Gretchenfrage

Sag mir, wie hältst Du es mit der Sicherheit?

Diese Frage soll Sie verunsichern: Sag mir, wie hältst Du es mit der Sicherheit? Also ganz konkret: Was heißt Sicherheit und wie finden wir die eigentlich? Die Antwort von folgenden fünf AutorInnen war uns sicher.

Cara Röhner

Sicherheit gilt als ultimatives Ziel staatlichen Handelns. Damit ist die Vorstellung verbunden, dass Politik einfach auf gegebene Bedrohungslagen reagiere und Sicherheit zu erreichen sei, wenn man nur die richtigen Maßnahmen ergreife.

Demgegenüber verstehe ich Sicherheit als eine performative Praxis. Sicherheitsbedrohungen sind keine natürlichen Phänomene, sondern intersubjektive Konstruktionen, die eine folgenreiche Logik aufweisen: Eine existentielle Gefahr verlangt schnelles Eingreifen – es besteht dringender Handlungsbedarf. Diese Notwendigkeitsrhetorik rechtfertigt das Ergreifen außeralltäglicher oder sogar extralegaler Maßnahmen, wie etwa die Umgehung demokratischer Verfahren oder rechtsstaatlicher Bindungen. Man denke nur an die Renaissance des Folterdiskurses oder die immer weitergehende Einschränkung von Bürger*innenrechten. In Sicherheitsdiskursen finden zudem Grenzziehungen zwischen einem zu beschützenden Wir und einem gefährlichen Anderen statt.

Sicherheit ist daher keine unschuldige, sondern eine politische Praxis, die entdemokratisierende, rechtsstaatswidrige und hierarchisierende Effekte zeitigen kann. Die aktuelle Versicherheitlichung von Migration und Flucht zeigt dies eindringlich: Ansteigende Flüchtlingszahlen werden als Bedrohung der deutschen Gesellschaft interpretiert und völkerrechtswidrige Obergrenzen gefordert. Männliche Migranten gelten als kriminell und für Frauen gefährlich; das Aufenthalts- und Asylrecht wird verschärft, Menschenrechte im Eiltempo weiter ausgehöhlt. Auf diese Sicherheitslogik kann ich gut verzichten. Daher: Sicherheit? Nein danke.

Cara Röhner ist wissenschaftliche Mitarbeiter an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Frankfurt

Steffen Dittes

Sicherheit ist in erster Linie ein individuelles Gefühl und weniger ein Zustand. Jeder ordnet seinen Lebensalltag so, dass kaum ein Gefühl der Unsicherheit aufkommt. Dazu gehört ebenso die Organisation von Abläufen als auch die Aneignung von Fähigkeiten und Erfahrungen. Dennoch ist jeder Tag mit einer Vielzahl von kleinen und großen Risiken verbunden, die wir nicht zwingend meiden, die aber kalkulierbar und beherrschbar scheinen. Dazu kommt, dass wir für den Fall des Eintritts eines Schadens um zahlreiche Korrektive wissen, die ihn mildern oder regulieren können. Sicherheit ist also dann, wenn die Möglichkeit besteht, meine Fähigkeiten so zur Grundlage meiner Entscheidungen zu machen, um unter den vorhandenen Bedingungen die Risiken des Lebens ohne Angst auf mich nehmen zu können. Eine solche Balance wird durch die gesellschaftlichen Bedingungen verändernde Regeln permanent gestört, zunehmend auch durch die Manipulation des Sicherheitsempfindens angegriffen. Risiken werden überbetont, abstrakte Gefahren werden zu konkreten umgedeutet. Dazu kommt ein Sicherheitsversprechen, das einlösbar würde, wenn Handlungs- und Informationsfreiheit geopfert werden. Das Versprechen nach mehr Sicherheit wird zum trojanischen Pferd im Kampf gegen Bürgerrechte. Und diejenigen, die in dieser Debatte noch darauf verweisen, dass Sicherheit Fragen der Verteilungsgerechtigkeit und der demokratischen Mitentscheidung mit umfasst, wirken leider hilflos in der aktuellen Debatte.

Steffen Dittes ist innenpolitischer Sprecher der LINKSFRAKTION im Thüringer Landtag

Ulrich Schneider

Zu Sicherheit habe ich ein völlig unverkrampftes, positives Verhältnis. Sicherheit ist ein absolutes Muss. Ich will mich sicher fühlen, nicht unsicher, sorgen- oder sogar angstvoll.

Es geht um körperliche Unversehrtheit, wenn wir nachts in unseren eigenen vier Wänden die Türen hinter uns schließen können, oder wenn wir auch auf öffentlichen Plätzen keine Angst haben müssen vor Attacken gegen Leib und Leben.

Es geht aber auch um soziale Sicherheit. Es geht auch darum, sich nicht jeden Tag aufs Neue sorgen zu müssen, wie man mit dem wenigen Geld über den Monat kommen soll, wenn es doch vorne und hinten nicht reicht, nicht bei jeder Rechnung, die ins Haus kommt, oder bei jeder Reparatur, die anfällt, nicht mehr weiter zu wissen, nicht ständig ein schlechtes Gewissen zu haben, weil man glaubt, den Kindern nicht das bieten zu können, was für andere selbstverständlich scheint. Sich stets sorgen zu müssen oder gar Angst zu haben, frisst Menschen auf, macht sie krank, lähmt sie, macht sie mutlos, passiv und unfrei. Sicherheit ist allererst die Voraussetzung für Freiheit und für Kreativität, nicht deren Hemmschuh, wie Neoliberale es uns glauben machen wollen.

Es geht um das Grundbedürfnis eines jeden Menschen, sich in einer sozialen Gemeinschaft zu wähnen, sich seiner Zugehörigkeit zu dieser Gemeinschaft und im Zweifelsfalle auch ihres Schutzes sicher zu sein. Es liegt in der Natur des Menschen, der nun einmal ein homo socialis ist, kein homo oeconomicus.

Ulrich Schneider ist Hauptgeschäftsführer des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes

Dirk Schuck

Gesellschaften, in denen Freiheit herrscht, haben naturgemäß Sicherheitsprobleme. Wie sichergehen, dass Einzelne diese Freiheit nicht dazu nutzen, anderen und der Gesellschaft zu schaden? Daran, wie eine Gesellschaft diese Sicherheitsprobleme angeht, lässt sich ihr politisches Selbstverständnis ablesen. In der Ideengeschichte war die sozialistische Antwort auf den Liberalismus die Sicherheitsfrage sozial zu wenden. Erst soziale Sicherheit schafft zivile Zustände. Wer täglich verbissen um seine Existenz kämpfen muss, kommt zuweilen eher in die Versuchung, dafür den Schaden anderer in Kauf zu nehmen. Ein ideologischer Coup des Neoliberalismus war es, diese Argumentation auszuhebeln, indem ein Zusammenhang zwischen sozialer Sicherheit und individueller Passivität hergestellt wurde. Vom Sozialstaat abhängige Menschen werden träge und unflexibel, weil sie sich das leisten können. Daher soll sie das Jobcenter jetzt auf Trab halten. Vergessen wird, dass Sicherheit Ruhe braucht. Im 18. Jahrhundert nannte man das Gemütsruhe. Ohne diese ist auch an die Ausübung von Freiheit nicht zu denken. Nur wer die Zeit hat, entspannt nachzudenken, kann überhaupt Freiheit willentlich ausüben. Wenn die Betonung der Wichtigkeit von „Sicherheit“ automatisch als Ruf nach mehr Repression – nach dem „starken Staat“ – verstanden wird, sieht es für ein angemesseneres Sicherheitsverständnis schlecht aus. Aber es wäre wichtig.

Dirk Schuck ist Politikwissenschaftlicher und Sozialpsychologe. Er lebt und arbeitet in Berlin.

Martin Glasenapp

„Es fließen ineinander Traum und Wachen, Wahrheit und Lüge, Sicherheit ist nirgends, hat Arthur Schnitzler sagen lassen. Daher verachtet die Freiheit die Sicherheit. Unbedingte Sicherheit zu wollen ist eine Anfechtung und führt ins Böse: Freiheit geht nicht ohne Unsicherheit. Unbedingte Sicherheit zu wollen, gibt es folglich nur im Verzicht auf die Freiheit. Das vorausgesetzt, geht es natürlich darum, die Sicherheit einzufordern, die gegeben sein muss, damit Freiheit für alle soll möglich sein können. Es geht um die Absicherung der Grundbedürfnisse aller, um den Schutz aller — damit für alle die Möglichkeit gegeben ist, den Unterschied zwischen bloßen Überleben und eigentlichem Leben frei austragen zu können. Um ein naheliegendes Bild zu geben, das bedingungslose Grundeinkommen sollte dafür reichen. No risk no fun!

Martin Glasenapp, Aktivist

Karin Binder

Sicherheit wie ich sie meine, beginnt mit natürlichen Lebensmitteln, Obst und Gemüse unbelastet von Schadstoffen wie dem krebserregenden Glyphosat oder anderen giftigen Pflanzenschutzmitteln. Industriell gefertigte Lebensmittel brauchen verständliche Kennzeichnungen. Was drin ist, muss auch drauf stehen, damit auch AllergikerInnen sicher sein können. Um weder EHEC noch Salmonellen eine Chance zu geben, brauchen wir gut ausgebildete und ausgestattete LebensmittelkontrolleurInnen.

Sicherheit, wie ich sie meine, schützt Kinder vor gefährlichem Spielzeug. Bleihaltige Farben, Schwermetalle oder Weichmacher im Kunststoff machen krank und haben in Kinderspielzeug nichts verloren. Kein Kind braucht solches Spielzeug.

Sicherheit wie ich sie meine, sichert die Energieversorgung in jedem Haushalt, auch für Menschen mit wenig Einkommen. Stromsperren sind zu verbieten. Stattdessen braucht es kostenfreie Energieberatungen und preiswerte energiesparende Haushaltgeräte, auch mit staatlichen Zuschüssen – bei Autos ging es ja schließlich auch.

Sicherheit wie ich sie meine, bewahrt unsere Privatsphäre und schützt unsere Daten. Abhören unter FreundInnen geht gar nicht und Vorratsdatenspeicherung auch nicht. Meine Daten gehören mir und kein Unternehmen der Welt hat das Recht, sie zu verkaufen, um damit Profit zu machen oder mich mit Werbung zuzumüllen/mailen.

Karin Binder ist eine linke Bundestagsabgeordnete und Ernährungs- und Verbraucherpolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Bundestag