf: Aber ob man in dem Alter unterm Tresen liegen und „Leg dich dazu!“ zu singen sollte (wie im Lied „Flucht in die Flucht“) ...

Frank Spilker: Das ist auch eine Situation, über die man besser sprechen kann, wenn man das schon ein paar Mal geübt hat. Ich stelle mir bei dem Lied immer vor, ich bin 17 und muss mit der Welt, wie sie ist, klarkommen. Und das finde ich als Gedankenspiel schon mal sehr gut, weil man sich da nicht so pragmatisch verorten muss. Da geht’s nur darum: Was ist mir eigentlich wichtig.

pf: Für mich ist das Lied „Wo soll ich hingehen?“ sehr passend für die Situation der Flüchtlinge gerade.

Frank Spilker: Da müsste ich den Text nochmal für mich durchgehen. Denn da gibt es ja zwei Stimmen. Wir haben in der Produktion noch eine zweite Stimme erfunden, nämlich die der Aliens, die Standardsätze sagen wie „Reiß dich mal zusammen!“, „Stell dich nicht so an!“, also was man immer so hört als Heranwachsender. Vielleicht stelle ich mich deshalb da so jung vor. Das ist ja das Problematische bei den vielen globalen Kriegen, die da stattfinden, überhaupt noch zu hören, wessen Stimme ist denn jetzt eigentlich noch ursächlich dafür verantwortlich, dass diese Krisenregionen entstehen, aus denen die Leute flüchten. Das ist ja alles sehr schwer nachvollziehbar.

pf: Ich lese den Song eher so: Wo kann ich eigentlich hingehen, um frei zu sein? Und dann auch diese Wartesituation. Wann passiert eigentlich was? Die Flüchtlinge sitzen hier über Monate in diesen Gemeinschaftsunterkünften zusammengepfercht. Und „Wann? Wann? Wann?“ muss ihnen doch unter den Nägeln brennen.

Frank Spilker: Das stimmt. Ich glaube, das ist immer das Geheimnis von einem guten Song, dass er mehr erzählt als nur die eine Geschichte, die man gemeint hat oder sich als Autor entlang gehangelt hat. Ich habe von allen erfolgreichen Songs, die wir hatten, so viele verschiedene Versionen gehört. Das stimmt dann immer. Das Warten, das Auf-der-Stelle-Treten, dieses „Wann hört das endlich auf?“. Ich bin – jetzt nochmal zurück zu den Jugendlichen – 15 Jahre zur Schule gegangen, aber jetzt ist immer noch nichts mit Freiheit. Das gleiche Gefühl kann einen natürlich auch in dieser Fluchtsituation und anderen Situationen, in denen man weitergereicht wird, von einem Warteposten zum anderen. Da kann das Lied auch passen, logisch.

Das Gespräch führte Lena Kreck.