Gegen falsche Sicherheiten

Feministische Kämpfe um Stadt und Raum

Ruth May

Die Stadt ist der Ort der Frauenbewegung und ihrer Kämpfe. Sie hat die Städte für ihre Aktionen genutzt, hier wurden Frauen zu Pionierinnen neuer Lebensweisen, hier haben sie sich organisiert, Initiativen ergriffen – und gegen mächtige und erbitterte Widerstände ihre Beteiligung und Rechte zäh erstritten und so auch die Stadt verändert und zivilisiert. Diese nicht eben leichtfüßig erreichte Aneignung nun zur „westlichen Kultur“ und Überlegenheit zu erklären, sie gegen Einwanderer ins Feld zu führen, um ihnen Zugang zu verwehren, verleugnet Emanzipation als immer schon vorhandenes Anhängsel und verleugnet zugleich die weiter bestehende Gewalt gegen Frauen.

Angstraumdebatten werden zu einer Zeit geführt, in der Privatisierung und Überwachung des öffentlichen Raums vorangetrieben werden. Kaum, dass man wirksame Perspektiven anbietet, rücken das Fehlen sozialer Kontrolle, nicht einsehbare Plätze, schlechte Beleuchtung, Mangel an Sicherheitstechnik, ein verwahrloster Zustand in den Blick. Prominent ist die Broken-Windows-Theorie, die unterstellt, dass zunächst undramatische Zeichen von Unordnung sich rasant verstärken, solange nicht durch ordnungsmächtige Eingriffe ein Sicherheitsgefühl wiederhergestellt wird. Beim Angstraum geht es nicht um tatsächliche Kriminalität (tatsächlich werden junge Männer am häufigsten Opfer von Kriminalität im öffentlichen Raum) oder um tatsächliche Gewalterfahrungen von Frauen; stattdessen wird behauptet, man nehme selbst diffuse Ängste ernst. Angst kann irrational sein, sich aus trüben Quellen speisen, wie etwa aus einem Misstrauen gegenüber Fremden. Wir wissen aber, dass Gewalt gegen Frauen ganz überwiegend von Freunden und Angehörigen ausgeht und ebenso überwiegend der Ort der Gefährdung nicht der öffentliche, sondern der private Raum ist, der doch als sicherer Hafen gilt. Der Angstraum und mit ihm die Vorstellung vor einem anonymen fremden Gewalttäter aus einer dunklen Ecke lässt die „eigenen“ Männer als Beschützer dastehen und setzt Ordnungsmächte, Polizei und Techniken der Überwachung des städtischen Raums in freundliches Licht. Versteckt im gefährlichen nächtlichen Fremden sind aber ganz andere Ängste von Untreue und Eifersucht, die sexuellen Ambivalenzen der Stadt – von denen „ehrbare“ Frauen fern gehalten werden sollen.

Ängste entstehen (Freud zufolge) in Widersprüchen, die man allein nicht lösen kann. Sie behindern eigenständiges Handeln, das auf Veränderung zielt. So besagen die Widersprüche der Angstraumdebatten vor allem, dass Frauen eine freie Raumaneignung schwer möglich ist. Geschlechtliche Zuweisungen von Räumen und mehr oder weniger versteckt eingebaute Erwartungen tragen dazu bei, die soziale Ordnung und die Geschlechterhierarchie wie eine natürliche Ordnung erscheinen zu lassen. Die Anwesenheit von Frauen in der Stadt wurde über Jahrhunderte als ein Ordnungsproblem behandelt: Sie wurden aus dem öffentlichen Raum verdrängt – wenn sie sich doch dort aufhielten, umso schlimmer für sie. Waren sie nicht durch einen sie begleitenden Mann legitimiert, wurden sie als Prostituierte behandelt. Sie wurden im städtischen Raum diszipliniert, überwacht, kontrolliert, als unerwünscht ausgeschlossen. Schon weil viele in der Stadt arbeiteten, verschwanden sie nie ganz, aber ihre Anwesenheit wurde als Teil von Unordnung, Subkultur, des nicht Beherrschbaren betrachtet. Man kann dies vielleicht als eine andere, weniger irrationale Angst vor der Großstadt als einem Raum betrachten, in dem sich gefährliche Gruppen bewegen, ungeordnete Minderheiten, ungeregelte sexuelle Begegnungen, Lust, Laster, Anarchie zuhause sind – schließlich eine lauernde Revolte, der mit allen Mitteln von Polizei und Stadtplanung vorgebeugt werden soll. Planungskonzepte wurden seit dem 19. Jahrhundert darauf ausgelegt, innerstädtische Slums auszuräumen und generell Frauen an den Stadtrand zu verbannen und auf das Heim zu verweisen. Diesen Bestrebungen steht der Elan der Frauenbewegung entgegen, den öffentlichen Raum zu erobern, auch als Bühne für ihre Forderungen, wie es z. B. die Suffragetten in London taten oder in der 2. Frauenbewegung die Dollen Minas in Amsterdam.

Hart erkämpft: Recht zu Wählen und Recht auf Stadt

Ist die Stadt also ein Raum der Angst oder ein Raum der Utopien von Frauen oder beides? Schließlich kämpfen Frauen nicht nur gegen Hindernisse von außen, sondern auch mit sich selbst: Das Angebot, sich als Opfer zu verstehen und Konflikten aus dem Weg zu gehen, ist trügerisch, denn es isoliert von der Welt und eigener Entwicklung. Wie kommen sie zu einem Handeln, einem Handeln zumal, das nicht nur eines der Unterordnung ist? Und welche Möglichkeiten eröffnet ihnen dabei die Stadt?

Die Stadt war und ist der Ort, wo Frauen aus alten Bindungen und Abhängigkeiten heraustreten; ihre Anonymität ermöglicht es, Kontrollen zu entkommen und Freiheiten zu entdecken, festgelegte Plätze zu verlassen, nicht in Ängsten befangen zu bleiben und neue Räume zu erobern. Dies gilt gerade auch für diejenigen, die neu in die Stadt kommen, wie etwa Migrantinnen. Stadt beheimatet jene Subkulturen, mit denen sich etwas neues herausbildet, sie ist Raum der Veränderung. Gerade Frauen haben sich in Initiativen um die Entwicklung der Städte gestritten, z. B. um den Erhalt ihrer Wohnungen und Nachbarschaften und haben so die Entwicklung von Städten beeinflusst. In einer Untersuchung über Migrantinnen in Hannover konnte ich feststellen, wie ihnen das Leben in der Stadt Sicherheiten, Hilfen und Solidaritäten außerhalb familiärer Bindungen gibt, was hilft, eigene Initiativen zu ergreifen und ein selbständiges Leben zu führen. Dabei bezogen sie sich auf ihren Stadtteil als einen Raum, in dem sie sich selbstsicher bewegen, in dem sie sich etwas zutrauen. Wichtig dafür waren ein sozial und nutzungsgemischtes Umfeld, in dem Verschiedenes ausprobiert werden konnte, und Kontakte in der Umgebung (Freunde, Bekannte) ebenso wie die Möglichkeit einer relativen Distanz, das Fehlen enger sozialer Kontrollen. Alles dies ermöglichte ihnen, aktiv werden, z. B. Geschäfte zu gründen und dabei ihre Umgebung und zugleich sich selbst zu verändern.

Was kann Stadtplanung tun, um diese öffentlichen Qualitäten zu unterstützen? Nach Untersuchungen über das Leben von Frauen in Barcelona, Hannover und Paris kann ich allgemein sagen, dass leistungsfähige öffentliche Verkehrssysteme die Handlungsmöglichkeit gerade von Frauen entscheidend verbessern. Ihre Zeit-Raum-Ökonomie im Alltag mit ihren (auch versorgenden) Tätigkeiten kann durch eine Planung unterstützt werden, die Infrastrukturen an zentralen räumlichen Abfolgen von Straßen und Plätzen konzentriert. Freie Raumaneignung bedeutet Aneignung des öffentlichen Raums in seinen verschiedenen Formen: Wege, ÖPNV, soziale und öffentliche Einrichtungen, Haltestellen, Begegnungen und Aufenthalte. Frauen bevorzugen dabei solche räumlich-gestalterischen Konzepte, die auf Belebung, plurale Nutzungen, Begegnung, Kommunikation und interaktive Beziehungen, und nicht solche, die auf Kontrolle und Überwachung setzen. In Stadtquartieren sollten deshalb öffentliche Räume Beziehungen zu angrenzenden Stadtquartieren und zur ganzen Stadt herstellen und so öffentliche Begegnungen fördern. Dazu gehört eine Stärkung gemischter anstelle räumlich separierter Nutzungen, die auch Menschen von außerhalb am Leben im Stadtteil teilnehmen lässt. Dies setzt voraus, dass es keine abgehängten und abgeschlossenen Gebiete gibt, die vom städtischen Leben ignoriert werden. Der Anspruch an Stadtpolitik und Planung muss also unbescheiden sein, der strukturellen Segregation, die sich verfestigt, entgegenarbeiten. Insgesamt geht es um eine Stärkung der städtischen Öffentlichkeit (die im übrigen auch dazu beiträgt, sich gegen Okkupationen durch Rechtsradikale zu behaupten). Öffentlich-städtische Räume, die bei Frauen beliebt sind, an denen sie sich gerne aufhalten, verbessern nicht nur deren Situation im städtischen Leben, sondern tragen darüber hinaus entscheidend zur Zivilität urbanen Lebens für alle bei.

Ruth May leitet die feministische Sektion des Instituts für kritische Theorie (InkriT) und ist Mitglied im Forum für GenderKompetenz in Architektur Landschaft Planung an der Leibniz Universität Hannover. Sie hat u.a. über Stadterneuerungsstrategien in Europa, über Frauen in der Stadt und über migrantische Existenzgründerinnen geforscht.