12.05.2016

„Das war nur ein Startschuss!“

Yanis Varoufakis im Interview zu DiEM25

prager frühling (pf): Die Vorstellung von DiEM25 in der Berliner Volksbühne war brechend voll und noch viel mehr Interessierte folgten dem Livestream. Dennoch konnten aus dem Publikum nur wenige Fragen gestellt und Ideen eingebracht werden. Für viele blieb offen, wie der oder die einzelne sich bei DiEM25 in den Kampf für die Demokratisierung der EU einbringen kann.

Yanis Varoufakis (YV): Die Veranstaltung in der Volksbühne war vor allem ein Startschuss. Vor dem Hauptevent haben hunderte AktivistInnen intensiv und fruchtbar miteinander debattiert. Die Hauptveranstaltung war eher eine Feier als ein Forum des Austauschs und Beginn des Dialogs. Das eigentliche intensive Gespräch begann nach Berlin mit den Town-Hall-Meetings und im Internet FORUM von DiEM25[1]. Der Dialog wurde im beeindruckenden Saal des Aquariums von Rom fortgesetzt. Besonders hoffnungserweckend sind die gerade entstehenden „Spontanen Kollektive“. Sie sind etwas sehr Radikales. Wir bitten unsere Mitglieder ihre Fähigkeiten der Selbstorganisation für die Verbreitung von DiEM25 zu nutzen. Wir bitten sie nicht auf Aufgaben zu warten, die wir ihnen geben, sondern darum mit anderen Mitgliedern zusammen zu kommen und herauszufinden, wie sie DiEM25 zu einem Erfolg machen und die Botschaften unseres Manifests verbreiten können.

pf: Eine Frage aus dem Publikum bezog sich auf den Charakter von DiEM25. Ist DiEM25 eine soziale Bewegung, eine Partei oder ein Think Tank?

YV: DiEM25 ist weder politische Partei noch gibt es das Bestreben eine Konföderation nationalstaatlich organisierter Parteien zu werden. DiEM25 versucht nicht die politische Bühne in Konkurrenz zu bestehenden Parteien zu erklimmen oder bestehende Parteien zu übernehmen. DiEM ist genauso wenig ein Think Tank, auch wenn in unserer Mitte viel gedacht wird, (lacht) wie es auch keine soziale Bewegung ist. DiEM25 ist eine grenzüberschreitende Bewegung, die eine Infrastruktur zur Begegnung für engagierte DemokratInnen in Europa bereitstellt: bewegungsübergreifend und unabhängig von Parteizugehörigkeit oder Nationalität. Das Ziel ist die Diskussion zu führen, wie wir gemeinsam der systemischen Krise Europas begegnen können. Wenn es uns gelingt, dabei einen paneuropäischen Konsens zu erreichen, bin ich sicher, dass sich dieser auch elektoral in den verschiedenen Ländern niederschlägt.

pf: Am ersten Tagen nach dem Launch der DiEM25-Webseite haben sich mehr als 10.000 Menschen DiEM angeschlossen. Wer sich anschließt, wird nach Mailadresse und Lebensmittelpunkt gefragt, was macht ihr mit den Daten?

YV: Das Ziel ist Vernetzung, damit die lokalen Mitglieder, Gruppen und Spontankollektive gründen, Town-Hall-Meetings veranstalten und sich in Kampagnen einbringen können.

pf: Was sind die nächsten geplanten Schritte?

Für eine echte pan-europäische Bewegung müssen wir DiEM25 in eine Plattform für die Besetzung der sechs Kampffelder für eine Demokratisierung Europas verwandeln.

pf: Etwas weniger abstrakt: Was ist mit „Kampffeldern“ gemeint?

YV: Das erste ist: Transparenz! DiEMs erste Kampagne zielt darauf, alle Entscheidungen auf EU-Ebene den Augen der europäischen Bürger zu unterbreiten. Die Treffen des Europäischen Rates, von ECOFIN, Eurogruppe und ESM müssen öffentlich sein. Zusätzlich müssen wir — Stichwort TTIP — die Undurchsichtigkeit von weitreichenden Entscheidungsprozessen, die Demokratie potentiell für lange Zeit stilllegen, entlarven.

Das zweite Feld ist der Kampf für ein offenes Europa, der Kampf um Solidarität mit Geflüchteten und MigrantInnen.

Das dritte Feld ist das der Arbeits- und Einkommensverteilung in den europäischen Gesellschaften. Wir werden das vom 16. bis 17. Oktober in Brüssel adressieren.

Das vierte Kampffeld ist der europäische Green New Deal und Europas Finanzen: die Finanzierung einer ökologischen Transformation bei gleichzeitigem Umgang mit Schulden, Bankenkrisen, Investitionsrückstand, innereuropäischem Ungleichgewicht und Abbau von Armut. Das bedeutet auch Strategien gegen den gewalttätigen Backlash des Establishments zu entwickeln.

Das fünfte Feld ist ökologischer Umbau und technologische Souveränität, also die Frage welche Investitionen Europa tätigen muss und wie vermieden werden kann, dass Europa Geisel technologischer Entscheidungen multinationaler Großkonzerne für multinationale Großkonzerne wird.

Zu guter Letzt ist die Entwicklung einer demokratischen europäischen Verfassung ein Kampffeld. Ein Prozess, der zu einer verfassungsgebenden Versammlung führen wird …

pf: Das ist eine sehr weitreichende Agenda, wie kann man sich die die Umsetzung vorstellen?

YV: Zu all diesen Themen — zu allen „Kampffeldern“ — werden Basistreffen überall in Europa entstehen, die in einer Großversammlung kulminieren werden. Wir schlagen fünf Schritte vor: Erstens, eine vorläufige Agenda — eine Liste von Fragen und Themen zu den sechs Kampffeldern zirkuliert bereits, um die DiEM25-Mitglieder zu motivieren, Ideen und Vorschläge auf DiEM25.org[2] zu posten.

Als zweiten Schritt werden die Mitglieder Treffen in ihrer eigenen Region abhalten und die jeweiligen Themen diskutieren. Wir stellen uns Town-Hall-Meetings, Treffen in Kulturzentren, Theatern, Kinos vor. Der dritte Schritt: In einem Strategiepapier pro Kampffeld werden Empfehlungen, Bedenken und Vorschläge, die aus den Veranstaltungen kommen, zusammengefasst und der jeweiligen DIEM-Versammlung zur Verfügung gestellt. Aus den Diskussionen wird dann ein Assembly-Paper auf den jeweiligen Versammlungen erarbeitet.

Am Ende steht ein Referendum. Alle sechs Assembly- Paper werden auf der digitalen Plattform von DIEM zur Abstimmung gestellt.

Dieser Bottom-up-Prozess wird sechs Positionspapiere zu den Themen, die derzeit die Europäische Union zu zerstören drohen, hervorbringen. Gemeinsam werden sie ein umfassendes Programm zur Demokratisierung der EU, eine umfassende Europäische Agenda, ergeben.

Ergänzend wird DiEM25 Kampagnen und Veranstaltungen organisieren, mit dem Ziel Entwicklungen in Europa anzustoßen. So werden wir im späten Mai 2016 in London ein DiEM25-Event vor dem entscheidenden Referendum über die EU-Mitgliedschaft abhalten, um Fragen nationaler und europäischer Souveränität zu diskutieren.

pf: Dann viel Erfolg und Danke für das Gespräch.

 

Das Interview führte Katja Kipping, Stefan Gerbing übersetzte aus dem Englischen.

Links:

  1. http://www.diem25.org/forum/
  2. http://www.diem25.org/