Gretchenfrage

Sag mir, wie hältst Du es mit dem Populismus?”

Boris Palmer, Chantal Mouffe, Johanna Uekermann, Roland Claus, Anne Steckner

Klar: Populistisch sind immer die anderen. Unklar: Populistisch? Was heißt das eigentlich?

Boris Palmer

Vox populi, vox Rindvieh? — Populismus ist zuerst ein Schimpfwort, mit dem man die politische Konkurrenz belegt. Warum eigentlich? Ist es so falsch, zu sagen, was das Volk hören will? Ich finde es nicht falsch, Politik an den Erwartungen der Menschen auszurichten. Warum ist dann der Populismus-Vorwurf so beliebt? Niemand will schließlich als Populist gelten.

Hierfür gibt es zwei Gründe. Der eine ist politpsychologisch: In der Berufspolitik wird ein Großteil der Zeit darauf verwandt, politische Überzeugungen mit Mehrheitsverhältnissen und Meinungsumfragen in ein Zielkoordinatensystem zu bringen. Politiker sind ständig damit beschäftigt, ihre Wirkung in der Öffentlichkeit zu kalkulieren. Umso ärgerlicher, wenn das andere erfolgreicher betreiben.

Zweitens wird der Begriff Populismus vor allem mit dem Zusatz „rechts“ verwendet. Darin drückt sich Hilflosigkeit in der Auseinandersetzung mit rechten Bewegungen aus. Sie werden als populistisch eingestuft, weil sie sich großer Beliebtheit in vielen europäischen Ländern erfreuen, die es eigentlich nicht geben dürfte.

Wie tritt man also Populismus am besten entgegen? Indem man ihn sauber abgrenzt. Der Schwabe hat das perfekt getan: „Dem Volk aufs Maul schauen, aber ihm nicht nach dem Mund reden.“ Das Problem des Populismus ist nicht, dass er sich an Volkes Stimme richtet. Er wird zum Problem, wenn er an niedere Instinkte appelliert, Unfrieden stiftet, den Grundsatz der Wahrhaftigkeit verletzt oder Tatsachen nach Belieben manipuliert. Das muss man konkret benennen und bekämpfen.

Boris Palmer, grüner Oberbürgermeister Tübingens

Chantal Mouffe

Meine Meinung ist, dass ein zeitgemäßes Projekt der Radikalisierung von Demokratie der Entwicklung eines linken Populismus bedarf. Ich habe lange gedacht, dass für die Bekämpfung des postpolitischen Trends und für die Schaffung einer agonistischen Konfrontation, die uns eine Radikalisierung der Demokratie ermöglicht, eine Bekräftigung der Rechts-links-Grenzziehung notwendig sei.

Ich denke mittlerweile, dass dies unter den derzeitigen Bedingungen nicht der richtige Weg ist. Wir müssen die Konfrontation anders aufbauen, in dem wir einen gemeinsamen Willen erzeugen, der transversal, progressiv und in der Lage ist, die oligarchischen Strukturen, herauszufordern, die zum Neoliberalismus geführt haben. Ich nenne dies „Linkspopulismus“. Aus den folgenden Gründen: Erstens, weil die meisten Mitte-Links-Parteien zu tief in die neoliberale Hegemonie verstrickt waren, als dass sie reformierbar wären. Vielfach haben sie ihr ja sogar zum Durchbruch verholfen. Während der Krise von 2008 stellte sich heraus, dass sie Komplizen der Austeritätspolitik waren, die diese neoliberale Ordnung verteidigen helfen sollte.

Die Ideologie der „politischen Mitte“ erlaubte keine Konfrontation entlang des Rechts-links-Schemas. In gewisser Weise haben das Ulrich Beck und Anthony Giddens bereits gesehen, sie haben das aber für einen Fortschritt gehalten. Ihre Schlussfolgerung war, dass dies der Beginn einer Politik ohne Antagonismen sei und sie haben diesen ausdrücklich begrüßt.

Chantal Mouffe ist Professorin für Politische Theorie an der University of Westminster in London. Der ganze Text hier[1].

Johanna Uekermann

Der Populismus in Europa hat viele Gesichter und einen gemeinsamen Kern: Antiliberalismus und Antipluralismus. Die vulgärdemokratische Verkürzung auf Mehrheitsentscheid und „wahren Volkswillen“ soll demokratische Verfahren delegitimieren. Das homogene „Wir“, das gegen „die Anderen“ in Stellung gebracht wird, duldet weder Abweichung und Individualität, noch Minderheitenrechte. Für mich kann die Antwort auf rechten Populismus deshalb nicht linker Populismus sein. Auf populistischer Grundlage lässt sich langfristig keine emanzipatorische Politik machen. Einem zweiten Trugschluss sollten wir entgehen: Nur weil sich RechtspopulistInnen als Verteidiger „des kleinen Mannes“ ausgeben, erschöpft sich die populistische Herausforderung nicht in der sozialen Frage. Sozial gerechte Politik ist ein Zweck an sich. Und ja, sie kann den Handlungsspielraum rechter Bewegungen begrenzen. Rassistische und antidemokratische Einstellungen verschwinden aber nicht schon wegen steigender Löhne oder besserer sozialer Absicherung. Zum Umgang mit Rechtspopulismus gehört deshalb die Absage an jede Querfront gegen „die da oben“.

Sich gegen Rechtspopulismus stellen heißt im Kern, Liberalität und Solidarität mit Minderheiten verteidigen. Ich möchte eine Demokratie, in der jedeR teilhaben kann, keine Republik der weißen Männer. Viele, denen es genauso geht, wollen jetzt erstmals aktiv werden. Um mit ihnen gemeinsam Politik zu gestalten, brauchen wir keine Einheitsfront der DemokratInnen, aber eine selbstbewusste, streitbare, pluralistische Linke.

Johanna Uekermann ist Vorsitzende der Jusos

Roland Claus

Populismus. Eigentlich ein gutes, auf das Volk und die Nähe zum Volk zielendes Wort. Es wird seit geraumer Zeit zielgerichtet in Misskredit gebracht. Von wem? Von den Herrschenden. Warum? Weil sie die Verhältnisse gern als sehr kompliziert – und damit undurchschaubar – darstellen wollen. Womit sie eine Begründung dafür haben, dass ihre Politik natürlich ebenfalls sehr kompliziert – und nur von Fachleuten verstehbar – sein muss. Populisten, heißt es dann, vereinfachten – und das Substantiv „Vereinfachung“ wird regelmäßig vom Adjektiv „unzulässig“ begleitet. Dieser Lesart zufolge ist es unzulässig, so einfache Sätze zu bilden wie diese: dass die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer wird; dass es eine Schande ist mit der Einkommensschere zwischen Ost und West; dass die Menschen nur noch nach ihrem Marktwert beurteilt werden; dass HARTZ IV Diskriminierung und der Antirussismus gefährlich ist; dass die DDR auf Mauer, Unrechtsstaat und Stasi reduziert wird und Millionen Lebensläufe einfach nichts mehr gelten. Aber wer wie ich seine Abgeordnetensprechstunden im Freien, im Offenen durchführt; wer seinen Infostand in Marktcentern aufbaut; und also dicht dran ist an dem, was „die Leute so reden“: der hört solche Gedanken hundertfach und erlebt die Wut und Verzweiflung darüber, dass genau sie von der herrschenden Politik ignoriert und von vielen Medien diskreditiert werden. Mich hat nichts an den PEGIDA-Argumenten überrascht. Ich hatte sie schon vor dem Entstehen dieser Bewegung oft vernommen. Auch den Rassismus. Auch die Ausländerfeindlichkeit. Auch Hass auf die „Roten“. Also auch den Rechtspopulismus.

Und habe ich Entgegnungen? Ja, populistische. Linkspopulistische. Alle Menschen sind gleich. Zum Beispiel. Oder, wie ich jüngst lernte: Wir alle sind Schutzsuchende. Schutzsuchende vor den unerhörten Zumutungen des kapitalistischen Marktes, der hemmungslosen Privatisierung, der Zerstörung des Öffentlichen, der Kriege und des aus ihnen sich nährenden Terrors. Nichts ist gewonnen, wenn Schwache sich an noch Schwächeren austoben. So einfach ist das.

Roland Claus ist Abgeordneter der LINKSFRAKTION im Bundestag.

Anne Steckner

Linker Populismus ist ein Widerspruch in sich. Aber wir Linken kennen uns doch aus mit Widersprüchen. Warum also linke Versuche, populare Strategien zu entwickeln, derart schmähen? Populismus ist eine Form der Politik, sein Mittel die Vereinfachung: Gemeinsamkeiten finden, Gemeinwillen artikulieren, Gegner bestimmen. Das mögen viele Linke nicht. Die „Massen“ sind ihnen suspekt. Das ist etwas bequem und der Situation unangemessen. Spaltung und Vereinzelung sind doch der neoliberale Normalzustand. Wenn Linke dann pauschale Populismus-Schelte betreiben, erweisen sie den Herrschenden einen großen Dienst: Die ohnehin wirkmächtigen nationalen Konstruktionen des WIR (Fußball-WM, Mir san mir, Standort Deutschland etc.) bleiben unangetastet. Zugleich verändern sich die europäischen Gesellschaften rasant. Mit den Flüchtlingsbewegungen setzt sich die Arbeiter*innen-Klasse neu zusammen. Deswegen braucht es dringend ein zeitgemäßes, solidarisches Angebot an das entstehende WIR: transnational, klassenbasiert, feministisch. Und wenn wir dabei keine(n) Gegner benennen, werden wir eingemeindet oder überlassen das Feld der AfD.

Anne Steckner ist Referentin der LINKEN, Autorin und Bildungsarbeiterin.

Gerhart Baum

Gerhart Baum

In einem langen Politikerleben macht man Erfahrungen, die sich immer wieder bestätigen. Populismus ist Gift. Er surft auf Stimmungen, ohne diese zu moderieren und zu korrigieren. Er akzeptiert Realitätsverluste. Er macht unhaltbare Versprechungen, letztlich zum Schaden derer, die auf diesen Populismus hereinfallen. Dem Wähler müssen aber unangenehme Wahrheiten in einer immer komplizierteren Welt zugemutet werden. Der verführte Wähler zahlt am Ende die Zeche selbst. Ein Spitzenreiter in Sachen  Populismus in Deutschland: Horst Seehofer. Das Grundgesetz allerdings ist kein Spielplatz für Populisten. Es ist eindeutig und streng. Es steht unter dem sittlichen Prinzip der Menschenwürde. Wir hatten in Deutschland zwei Systeme, die auf  Unrecht aufgebaut waren. Heute sind wir eine lebendige Demokratie. Aber dennoch: Im Spannungsverhältnis zwischen Sicherheit und Freiheit musste in den letzten Jahren immer wieder das Verfassungsgericht zu Hilfe gerufen werden, immer dann, wenn Politiker versuchten, die Angst der Bürger zu instrumentalisieren für immer neue ganz und gar überflüssige Freiheitseinschränkungen. Das Motto hieß: ein neuer Anschlag und dann gleich ein neues Gesetz. Meistens einfach nur populistische Symbolhandlungen. So auch die Stimmungsmache gegen Asylbewerber in den 90er Jahre, die zum sogenannten Asylkompromiss oder - besser gesagt -  zur Abschaffung dieses Grundrechts geführt haben. Die Wirklichkeit hat den Kompromiss  inzwischen überrollt. Und das setzt sich bis heute fort. Unsere Gesellschaften sind Erschütterungen ausgesetzt, nicht nur in den USA. Was motiviert die nach rechts abdriftenden Mittelschichten? Erleben wir eine Revolution von rechts? Demokratische Werte sind in der Defensive.  Ein heimatloser Antikapitalismus wird zur Triebfeder des Protestes. Abstiegsängste. Nicht Abschaffung, sondern Reform des Kapitalismus ist notwendig. Nachdenken darüber, dass der IWF jetzt den entfesselten Märkten eine Absage erteilt hat -  Zeitenwende? „Imperative soziale und ökologische Nachhaltigkeit in den liberalen Diskurs hineinzunehmen“, dafür plädiert  Claus Dierksmeier in seinem soeben erschienen Buch  „Qualitative Freiheit“, das die FDP zur Zeit diskutiert. Soziale Marktwirtschaft: “ja“, aber unter Bedingungen. Heute erleben wir einen gefährlichen neuen Rassismus - und das im Land des Holocaust! Wir erleben Religions- und Fremdenfeindlichkeit und eine gefährliche Trägheit, das Grundgesetz zu verteidigen.  Sogar in Teilen der Mittelschichten entstehen „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ (Heitmeyer). In der Europaablehnung steckt noch viel mehr. Und übrigens: Der „kleine Mann“ in England hat  die Suppe  jetzt auszulöffeln. Die Häuptlinge haben sich vom Acker gemacht.  In Russland täuscht Putin das Volk, indem er Feindbilder aufbaut und das Land nicht modernisiert. Die demokratische Zivilgesellschaft kommt  dort unter die Räder. Alles in allem: keine gute Zeit für die Menschenwürde! Die globalen Krisen sind bei uns angekommen - Flüchtlinge, Finanzen, Klima. Auch wenn Populisten  davor die Augen verschließen: Die Krisen werden uns zwingen, sich ihnen zu stellen.

Gerhart Baum (FDP) war 1978-1982 Bundesminister des Innern, jüngst veröffentlichte er gemeinsam mit Burkhard Hirsch „Der Baum und der Hirsch — Deutschland von seiner liberalen Seite.“[2]

Links:

  1. https://www.prager-fruehling-magazin.de/de/article/1298.auf-in-den-linkspopulismus.html
  2. http://www.ullsteinbuchverlage.de/nc/buch/details/der-baum-und-der-hirsch-9783549074718.html