Unionists in Uniform

Über Polizei und Gewerkschaften

Alex Haas
Nicht immer einfaches Verhältnis: Unionists & uniforms ...

„Die letzte polizeiliche Räumung dieses Hauses fand 1933 statt – die kommen mir nicht ins Haus“, erklärte ein Funktionär des Deutschen Gewerkschaftsbundes als 2013 zur Debatte stand, ob man angesichts der Besetzung eines süddeutschen Gewerkschaftshauses das Hausrecht mit Hilfe der Polizei durchsetzen solle. So ganz stimmt der letzte Halbsatz natürlich nicht. Als DGB-Mitglied ist die Gewerkschaft der Polizei (GdP) häufig anzutreffen. Und ihre Funktionsträger*innen sind oftmals freigestellte Personalratsmitglieder der Polizei. Also Polizist*innen, die nur eben bloß nicht in Uniform anzutreffen sind, weil sie in großen Dienststellen den ganzen Tag die Beschäftigten vertreten – so wie freigestellte Betriebsräte es in Wirtschaftsunternehmen tun.

Rechts von der GdP kämpft die deutlich mitgliederschwächere „Deutsche Polizeigewerkschaft“ um öffentliche Aufmerksamkeit – und um Mitglieder. Sie ist Mitglied des „Deutschen Beamtenbundes“ (dbb), einem in Konkurrenz zum DGB stehenden Dachverband. Fehlt nur noch der noch kleinere unabhängige „Bund deutscher Kriminalbeamter“ (BDK), fertig ist der Blumenstrauß. Mal abgesehen von kleineren Verbänden wie jenem lesbischer und schwuler Polizeibediensteter (VelsPol), die mit Gewerkschaften kooperieren.

In wohl keiner Gewerkschaft dürfte die DGB-Mitgliedschaft an der Basis mitunter so umstritten sein, wie in der GdP. Ein Grund: Wenn in einer Demo, aus der gerade eine Flasche auf die Kollegin in Uniform fliegt, die Fahne einer Gewerkschaftsjugend aus dem gleichen Dachverband weht, dann kommen Fragen auf. In einer aufgeheizten Situation, in der sich „Blöcke“ gegenüberstehen, wird oft nicht erkannt, dass es keinesfalls Gewerkschafter*innen sind, die da werfen oder das auch nur gutheißen würden. Genauso wenig wie es Demonstrant*innen oftmals schwer fällt, zwischen individuellen Polizist*innen und der von der Polizeiführung festgelegten Einsatzstrategie zu unterscheiden, die diese umsetzen müssen – wobei es auch bei der Umsetzung solche und solche Wege gibt. Und hier kommt die Gewerkschaft ins Spiel. Sie macht im Hintergrund Druck, wenn Einsatzleitungen es darauf anlegen, mediengängige Bilder zu produzieren, anstatt sich auf das wirklich polizeilich Notwendige zu beschränken. Um nicht einem „Generalverdacht gegen die Polizei“ das Wort zu reden, kommt nur die Eisbergspitze der Kritik an solchen und anderen, eher strukturellen Defiziten, an die Öffentlichkeit. Ein Großteil wird intern bearbeitet.

Noch seltener gestehen Polizeigewerkschafter*innen öffentlich individuelles Fehlverhalten einzelner Kolleg*innen ein. Das passt eben nicht zur Rolle der Gewerkschaften, genauso wenig wie man die Rolle einer Anwältin zuvorderst in der Verlesung von Geständnissen sehen würde. Wenn es ums individuelle Eingemachte geht, bis dorthin, wo Personen ein Disziplinarverfahren bekommen (könnten), stellt sich die Polizeigewerkschafterin auf die Seite der Kolleg*innen und glaubt ihnen erstmal.

Polizei als Zerrspiegel der Gesellschaft

Das gilt nicht unbegrenzt. Die Grenzen z.B. in Bezug auf AfD- und *GIDA-Anhänger*innen werden mancherorts klar gezogen, andernorts (das gilt für alle Gewerkschaften) muss das noch deutlicher geschehen. Auch wenn das Mitglieder kostet. Die GdP hat mit die engagiertesten Aktiven in der gewerkschaftlichen Antirassismusinitiative „Mach meinen Kumpel nicht an!“ und darüber hinaus. Für die gibt es auf Grund der schwierigen Rahmenbedingungen in der Polizei viel zu tun.

Zum einen ist die Polizei zwar Spiegel der Gesellschaft, aber eben ein verzerrter. Das gilt in vielerlei Hinsicht. Manche*r Bewerber*in fühlt sich z.B. von der Sondereinsatzkommando-Action aus dem Vorabendprogramm mehr angezogen als von der juristischen Dogmatik einer Verhältnismäßigkeitsprüfung. In Einstellungsverfahren und Ausbildungsplänen wird versucht, solcherlei Verzerrungen in den Griff zu bekommen. Auch hier sitzen Gewerkschafter*innen in ihrer Rolle als Personalräte mit am Tisch. Bei ihrem Einsatz für eine vielfältigere Polizei grenzen sie sich vom Diversity-Verständnis des Arbeitgebers ab, der oft auf diese Logik hinausläuft: „Wir stellen den mit dem türkischen Namen ein, dann läuft die Polizeiarbeit in Neukölln besser.“ So nachdrücklich Gewerkschafter*innen der Polizei einen höheren Anteil von Kolleg*innen mit Migrationshintergrund fordern, so zurückhaltend sind sie, wenn es um Instrumente geht, die von anderen Mitgliedern unmittelbar als „Benachteiligung“ wahrgenommen werden könnten (z.B. individuelle Quotenregelungen).

Schwerpunkt der gewerkschaftlichen Antirassismusarbeit ist das Agieren im und die Verarbeitung des Polizeialltags. Die Erfahrungen aus dem Polizeivollzug bilden eben nur einen Ausschnitt der Realität. Nur den konfliktbeladenen und auch davon nur einen Teil. Da ist nicht der Insiderhandel an der Frankfurter Börse und auch nicht der Subventionsbetrug in München dabei. Und dass es einfach so viele Delikte gibt, die nur von Nichtdeutschen verübt werden können, weil sie für sie nur gelten, muss vielen erst ins Bewusstsein gebracht werden. Oft leistet das die Gewerkschaft. Genauso wie sie die Vermittlungsarbeit leistet, um Kolleg*innen klar zu machen, dass Kriminalität mit sozialer Situation zusammenhängt und nicht mit etwaigem Migrationshintergrund.

Gänzlich unkompliziert hingegen das Verhältnis von unionists and unicorns.

Stimme der Vernunft unter Dampf

Die GdP ist eine Gewerkschaft, die nicht Gefahr läuft, „Stellvertreter*innenpolitik“ zu machen. Wenn dort die Funktionär*innen ein Thema mal etwas verschlafen haben, dann brennt die Bude. Unmut über Missstände des Arbeitgebers (bei Beamt*innen heißt das „Dienstherr“) bricht sich massenhaft, schnell und unmittelbar Bahn und sorgt für großen Handlungsdruck bei der Gewerkschaft. Küchentischpsychologische Erklärung: in einer stark befehlsgebundenen, hierarchischen Organisation mit extremer psychischer und körperlicher Belastung gibt es kaum einen anderen – legitimen – Weg, um „Dampf abzulassen“. Und an der Basis ist der Druck derzeit enorm. Allein um die aufgelaufenen Überstunden abzubauen, wären 9000 neue Stellen notwendig. Die Kolleg*innen erledigen ihre Aufgaben bei der Flüchtlingsaufnahme – und Aufgaben für die sie weder ausgebildet noch ausgestattet sind — im permanenten Ausnahme- und Überlastungszustand. Da macht es sich die DPolG leicht, in dem ihr Vorsitzender Wendt über einen Zaun zu Österreich schwadroniert. Die GdP indes zeichnet sich nicht nur intern, sondern auch in der Öffentlichkeit als Stimme der Vernunft im Flüchtlingsdiskurs aus. Sie tritt der Schießbefehlforderung der AfD, Grenzschließungsphantasien aus der großen Koalition oder dem Märchen, bei Diebstählen von Flüchtlingen drücke die Polizei die Augen zu in den Medien prompt und entschieden entgegen. Und anders als die DPolG will sie die Aufgabenüberlastung der Kolleg*innen nicht durch Bekämpfung der Aufgabe lösen. Sie fordert und tut alles, damit die Polizistinnen und Polizisten ihre Aufgaben bei der Flüchtlingsaufnahme dauerhaft erfüllen können. Ihre Personalräte kämpfen täglich ganz konkret dafür, dass die Arbeit in den Aufnahmezentren und anderswo nicht zusammenbricht.

Ob Anti-Stuttgart21, Anti-Castor oder Antirassismus — viele Uniformierte sind politisch von den Forderungen jener Demos, aus denen sie manchmal mit Blumen, manchmal mit Härterem beworfen werden, gar nicht so weit entfernt. Und trotzdem mussten sie in Extremfällen über 24 Stunden an der Castorstrecke stehen. Oft ohne Verpflegung – abgesehen von gewerkschaftlichen Versorgungswagen, die sich durch die Treckerblockaden mogelten wie anderntags sich die Demonstrant*innen an Polizeisperren vorbeimogelten. Ohne Informationen über die aktuelle Lage – abgesehen vom Anti-Castorticker auf dem eigenen Smartphone. Wenn im Lagezentrum die Durchsetzung gesellschaftlich hochumstrittener Politik exekutiert wird, dann kommen sie nicht vor, nur die anonymen Nummern der Einsatzgruppen auf der Karte. Und genau hier kommt wieder die Gewerkschaft der Polizei ins Spiel: Sie kämpft dagegen, dass ihre Mitglieder in Konflikten verheizt werden, in die eine verfehlte Politik fortwährend neues Öl gießt. Und genau da kommt der DGB ins Spiel, weil er – neben den ganzen üblichen Vorteilen gemeinsamer Interessenvertretungen aller Beschäftigten des öffentlichen Dienstes und darüber hinaus – die Organisation ist, die die Brücke zu den politischen Bündnissen bauen kann, die diese Politik ändern können.

Die Mitglieder der Schwestergewerkschaften haben aus ihrer politischen Arbeit so ihre Erfahrungen und ihre Meinungen zum Einsatz mancher polizeilicher Mittel. Viele DGB-Gewerkschafter*innen treten daher für die Kennzeichnungspflicht ein. Doch auch hier sticht die „Gewerkschaftslogik“ mitunter gegenüber der eigenen politischen Position. So hoben beispielsweise im Hauptpersonalrat des Landes Berlin die Angehörigen anderer Gewerkschaften, ob nun aus Bürgeramt oder Schule, Grünflächen- oder Finanzamt zähneknirschend ihre Hand zu Gunsten des GdP-Antrags gegen die Kennzeichnungspflicht. Solche Spagate gibt es oft im gewerkschaftlichen Geschäft. Da gibt es nix schön zu reden, da kommen mitunter schmerzliche Kompromisse – oder in diesem Fall: Zugeständnisse – bei raus. Die Bereitschaft dazu folgt der Logik, dass eine Schwächung einer Schwestergewerkschaft (wie hier der GdP) der gemeinsamen bzw. auch der eigenen Sache abträglich wäre: Jede Gewerkschaft fordert dann und wann die Solidarität der anderen, wenn es ums Eingemachte geht. Man denke an die „Kohlefrage“. Wann es ums Eingemachte geht, erfährt man anhand überdurchschnittlich hitziger Diskussionen, off- und online. Und wenn sich in solchen Diskussionen bei den Vertreter*innen der Schwestergewerkschaften der glaubhafte Eindruck eingräbt, dass sich an dieser Frage entscheidet, ob massenhaft Mitglieder der betroffenen Gewerkschaft austreten, dann geht es wohl ums Eingemachte. Und so hoben in diesem Fall auch Leute ihre Hand gegen die Kennzeichnungspflicht, die andernorts vehement für sie warben. Themen, bei denen es nicht derart ums Eingemachte geht, sind indes Strafverschärfungen oder Überwachungsbefugnisse von Polizei und Geheimdiensten. Hier sind die Schwestergewerkschaften kaum zu Zugeständnissen bereit und verweisen auf ihre solidarische Unterstützung bei der viel entscheidenderen Frage der Personalausstattung.

In der Linken nicht pauschal von „der Polizei“ zu sprechen, sondern unterschiedliche Akteure zu identifizieren, die sich innerhalb der Polizei – mal mehr, mal weniger weitgehend – für fortschrittliche Anliegen einsetzen, würde diese Akteure stärken und Bündnisoptionen eröffnen. Gewerkschaften können dabei helfen.

Alexander Haas ist beruflich als politischer Referent für Laufbahnrecht, Gesundheitsmanagement, Digitale Verwaltung und Vielfalt im öffentlichen Dienst beim Bundesvorstand des Deutschen Gewerkschaftsbundes tätig. Der Artikel gibt ausschließlich seine private Meinung wieder.