18.04.2016

Welcome to the political revolution?

Bernie-Rally im Prospect-Park

Judith Kainer und Thomas Lohmeier

Es ist das Event, auf das viele Bernie-Unterstützer*innen in New York hinfiebern: die Bernie-Rally im Prospect Park in Brooklyn. Auf dem Weg zur Kundgebung kann man sich mit allerlei Devotionalien, Buttons, Caps, T-Shirts und vielem mehr eindecken. Dabei sind die Bernie-Caps bei Temperaturen von 25 bis 30 Grad in der Sonne durchaus praktisch, wenn auch nicht  billig mit 20 US$. Aber immerhin geht ein Großteil des Erlöses in die Bernie-Kampagne - das behauptet zumindest der Verkäufer. Bei wolkenlosem Himmel helfen sie zumindest bei denjenigen einen Hitze-Schlag zu verhindern, die schon zur Einlasszeit um 12 Uhr mittags kommen, um auf den besten Plätzen den ersten demokratischen Sozialisten zu sehen, der einen Hauch einer Chance hat, Präsident des Landes zu werden, das wie kein anderes die Prinzipien und die Logik des Kapitalismus hoch zu halten weiß. Selbst der Gedanke einer Krankenversicherung für jeden gilt schließlich großen Teilen der US-amerikanischen Bevölkerung schon als staatssozialistische Todsünde.

Julia und Mark, beide um die fünfzig, weiße Mittelschicht und aus  New York City, haben kein Problem damit, sich Sozialist*innen zu nennen. Sie sind, anders als viele Amerikaner*innen, auch schon immer wählen gegangen. Immer demokratisch. Heute setzen sie große Hoffnung auf Bernie Sanders: „Es muss sich etwas ändern, sonst bringt es die Mittelschicht um." Wie Julia und Mark haben sich rund 28.000 Menschen an diesem sonnigen Sonntagnachmittag weder von den Schlangen vor den Metalldetektoren noch von anderen Tätigkeiten, die man bei wunderbarem Frühlingswetter machen kann, aufhalten lassen. Und die Sicherheitsbehörden nehmen ihre Aufgabe sehr ernst. Sie werden auch nicht von irgendwem durchgeführt. Der National Security Service (NSA) höchstselbst bittet darum, die Taschen zu öffnen und durch die Schleuse zu schreiten. Immerhin geht also auch die NSA davon aus, dass der Hauptredner heute Präsident der Vereinigten Staaten werden könnte. In der Warteschlange, die sich vor den Sicherheitsschleusen hunderte von Metern durch den Park windet, werden derweil noch für die letzten Stunden dieses Wahlkampfes freiwillige Helfer*innen akquiriert. 

Während die Teilnehmer*innen beim gestrigen Marsch in Manhattan sich noch überwiegend aus politischen Zusammenhängen rekrutierte, überwiegt heute ein städtisches Publikum. Es ist eher weiß, vom Alter her gemischt, auch wenn viele jüngere Menschen anwesend sind. 

Die Stimmung ist entspannt, wenn auch nicht überaus euphorisch. 

Im Gegensatz zu Julia und Mark hat sich Marisa, 43 Jahre alt, erstmals für eine Wahl registrieren lassen. Auch sie kommt direkt aus New York. Aber sie bleibt skeptisch: "Solange wir keine große dritte Partei haben, haben wir kaum eine wirkliche Wahl.” Nichtsdestotrotz sieht sie durch Bernie Veränderungspotential: “Es ist das erste mal, dass die Demokraten sich soweit nach links wagen.” Und wenn Bernie verliert? “Dann werde ich notgedrungen, und obwohl Hillary viel zu sehr mit den großen Konzernen verschmolzen ist, sie wählen.”

Und dann kommt er, dessen Kampagne der US-amerikanischen Linken unabhängig vom weiteren Verlauf seiner Kampagne eine neue Perspektive geben kann. Und er macht gleich zu Beginn seiner Rede deutlich, dass sich diese kontinuierlich weiter entwickelt, sie stärker und stärker wird. Überhaupt spricht er auffällig häufig von “unserer” Kampagne. 

Bernie Sanders erinnert daran, dass vor einem Jahr niemand mit diesem großen Erfolg gerechnet hat. „Diese Kampagne war ein Außenseiterphänomen“. Heute aber sei es diese Kampagne, die Trump verhindern wird, und die es geschafft hat, eine Million Menschen zurück in den politischen Meinungsbildungsprozess zu bringen. Tatsächlich sehen ihn erste nationale Umfragen Kopf an Kopf mit Hillary Clinton. Seine aus anderen Reden und Auftritten bekannte Themen - 15$ Mindestlohn, Nein zum Fracking, Krankenversicherung für alle, der Umstand, dass die USA das Land mit den meisten Gefängnisinsass*innen ist, das Recht auf Heirat auch für Homosexuelle - spult er routiniert und mit heiserer Stimme durch. Sanders bedient alle Zielgruppen - Schwarze, Hispanics, Frauen, Studierende, Arbeiter, Arbeitslose. Aber dennoch bleiben seine beiden Hauptbotschaften unverkennbar: Kampf dem ungeheueren Reichtum des 1% und der bedrohlichen Lage der Mittelklasse einerseits, der demokratiegefährdende Lobbyismus andererseits.

Aber neben seinen gängigen Themen gibt er noch der Menge eine weitere Botschaft mit auf den Weg. Auch sie nicht neu, aber sie ist vor der ja nicht unwahrscheinlichen Niederlage gegen Hillary Clinton dennoch besonders wichtig: Die Menschen wollen eine Veränderungen und sie verstehen die historische Lektion - dass gesellschaftlicher Zusammenhalt der einzige Weg sei, diese Gesellschaft zu verändern. Kein Präsident alleine könne die Veränderungen schaffen, für die diese Kampagne steht. Am Ende seiner Rede kommt er wieder auf Trump zu sprechen und weist darauf hin, dass es gerade die Vielfalt in dieser Kampagne sei, die Trump verhindern könne.

Seine Rede enthielt kaum überraschendes. Aber weder deswegen noch wegen eines erschöpft wirkenden – wahrscheinlich wegen seines Kurztripps nach Rom - Bernie Sanders, hielt sich der Enthusiasmus in Grenzen. Vielleicht spürten die Menschen, das bei durchschnittlich 12%-Punkten Rückstand in den Umfragen, die große Sensation am Dienstag ausbleibt und die Kampagne ihr Ende finden könnte. Vielleicht ahnen sie, dass die vielen Hinweise auf Trump und die Beschwörung, dass diese Kampagne Trump stoppen wird, auch das erste Kapitel einer Erzählung sein könnte, in der Bernie Sanders seinen Unterstützer*innen erklärt, Hillary Clinton zu unterstützen. Die politische Revolution wäre dann ausgeblieben. Aber wenn es der Bernie-Sanders-Kampagne im Falle seiner Niederlage im Kampf um die Nominierung gelingt, sich zu mehr zu transformieren als zu einer Anti-Trump-Kampagne, dann ist sie so oder so der Beginn von etwas wirklich Großem, von etwas, das die US-amerikanische Politik nachhaltig verändern wird.