Conni, Helmut Schmidt und DIE LINKE

Katalin Gennburg

Es gibt einen Klassiker der Kinderliteratur der BRD, insbesondere für Mädchen: Conni. Im Mittelpunkt der Buchreihe steht ein Mädchen gleichen Namens. Die Bücher behandeln lebensnah Probleme von Heranwachsenden (Geschwisterkind, Schwimmunterricht, Haustierfragen etc.). Das ganze spielt sich in einem fast schon steinzeitlich anmutenden Mutter-Vater-Kind-Haushalt, samt Ernährermodell wie im Nachkriegswohlfahrtsstaat ab. Der Vater geht arbeiten und kommt dementsprechend nicht aktiv vor, während „Mami“ kocht, wäscht, streichelt, putzt und organisiert.

Egal könnte einem das sein, wenn nicht die Realität meiner Tochter auch durch dieses vermaledeite Buch geprägt und sich in Erwartungshaltungen manifestieren würde. Denn was bei Conni normal ist, sollte schließlich aus Tochters Sicht auch in aller Kinder heiler Welt normal sein.

Familienbild à la Conni

Hierin findet sich ein Kulminationspunkt des zeithistorischen Gendertroubles: Geschichten decken sich häufig nicht mit der erlebten Realität. So treffen sich auf der conniistischen Problemfolie sehr reale Alltagserfahrungen: während mein Kind quengelt warum ich so wenig mit ihr spiele, zeigen mir stolze Genossen-Papas auf Parteitagen Fotos ihrer Kinder auf Smartphones und es finden etliche spannende Abendveranstaltungen ohne mich statt. Das Problem sind also die vielschichtigen Erwartungshaltungen, die vor allem einer Realität nicht entsprechen: der von engagierten und viel beschäftigten Müttern. Unsere Alltagserfahrungen gleichen einem ewigen Kampf gegen die Norm. Gesteigert wird dieser Druck im Bereich linker Politik auch durch die imaginierte „Normalität“ des 24-Stunden-Politaktiven — wer kann dem gerecht werden?

Weil meine Partei, solange ich sie kenne, immer wieder auf das Problem fehlender weiblicher Kandidaturen zurückgeworfen ist, stellte sich jüngst in einer Diskussion die Frage: Hat DIE LINKE. eigentlich ein Frauenproblem oder ein Männerproblem?!

„Der Jahrhundertmann“, „Der Jahrhundertlotse“ oder „Mit dem Tod Helmut Schmidts haben die Deutschen eine Vaterfigur verloren“ — das durften wir nach dem Tod dieses „Staatsmannes“ im Spiegel lesen. Im selben Magazin findet sich ein Artikel mit der Überschrift: „Die verspätete Kanzlerin Angela Merkel ist zehn Jahre im Amt und erst jetzt werden die Umrisse ihrer Ära deutlich“. Reden wir über die Frau, die inzwischen die längste Zeit eine Kanzlerschaft der BRD innehat und die neoliberale Architektur Europas entscheidend zu verantworten hat? Zugegeben: ein Vergleich vom SPIEGEL mit dem Kinderbuch ist vermessen und dennoch lässt sich hier ablesen, was auf diese „Kinderliteratur“ als anschlussfähiges Erwachsenenformat folgt. Auch als entschiedene Gegnerin von Merkel und Co. muss einem dieser Umgang zu denken geben, auch weil sich hierin immer wieder Unterschätzung breit macht, die schließlich zum allgemeinen Überraschtsein über Merkels Erfolgsgeheimnis führt und dem gegenüber bislang auch noch nicht zum Bruch der gesellschaftlichen Hegemonie mit der CDU und „Mutti“ geführt hat. Diese Schlagzeilen illustrieren das Männerproblem, welches wir in der Politik haben. Die Ikonisierung und Überhöhung findet fast ausschliesslich bei männlichen Persönlichkeiten statt und konterkariert die Idee einer geschlechtergerechten Gesellschaft und hintertreibt den feministischen Kampf.

Schmitts letzter Weg

Damit dieser starre Gesellschaftszustand keine sich auf ewig immer wieder neu erfüllende Prophezeiung bleibt, muss auch Die LINKE weg von Winkonkeln und Ein-Mann-Shows!

Und noch ein Relikt aus der fordistischen Steinzeit sollte als von Männern getragenes Ethos angezählt werden. Abgesehen davon, dass es auch für den Neoliberalismus wunderbar anschlussfähig war und ist: Der Arbeitsfetisch... Nicht nach Hause gehen [können!], arbeiten bis der Arzt kommt und damit obendrein auch noch der protestantischen Ethik a la´, „Wer nicht arbeitet, soll nicht essen“-Logik den Weg bereiten?

Jungs, so wird das nichts! Die real existierenden Ungleichberechtigungen zwischen den Geschlechtern anerkennen, heißt auch die real existierenden Ungleichverteilungen mit in die politische Arbeit und die Verteilung dieser einbeziehen. Das heißt also: Das historisch gewachsene und gesellschaftlich manifeste Männerproblem ernst nehmen und gezielt versuchen aufzubrechen. Das vermeintliche Frauenproblem ist ein Männerproblem und die gute Botschaft ist: Ohne die Auflösung des einen wird es die Auflösung des anderen nicht geben und wer das eine nicht wahrhaben will, wird das andere automatisch vergrößern.

Braucht es vielleicht mehr Mitwirkungsangebote und Aktivitäten mit konkreten Themen, um die wenige verfügbare Zeit von Mitgliedern, also auch engagierten Vätern und anderen vielbeschäftigten Menschen, fokussiert zu nutzen? Braucht es darüber hinaus eine Wertschätzung dieser Aktivitäten, wo niemand sich als exorbitant engagiert verobjektiviert (z. B. Gremienarbeit, Arbeitskreisaktivitäten, Geschäftsstellenpräsenz etc.), womit auch Lohnarbeitende und verschiedene Formen von Care-Arbeit leistende Personen explizit eingeschlossen wären?

Wollen wir als Partei nicht aussterben, müssen wir nicht nur Revolution schreien, sondern auch die stärken, die nicht auf jede Demo und zu jeder Abendveranstaltung rennen und sich in anderen Lebenswelten und anderen Zeitabläufen bewegen. Genau deshalb wird die Attraktivität unserer Partei davon abhängen, wie es ihr gelingt, die Widersprüche zwischen Mensch und kapitalistischer Gesellschaft aufzuzeigen und für die eigene Arbeit mitzudenken und erst so eine eigene „Normalität“ zu schaffen. Diese muss freilich gesellschaftliche Normalitäten einbeziehen und gleichermaßen die sich diesen Normalitäten bewusst entziehenden Menschen ansprechen. Das klingt fast schon größenwahnsinnig, aber nichts Anderes kann man von einer sozialistischen Organisierung im Kapitalismus erwarten …

Katalin Gennburg[1] ist treue Autorin beim *prager frühling und kandidiert für DIE LINKE im September 2016 für das Berliner Abgeordnetenhaus.

Links:

  1. https://www.prager-fruehling-magazin.de/de/article/822.katalin-gennburg.html