30.10.2015

III Queering families?

Diskussion über emanzipatorische Potentiale von Reproduktionstechnologien mit Inga Nüthen, Antje Barten, Susanne Schultz und dem Regenbogenfamilienzentrum

21. Juni 2015, ein Vertreter der französischen christlich-fundamentalistischen Bewegung „Manif Pour Tous“ steht auf einer Bühne in der Stuttgarter Innenstadt. Mit der Diskussion über die „Ehe für alle“ werde eine Entwicklung „losgetreten“, die „teuflische“ Folgen habe. Als in Frankreich 1999 der PACS – eine zivilrechtliche Partnerschaft, die heterosexuellen und homosexuellen Paaren offensteht — eingeführt wurde, sei versprochen worden, dass Homosexuelle niemals das Adoptionsrecht erhalten sollten. Heute spreche man über Adoptionsrecht sowie über medizinisch unterstützte Fortpflanzung für Homosexuelle. Die Organisatoren der Demonstration verteilen derweil Unterschriftenlisten mit einem „Appell an Angela Merkel“. Dieser kritisiert, eine Öffnung der Ehe würde auch gleichgeschlechtlichen Paaren Volladoption und künstliche Befruchtung ermöglichen. Darüber hinaus behaupten die christlichen FundamentalistInnen, dass die „Legalisierung der […] Leihmutterschaft zwingende Folge“ wäre.

Mit der Realität hat diese Beschreibung wenig zu tun. Das Regenbogenfamilienzentrum des Lesben- und Schwulenverband Deutschlands (LSVD)[1] berät und unterstützt Lesben, Schwule, Alleinstehende bzw. alle, bei denen heterosexueller Geschlechtsverkehr für die Realisierung von Familienplanung nicht in Frage kommt. Leihmutterschaft spielt in der Beratung eine absolut untergeordnete Rolle. Wenn das Thema in Beratungen angesprochen wird, mache man deutlich, dass man nicht dazu berät, da Leihmutterschaft in Deutschland verboten ist.

Sehr wohl problematisch ist, dass der Zugang zu Reproduktionsmedizin von der Bundesärztekammer für lesbische und alleinstehende Frauen systematisch erschwert wird, erklärt die Vertreterin vom LSVD. Dadurch geht es in der Beratung oft erst einmal darum herauszufinden, welche Praxen welche reproduktionsmedizinischen Behandlungen anbieten.

Susanne Schultz (Gen-ethisches Netzwerk e.V.[2]) konstatiert einen Wandel des Verhältnisses zu Reproduktionstechnologien in feministischen Debatten: In den 1980er Jahren sind Techniken wie die In-vitro-Fertilisation als Einfallstor für die Biologisierung sozialer Verhältnisse und für Selektion gesehen worden. Heute beurteilt sie dies vorsichtiger. Schließlich muss man konstatieren, dass Reproduktionstechnologien für queere Familien durchaus Handlungsspielräume eröffnet und damit auch ein Queering von Familie ermöglicht. Die „selektive Anwendung von Reproduktionstechnologien ist aber nach wie vor eine Grenzlinie, die Stärkung antieugenischer Strömungen im Feminismus politisches Ziel. Gleichzeitig lässt sich beides schon lange nicht mehr feinsäuberlich voneinander trennen: Meist werden selektive und nicht-selektive Technologien kombiniert. Will ein Paar mit Hilfe einer Leihmutter ein Kind zur Welt bringen, beinhaltet dies standardmäßig pränataldiagnostische Untersuchungen und gegebenenfalls den Abbruch der Schwangerschaft. Teilweise entsteht der Eindruck, Nutzer_innen hätten am liebsten ein Rückgaberecht für Kinder mit Behinderungen. Die reproduktionsmedizinische Industrie muss also als Ganzes in den Blick genommen werden.

Wir nennen es Arbeit

Der andere wichtige Punkt ist für Schultz, immer auch die Arbeitsverhältnisse in den Blick zu nehmen. Das Verbot von Leihmutterschaft basiert in Deutschland absurderweise auf dem Embryonenschutzgesetz, es geht also vom Embryo und gerade nicht von den Gefahren und Belastungen für die beteiligten Frauen aus. Deren Rolle wird schon durch das verwendete Vokabular verzerrt dargestellt, so Schultz.

So ist die „Eizellspende“ eben keine Spende, sondern Frauen werden, in Ländern in denen diese legal ist, für den Verkauf Ihrer Eizellen bezahlt. Die meisten würden ein solches belastendes und gesundheitsgefährdendes Verfahren auch nicht ohne Bezahlung an sich durchführen lassen. Die einem Eizellverkauf vorangehende hormonelle Behandlung kann im schlimmsten Fall zum Hyperstimulationssyndrom führen, das mit Thrombosen und Nierenversagen einhergeht. In Spanien, wo dieses Verfahren legal ist, sind es vor allem Studentinnen und Migrantinnen, die sich dem aussetzen. Der gesamte – mittlerweile 2 Milliarden US-Dollar schwere – Markt existiert also nur auf Grund ungleicher ökonomischer Ausgangspositionen der beteiligten Akteur_innen.

Dasselbe gilt für die Leihmutterschaft bzw. Auftragsschwangerschaft. Die Schwangeren müssen sich neun Monate nicht nur den Anstrengungen einer Schwangerschaft, sondern vor allem auch engmaschiger medizinischer Überwachung aussetzen. In Ländern wie z.B. Indien, wo es mittlerweile ungefähr 300.000 Reproduktionskliniken gibt, müssen sie sich in dieser Zeit zudem auch oft erst an Orte begeben, in denen diese medizinische Überwachung möglich ist, sie mithin „überwachbar“ sind. Hier liegen also hochgradig asymmetrische Machtverhältnisse vor. Das was als reproduktive Selbstbestimmung angepriesen wird, bedingt auf der anderen Seite geradezu eine hochgradige Fremdbestimmung auf der anderen Seite.

Eine emanzipatorische feministische Kritik an Reproduktionstechnologien wie Leihmutterschaft und Eizellverkauf muss daher die Tätigkeit in der Reproduktionsmedizin als Arbeit begreifen, um die dort stattfindende Ausbeutung kritisieren zu können, ohne die Frauen bzw. deren Eizellen zum Rohstoff zu degradieren. Dies ist ein entscheidender Unterschied zu einer liberalen Sichtweise, die es als Emanzipation feiert, dass Frauen nun für eine Tätigkeit bezahlt würden, die sie zuvor unbezahlt verrichtet hätten.

Eine Aufrechterhaltung des Verbots von Leihmutterschaft kann also sinnvoller Weise nur damit begründet werden, dass man diese Form der Arbeitsausbeutung verhindern will. Die Dämonisierung von Frauen, die ein geborenes Kind für Geld weggeben, muss hingegen zurückgewiesen werden. Sie dient lediglich dazu, traditionelle und naturalisierende Bilder von Mutterschaft zu konservieren.

Was tun mit „Selbstbestimmung“?

Was also tun mit dem Konzept Selbstbestimmung? Antje Barten (Arbeitskreis mit_[3]ohne Behinderung[4] – ak moB) betonte die Ambivalenz des Begriffs aber auch den Wert, den er als Abwehrbegriff in der Behindertenbewegung gehabt hat — zur Abwehr ganz konkreter Fremdbestimmung über die eigenen Lebensbedingungen und über den eigenen Körper. Gleichzeitig stellt sie auch das ambivalente Verhältnis zum Staat heraus: Wenn man davon ausgeht, dass 'eugenische' Vorstellungen breit in der Gesellschaft verankert sind, so kann staatliches Eingreifen auch bedeuten, anti-diskriminierend zu wirken. So ist beispielsweise die UN-Behindertenrechtskonvention ein wichtiger Bezugspunkt für die Behindertenbewegung und wurde von Teilen dieser mit erkämpft. Die Konvention enthält auch dahingehend interpretierbare Artikel, die ein Verbot von PND als diskriminierende Praxis rechtfertigen könnten. Die Forderung nach Rückzug des Staates ist dann auch eine Forderung nach Zurücknahme anti-diskriminierender Errungenschaften. Gleichzeitig kann die Deregulierung von Reproduktionstechnologien bedeuten, dass dann vor allem Menschen Zugang haben, die es sich leisten können. Das hätte zur Folge, dass sich angeborene Behinderungen vor allem in finanziell schwächeren Schichten wiederfinden.

Aus dem Publikum wurde die Frage aufgeworfen, ob die implizite Gegenüberstellung von Selbstbestimmung und Normierung, wie sie häufig anzutreffen sei, haltbar ist. Der Glaube, man könne sich der Norm entziehen, sei eigenwillig. Als Individuen entwickeln wir uns schließlich zunächst vor allem in Auseinandersetzung mit der Umgebung. Normierung sei somit Teil des Selbst. Wenn diese Normierungen aber Teil des Selbst sind, dann ist eben auch die Norm an sich bereits selbstbestimmt. Daran anknüpfend stellt sich die Frage, wie denn mehr Handlungsspielräume entstehen. Welche Voraussetzungen haben diese, wie sind sie strukturiert? Dies ist wichtig mitzubedenken, wenn es darum geht, neue Entscheidungsspielräume zu erkämpfen – denn sonst werden die ihnen zugrunde liegenden Normierungen verschleiert. Mehr Spielräume sind also besser als weniger, aber deshalb noch lange nicht die Garantie für von Normierung befreite Entscheidungen.

In den gegebenen gesellschaftlichen Verhältnissen, die durch Prekarisierung, Neoliberalismus und Individualisierung geprägt sind, sollte eine Forderung nach Selbstbestimmung immer die Kritik an diesen Rahmenbedingungen beinhalten. Das kann ganz konkret bedeuten, die immer weiter um sich greifenden Erwartungen an das Individuum – Biographie-, Zeit- und Selbstmanagement usw. – zurückzuweisen und sich denen zu widersetzen.

Aus dem Publikum gibt es dazu einen weiteren Hinweis: Wenn Selbstbestimmung als Recht von Individuen begriffen wird, sich machtvollen Anrufungen zu entziehen, so hat der Begriff unterschiedliche Bedeutungen: Für als privilegierte Menschen kann Selbstbestimmung meinen, sich den Anforderungen erfolgreich, produktiv und effektiv zu sein, zu widersetzen. Für marginalisierte Menschen kann es dagegen bedeuten, gesellschaftlichen Erwartungen von Bescheidenheit und Zurückhaltung abzuwehren. Damit würde der Begriff anknüpfungsfähig für alle, wenn auch mit unterschiedlichen Bedeutungen.

Eine aufgeworfene Frage war, in welche Richtungen das Sprechen über Reproduktionsmedizin überhaupt erweitert werden muss. Die Konzentration auf Paarbeziehungen und Kinderaufzucht sei schon eine problematische Engführung, die hinter die Kämpfe der sexuellen Revolution zurückfalle. So auch die Frage nach dem Wunsch nach dem eigenen biologischen Kind. Mit solchen Glücksansprüchen gelte es auch umzugehen und nicht die konservative Ineinssetzung von Sexualität und Kinderaufzucht zu akzeptieren. Dabei spielen Mehr-Elternschaften in der Beratung des LSVD eine große Rolle: Vor allem befreundete Paare kommen immer wieder, weil sie gemeinsam ein Kind bekommen wollen. Die Zeugung ist dabei meist das geringste Problem: Die Bechermethode im privaten Kontext führt häufig zum gewünschten Ergebnis – da spielt die reproduktionsmedizinische Industrie also meist gar keine Rolle. Etwas anderes ist die Frage nach der rechtlichen Absicherung, denn im deutschen Rechtssystem sind nur maximal zwei Elternteile vorgesehen.

Daran anknüpfend wird Kollektivität als Kategorie relevant, die auf den ersten Blick ein Spannungsverhältnis zu einem eher individuell verstandenen Selbstbestimmungsbegriff darstellt. Ist denn ein kollektiv gedachter Selbstbestimmungsbegriff möglich?

Inga Nüthen stellt dazu fest, dass in früheren feministischen Debatten der Bezug auf Kollektivität eine größere Rolle gespielt hat. Vielleicht ist es daher (wieder) möglich, einen Selbstbestimmungsbegriff zu entwickeln, der den Kontext mitdenkt. Susanne Schultz bekräftigt das. Früher habe sich die Frage gestellt, was bräuchte es für einen gesellschaftlichen Kontext, damit Selbstbestimmung überhaupt möglich ist. So werden bei den angeschnittenen Themen zum Beispiel die aktuellen Bedingungen von Sorgearbeit relevant: Würde diese kollektiver organisiert sein, wäre sicher die 'Angst' vor einem behinderten Kind auch weniger groß, so Schultz. Ob es möglich ist, einen Selbstbestimmungsbegriff zu entwickeln, der die Selbstbestimmung aller Beteiligten beinhaltet (also beim Beispiel Leihmutterschaft die Fremdbestimmung der Auftragsschwangeren kritisiert) oder ob es darum geht, Selbstbestimmung und seine Rahmenbedingungen immer gleichzeitig zu thematisieren, bleibt umstritten.

Eine wichtige Erkenntnis gibt es am Ende trotzdem: Selbstbestimmung und Reproduktionstechnologien sind keine Themen, die nur diejenigen interessieren, die diese Technologien nutzen. Sie sind Themen, die uns alle betreffen. Soll es ein Recht auf („gesunde“) Kinder geben? Wie sollen diese aufgezogen werden? Welche Arten von Familien soll es geben? Am Ende geht es um die Frage, wie die Gesellschaft aussehen soll, in der wir gemeinsam leben wollen.

Nach dem Diskutieren: Blockieren!

19. September, Berlin Unter den Linden. Kein Durchkommen. Auf dem Boden sitzen Demonstrant_innen, hinten ihnen stehen reihenweise weitere. Passant_innen reihen sich spontan ein. Bis die Polizei die Blockaden geräumt hat, ist es 18 Uhr. Viele der selbsternannten LebensschützerInnen sind bereits auf dem Heimweg. Die feministischen Proteste haben gezeigt, der Kampf für die Abschaffung des § 218 geht weiter, den Kampf gegen Eugenik und Ableismus überlassen wir nicht den christlichen FundamentalistInnen.

Links:

  1. http://berlin.lsvd.de/projekte/regenbogenfamilien/
  2. http://www.gen-ethisches-netzwerk.de/
  3. http://www.ak-mob.org/
  4. http://www.ak-mob.org/