Zum Phänomen Instantfeministin

Katja Kipping

Nach Köln hat ein kulturalistisches Deutungsmuster Oberwasser, welches sich wie folgt zusammenfassen lässt: Muslime und all die anderen Flüchtlinge seien potentielle Frauenmissachter und Vergewaltiger. Zum Schutz der deutschen Frauen müssten also Asylbewerber entschiedener abgeschoben werden. Wer nicht einstimmt in diesen Chor, sondern auf logische Inkonsistenzen hinweist, ist oft einem heftigen Shitstorm ausgesetzt.

Instantbarbie zu Lebzeiten ...

Wer den Wortlaut von Artikel 3 des Grundgesetzes ernst nimmt, müsste Rassismus und Sexismus gleichermaßen bekämpfen. Denn dieser Artikel besagt, dass niemand wegen seines Geschlechts, aber eben auch nicht wegen seiner Hautfarbe oder seiner Herkunft benachteiligt werden darf. Wer an diese Selbstverständlichkeit erinnert, ist aktuell heftigen Anfeindungen ausgesetzt. Davon können auch die Feministinnen, die sich zu dem Aufruf #ausnahmslos zusammenfanden, ein Lied singen. Zum Glück erfuhr dieser Aufruf aber auch viel Unterstützung. So unterzeichneten in kurzer Zeit mehr als 10.000 Leute diesen Aufruf und es kam zu Demonstrationen im Sinne des Aufrufes.

... und Instantfeministin postum.

Doch der antirassistische Feminismus ist den neuen Instantfeminist_innen ein Dorn im Auge. Bei Instantfeminist_innen handelt es sich um Frauen und Männern, denen plötzlich die Gleichheit der Geschlechter am Herzen liegt. Kabarettisten könnten sicherlich ein schönes Stück daraus machen, wie Konservative, die noch bis vor kurzem die Frauenquote bekämpften, als sei sie das Ende des Abendlandes, nun die Frauenrechte angeblich gegen die „Machos aus dem Morgenlande“ verteidigen wollen.

So sprach sich beispielsweise Julia Klöckner von der CDU noch 2013 gegen die Einführung einer verbindlichen gesetzlichen Quote für Aufsichtsräte aus.[1] Offensichtlich wollte sie der Wirtschaft keine Vorgaben in punkto Gleichstellung machen. Seit medial über den Anstieg der Flüchtlingszahlen berichtet wird, äußert sie sich hingegen häufig in Sorge um die Gleichstellung der Frauen: „Wir dürfen keine Fehler mehr machen.“ Die Gleichberechtigung von Mann und Frau dürfe nicht in Frage gestellt werden – „weder von den Muslimen, die bereits hier lebten noch von denen, die derzeit als Flüchtlinge nach Deutschland kämen.“[2] Auch Erika Steinbach twitterte: „Bei mir hat eine Frauenquote keine Chance!“ Während sie angesichts von Geflüchteten muslimischen Glaubens nun in großer Sorge um Frauenrechte ist.

Dazu ist folgendes anzumerken: Selbstverständlich ist die Gleichheit der Geschlechter nicht verhandelbar. Der Einsatz für Frauenrechte würde nur glaubwürdiger wirken, wenn Sexismus nicht nur dann thematisiert wird, wenn er von vermeintlich Fremden begangen wird.

Es ist auffällig, dass diejenigen, die bisher zu christlich-fundamentalen Eiferern gegen das Recht auf Schwangerschaftsbruch schwiegen, nun angesichts von Geflüchteten muslimischen Glaubens sich plötzlich berufen fühlen, die Gleichstellung der Geschlechter zu verteidigen. Zur Erinnerung: So fortschrittlich war Deutschland in punkto Gleichstellung der Frauen lange Zeit nicht. Noch bis April 1998 stand im Strafgesetzbuch nur der erzwungene „außereheliche“ Beischlaf unter Strafe. Vergewaltigungen innerhalb der Ehe galten bis dahin auch hierzulande als nicht strafwürdig. Als ob ein Trauschein eine Vergewaltigung weniger schlimm machen würde. Viele Frauenrechte musste die Frauenbewegung gegen den erbitterten Widerstand großer Teile des politischen Establishments durchkämpfen.

Nun könnte frau sich darüber ärgern, wie die Instantfeminist_innen die Frauenrechte nur vorschieben. Auf jeden Fall sollten wir all die vielen Bekenntnisse zur Gleichstellung der Geschlechter und all die Aussagen, wie wichtig der Schutz vor sexueller Gewalt ist, notieren und abspeichern. Und von Stund an nehmen wir die Konservativen bei ihrem eigenen Wort, zum Beispiel wenn es um die Finanzierung der Frauenschutzhäuser, der Mädchenarbeit und der Notruftelefone geht.

Katja Kipping ist langjährige Redakteurin des *prager frühling. Daneben ist sie ehrenamtlich als Parteivorsitzende tätig.

[1] http://www.deutschlandfunk.de/kloeckner-ich-bin-ein-fan-von-quoten-aber-nicht-von-starren.694.de.html?dram:article_id=243539[1]. vom 15.04.2013.

[2] http://www.focus.de/politik/deutschland/nach-forderung-zur-integrationspflicht-kloeckner-hunderte-frauen-reden-sich-bei-mir-frust-ueber-muslimische-maenner-von-der-seele_id_4972380.html[2].

Links:

  1. http://www.deutschlandfunk.de/kloeckner-ich-bin-ein-fan-von-quoten-aber-nicht-von-starren.694.de.html?dram:article_id=243539
  2. http://www.focus.de/politik/deutschland/nach-forderung-zur-integrationspflicht-kloeckner-hunderte-frauen-reden-sich-bei-mir-frust-ueber-muslimische-maenner-von-der-seele_id_4972380.html