Die Kosten der Diskriminierung

Warum Racial Profiling ein Thema für Law-And-Order-PolitikerInnen sein sollte

Stefan Gerbing

„Die Bundesregierung stellt erneut fest, dass „racial profiling“ im Sinne der Durchführung polizeilicher Maßnahmen allein aufgrund der äußeren Erscheinung von Personen rechtswidrig ist, und (...) nicht vorgenommen wird.“ (hier Drucksache 18/453111)

So lautet die Antwort auf alle parlamentarischen Anfragen an die Bundesregierung, die „Racial” bzw. „Ethnic Profiling” thematisieren. Der Satz ist auf mehrfache Weise perfide. Dass diese „rechtswidrigen Maßnahmen” in der polizeilichen Praxis sehr wohl vorkommen, ist durch obergerichtliche Rechtssprechung[1] belegt. Die Antwort der Bundesregierung legt also nahe, dass Fälle, in denen Menschen allein auf Grund Hautfarbe, unterstellter Herkunft oder vermeintlicher Zugehörigkeit zu einer „ethnischen“ Gruppe AdressatInnen polizeilicher Maßnahmen werden, individuelles Fehlverhalten einzelner PolizistInnen darstellen. Wo dies nicht der Fall war, müssten sich Betroffene mindestens durch weitere Merkmale oder Handlungen für eine polizeiliche Behandlung qualifiziert haben — salopp gesagt: Selbst schuld bzw. Pech gehabt.

Bei Racial Profiling handelt es sich jedoch gerade nicht um ein individuelles Fehlverhalten von einzelnen PolizistInnen. Die Rechtswidrigkeit von Racial Profiling ändert auch nichts daran, dass es Gesetze gibt, welche die Anwendung rassistischer Raster unausweichlich macht. Eine Sensibilisierung von PolizistInnen für Rassismus im Rahmen von Aus- und Fortbildung ist daher zwar erstrebenswert, wird dem grundlegenden Problem nur zum Teil gerecht. Um ihm strukturell zu begegnen, wäre neben einem Kulturwandel bei der Polizei, die Reform von verschiedenen Befugnisnormen in den Bundespolizei- und Landespolizeigesetzen nötig. Dazu müsste die Ignoranz und Bagatellisierung des Problems überwunden werden. Die Chancen dafür stehen derzeit leider sehr schlecht. Bisher sind es vor allem AnwältInnen von Betroffenen oder AntidiskriminierungsaktivistInnen, die sich in der Öffentlichkeit des Themas annehmen. Dabei gäbe es gute Gründe, warum sich auch (weiße) Law-And-Order-VerfechterInnen für die Bekämpfung von Racial Profiling interessieren sollten.

Den Schuss nicht gehört … einmal, zweimal, dutzendfach. Eine kurze Erinnerung

Die Initiative Keupstraße ist überall erinnert den Innenminister an die unrühmliche Rolle der "Sicherheits"-Behörden

Ein zentraler Aspekt des NSU-Komplexes ist mittlerweile weitgehend aus dem öffentlichen Bewusstsein verschwunden. Racial Profiling war ursächlich dafür, dass eine nationalsozialistische Terrororganisation über mehr als zehn Jahre unentdeckt in ganz Deutschland morden konnte. Die Polizei verdächtigte durchgehend tatsächliche oder potentielle Opfer und jagte abwegige Phantomorganisationen. Statt einer rassistischen Mordserie, versuchte die „SOKO Bosporus” „Dönermorde” aufzuklären und verfolgte eine vermeintliche migrantische „Blumenmafia” — das Opfer war schließlich Migrant und Blumenhändler. Allein in Bayern wurden daraufhin fast eintausend türkische Kleingewerbetreibende aufgesucht, um Ermittlungsansätze für organisierte Kriminalität zu finden.

Am Anschlagsort in der Kölner Keupstraße wurden türkische Kleingewerbetreibenden mit V-Leuten intensiv ausgeforscht. Baden-württembergische PolizistInnen fahndeten nach einer mordenden Romni, weil dem Phantom zeitweilig Morde in verschiedenen europäischen Städten zurgerechnet wurden. Das rassistische Klischee von kriminellen und mobilen Sinti und Roma wurde kurzerhand zum Ermittlungsansatz geadelt.

Im Angesicht des Schocks nach der Selbstenttarnung des NSU schien es für einen kurzen Moment so, als wären die bis dato übliche Bagatellisierung von Racial Profiling erledigt. Die Vorstellung, dass ein polizeilicher Verdacht an sich nichts Schlimmes sei, schließlich könne er ja einfach entkräftet und ausgeräumt werden, wurde drastisch widerlegt. Gerade entlastende Indizien wurden verdachtserhärtend gewertet. Die Tatsache, dass alle Opfer des NSU unbescholtene, unauffällige Gewerbetreibende waren, machte sie besonders verdächtig einer besonders gut abgeschotteten kriminellen Organisation anzugehören. Dass keiner der Angehörigen etwas zur Aufklärung beitragen konnten, wurde als besonders effektives Schweigegelübde einer mafiösen Organisation interpretiert. Noch Jahre nach der Tat wurden die Opfer vorgeladen und ganze Familien mehrstündigen Kreuzverhören unterzogen.

Für die Opfer gab es keine Möglichkeit der Entlastung. Darüber zerbrachen Familien, Freundschaften, Geschäftsbeziehungen.

Indem Unschuldige zu Tätern gemacht wurden, blieben die Täter unentdeckt.

Gefährliche Hautfarben

Das Beispiel NSU ist ein extremes Beispiel. Aber auch im Bereich der Klein- und Alltagskriminalität wie Diebstahls- und Betäubungsmitteldelikte senken ethnische Verdachtsraster die Aufklärungswahrscheinlichkeit. Eindrücklich hat der Sachverständige Günter Schicht im NSU-Untersuchungsausschuss von polizeilichen Stereotypisierungen berichtet: „Ich war erst kürzlich bei einer Veranstaltung (…), als ein junger Polizeibeamter aus den Einsatzhundertschaften – selbst mit Migrationshintergrund – ein Statement abgeliefert hat und sich eigentlich gegen Racial Profiling gewandt hat. […] In dem, was er gesagt hat, äußerte sich Racial Profiling. Er hat gesagt: Man weiß doch, dass 90 Prozent der Schwarzen in der Hasenheide[2] Drogendealer sind. (Drucksache 17/14600)

Bei solch einem polizeilichen Vorurteilsraster ist klar, dass hundert Prozent aller schwarzen Personen potentielle AdressatInnen polizeilicher Maßnahmen sind und sich im Zweifel regelmäßig erniedrigenden Durch- und Untersuchungen unterziehen lassen müssen. Im wichtigsten Naherholungsgebiet zweier von migrantischen Communities geprägten Stadtbezirke. Alle Betäubungsmittelverkäufer, die nicht diesen Klischees entsprechen haben hingegen gute Chancen unbehelligt zu bleiben.

Angelina Weinbender vom Migrationsrat Berlin Brandenburg hat vor einigen Jahren in einer Auswertung der Polizeilichen Kriminalstatistiken des Landes Berlin gezeigt, dass die Zahl der nichtdeutschen Tatverdächtigen im Jahresvergleich in beunruhigendem Maße gestiegen ist. Parallel sanken die die Aufklärungsraten. Diese Korrelation ist zumindest ein Indiz, das ihre Schlussfolgerung „mehr Racial Profiling” bedeute „weniger aufgeklärte Fälle”, plausibilisiert.[3]

Man kann sich dies als selbstverstärkendes System vorstellen. Wenn die Polizei „sichtbaren Minderheiten” eine besondere Gefährlichkeit zuschreibt produziert sie damit Verdächtige, die wiederum in der Kriminalstatistik auftauchen, unkontextualisiert in der Berichterstattung aufgegriffen werden und das Bild vom „gefährlichen Fremden” verstärken.

Gefährliche Orte - Racial Profiling als polizeiliches „Massendelikt”

Neben der Tatsache, dass im Alltagsbewusstsein von PolizistInnen Bevölkerungsgruppen Kriminalitätsformen zugeschrieben werden, existiert jenseits dessen aber auch eine gesetzlich legitimierte Form des Racial Profiling. Sie existiert, wo polizeiliches Handeln vom Ort oder vom Zweck her legitimiert wird.

Das klingt abstrakt, ist aber letztlich ganz simpel: Normalerweise darf die Polizei Personen durchsuchen oder ihre Identität feststellen, wenn sie sich einer Straftat verdächtig gemacht haben oder wenn eine Gefahr droht.

Es gibt aber eine Reihe von Orten, an denen allein der Zweck die Mittel heiligt. So darf laut Berliner Polizeigesetz diese ohne besonderen Anlass oder Verdacht Menschen nicht nur an Orten (!) kontrollieren, an denen sich Menschen treffen, die gegen „aufenthaltsrechtliche Strafvorschriften” verstoßen, wie es explizit im Gesetz heißt, sondern grundsätzlich an Orten, an denen mit der Begehung von Straftraten zu rechnen ist.

Somit ist Migrationskontrolle gleich zweimal gesetzlich legitimiert. Denn der Verstoß gegen aufenthaltsrechtliche Vorschriften stellt schließlich eine Straftat dar, zumal eine, die nur von AusländerInnen begangen werden kann. Insofern ist es zwangsläufig, dass die Polizei ausschließlich Personen kontrolliert, die sie für AusländerInnen hält.

Seit Brecht wissen wir, dass der Pass zwar der edelste Teil eines Menschen ist, er hat nun einmal die Eigenschaft kein weithin sichtbarer Teil zu sein. Dass PolizistInnen daher zu anderen (in der Regel rassistischen) Merkmalen greifen, ist folgerichtig. Wer Racial Profiling verhindern will, muss daher Verstöße gegen das Aufenthaltsrecht entkrimininalisieren und die „gefährliche Orte” aus den Landespolizeigesetzen verbannen.

Fazit

Mit der Duldung von Racial Profiling verstößt die Bundesrepublik regelmäßig gegen europäisches und internationales Recht. Sowohl die Internationale Antirassismus-Konvention, als auch die Europäische Menschenrechtskonvention und der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte verbieten rassistische Diskriminierung. Diese Verträge wurden ratifiziert und sind damit innerstaatlich geltendes Recht.

Zunächst und in erster Linie schädigt Racial Profiling jene, die davon betroffen sind. Sie sind es, die gesellschaftlich ausgegrenzt und stigmatisiert, sowie zu GrundrechtsträgerInnen zweiter Klasse degradiert werden. Racial profiling führt allerdings auch zu einer schlechten Polizeiarbeit im Sinne der Zielstellung einer Aufklärung von Straftaten. Wo Kapazitäten für die Verfolgung zu Unrecht Verdächtigter verwandt werden, fehlen sie für zielführende Ermittlungsarbeit. Die Entfremdung zwischen von racial profiling betroffenen Bevölkerungsgruppen trägt darüber hinaus dazu bei, dass diese sich nicht an die Polizei wenden, wenn sie selbst Opfer von Straftaten werden.

Deswegen müssten sich auch Law-&-Order-PolitikerInnen für die Bekämpfung von Racial Profiling interessieren.

Sie könnten dabei einige einfach zu verwirklichende Ansätze verfolgen:

Auf Landesebene wäre ein erster Schritt die Entfernung einer gesonderten Aufführung der Staatsangehörigkeit von Tatverdächtigen aus der Polizeilichen Verdächtigenstatistik (PKS). Sie sagt lediglich etwas über Kontroll- und Verdächtigungsverhalten der Polizei aus, erweckt aber den Eindruck Aussagen über die Gesetzestreue der nichtdeutschen Bevölkerung zu treffen.

Verdachtsunabhängige Befugnisse befördern Racial Profiling, sie sind sowohl aus den Landes- als auch den Bundespolizeigesetzen zu entfernen. Das Aufenthaltsgesetz gehört entkriminalisiert. Sondergesetze wie die Aufenthaltsbeschränkungen für AsylbewerberInnen müssen abgeschafft werden. Sie stellen nicht nur einen nicht zu rechtfertigenden Eingriffen in die Grundrechte von Schutzsuchenden dar, sie sind auch eine Rechtfertigung für rassistische Polizeikontrollen. Schließlich gehört das Thema Diskriminierung in die Aus- und Fortbildungsprogramme der Polizeien. Außerdem bräuchte es unabhängige Polizeibeschwerdestellen[1] sowohl für die Bundes- als auch für die Länderpolizeien.

Stefan Gerbing ist Redakteur dieser Zeitschrift.

Anmerkungen

[1] Vgl. Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 7 A 10532/12.OVG,http://www.anwaltskanzlei-adam.de/index.php?oberverwaltungsgericht-rheinland-pfalz-ae-az-7-a-1053212ovg

[2] Die Hasenheide ist ein großer Park an der Grenze der Berliner Bezirke Neukölln und Kreuzberg.

[3] Der Beitrag ist im Themenheft „Racial profiling“ der Zeitschrift „Bürgerrechte & Polizei“ vom Dezember 2013 abbgedruckt.

Links:

  1. https://www.prager-fruehling-magazin.de/de/article/1279.längst-überfällig.html