Frankreich im politischen Ausnahmezustand

Die Versäumnisse der Linken und der Erfolg der Rechten

Johanna Bussemer

In dem kleinen Dorf in Burgund, in dem ich viel Zeit meines Lebens verbracht habe, wählten im ersten Wahlgang der Regionalwahlen Ende vergangenen Jahres 43,6 % Front National. „Die Bäckerin – vielleicht; der Restaurant-Besitzer – eher nein, aber der Bauer unten an der Ecke bestimmt. Womöglich sogar der Bürgermeister selbst?“ ging es mir fortwährend durch den Kopf. Denn obwohl nach den barbarischen Anschlägen von Paris am 13. November 2015 und dem Erfolg des FN bei den Europawahlen 2014 dieses Wahlergebnis alles andere als eine Überraschung gewesen ist, und durch den Rückzug der Sozialisten im zweiten Wahlgang letztendlich der Sieg des FN in den fünf möglichen Regionen verhindert wurde, wird ein starker FN für lange Zeit nicht mehr aus der politischen Landschaft wegzudenken sein.

Der extreme Erfolg des FN hat mehrere Ursachen. Zum einen zeigt sich, dass Marine Le Pens mit Beginn ihres Parteivorsitzes 2011 eingeschlagener Kurs, den Front National durch ein Bekenntnis zur Demokratie und zum französischen Laizismus aus der rechtsextremen, antisemitischen Ecke heraus zu führen, erfolgreich gewesen ist. Gleichzeitig hat es der FN geschafft, den beiden linken Parteien Parti de Gauche und Parti communiste in der Globalisierungskritik komplett den Rang abzulaufen. Zum anderen konnte die französische Linke auch nicht durch ihre noch vor einigen Jahren starke Präsenz in den Kommunen punkten.

Marine Le Pen weiß die Schwäche der französischen Linken geschickt auszunutzen, um die Modernisierung der Partei voranzutreiben. Zum Beispiel indem sie sich in Reaktion auf die sexuellen Übergriffe gegen Frauen in der Silvesternacht in Köln als Feministin oder zumindest Frauenrechtlerin präsentierte. „In Köln wurden hunderte Frauen Opfer sexueller Gewalt (...). Ich begehre heute auf gegen das nicht hinnehmbare Schweigen, das als stillschweigende Zustimmung französischen Linken gegenüber diesen fundamentalen Verletzungen der Frauenrechte gesehen werden muss.“[1]

Gemeinsam, aber zu schwach: die Linke

Dabei wäre eine linke Partei, die eindeutiger gegen Neoliberalismus protestiert, in Frankreich fast noch wichtiger als in Deutschland, da - und das ist ein aus deutscher Perspektive wenig beachtetes Phänomen – viele Franzosen sich und das eigene Land bereits in der gleichen Situation wie die austeritätsgeplagten Länder des europäischen Südens sehen. Grund hierfür ist u.a. eine weiterhin kippelige wirtschaftliche Situation und die — zum Beispiel vom französischen Geografen Christoph Guilley — konstatierte Spaltung des Landes in GlobalisierungsverliererInnen und GewinnerInnen. Guilley sieht letztere in peripheren Gebieten bestehend aus den kleinen und mittleren Städten sowie den ländlichen Regionen. Die traditionelle politische Landkarte, in der sich SozialdemokratInnen und Konservative die Regionen aufgeteilt haben, sei dabei zugunsten einer Aufteilung in ein peripheres und ein urbanes Frankreich zu verschwinden.

Für das oben beschriebene kleine Dorf weit im französischen Nirgendwo trifft diese Beobachtung zu. Nach der Zerstörung der kleinbäuerlichen Landwirtschaft durch die Agrarsubventionen der damaligen EG setze zwar eine massive Landflucht ein, ein intensiver Wein- und Ackerbau und die Erhaltung von Infrastruktur in Form von Schulen, Postämtern und kleinen Verwaltungseinheiten sicherten jedoch einen Lebensstandard in der unteren Mittelschicht. Im Zuge der Beschäftigungskrise ab Mitte der 1990iger Jahre wuchs die Arbeitslosigkeit in diesen Regionen enorm und viele Nachfahren alteingesessener Bauernfamilien arbeiten heute selbst als Saisonarbeiter_innen in der Weinernte. Das Gefühl abgehängt zu sein bestimmt das politische Denken der einst bis ins unterste Glied und kleinste Dorf so gut durch-organsierten und darauf stolzen französischen Republik. Schuldig sind, wie überall, auch die Migrantinnen und Migranten, obwohl es in genau diesen ländlichen Regionen kaum welche gibt.

Der Politologe Gilles Kepel sieht — wahrscheinlich zu recht — in den Terrorakten der französischen und belgischen StaatsbürgerInnen mit Migrationshintergrund, die zwar formal zugehörig, aber nicht in die französische Gesellschaft integriert werden und sich deshalb manchmal dem Islamismus zuwenden, und dem Erstarken der extremen Rechten zwei Phänomene mit der gleichen Ursache: das Abgehängt-Sein.

Der französische Staat hat in beiden Fällen zu viele Jahre nicht reagiert. Dabei gab es in den vergangen 30 Jahren als Folge der französischen Kolonialpolitik in Nordafrika, immer mal wieder Anschläge junger Franzosen und Französinnen mit Migrationshintergrund. Es bedarf nun dringend einer Debatte unserer eigenen europäischen Werte, diese muss sich neben der Frage, wie Integration heute gelingen kann, auch der Frage widmen, wie die Folgen einer fehlgeleiteten Austeritätspolitik, die nun auch immer deutlicher in Frankreich ihre Folgen zeigt und sicherlich zum Erfolg des FN in den ehemaligen Industrieregionen im Nord-Osten beiträgt, angegangen werden kann.

Johanna Bussemer ist Leiterin des Europareferates der Rosa-Luxemburg-Stiftung

[1] À Cologne, ce sont des centaines de femmes qui ont subi des agressions sexuelles (...). Je suis révoltée aujourd’hui par le silence inadmissible voire l’assentiment tacite de la gauche française devant ces atteintes fondamentales aux droits des femmes. (http://www.lopinion.fr/edition/politique/marine-pen-referendum-sortir-crise-migratoire-94568[1]) 17.1.2016

Links:

  1. http://www.lopinion.fr/edition/politique/marine-pen-referendum-sortir-crise-migratoire-94568