Auf Grund gelaufen

Der Populismus der Piraten und sein Scheitern

Julia Schramm

Die Piraten sind Deutschlands Antwort auf den Vormarsch des Populismus in Europa. Aber diesmal haben wir Glück gehabt: Die deutschen Populisten machen keine Angst, sondern Hoffnung”, schrieb Jakob Augstein 2012 in seiner Kolumne auf Spiegel Online[1]. Und ja, es war ein angenehmer Gedanke, dass ausgerechnet in Deutschland keine rechte Partei mit populistischem Moment auf der politischen Bühne erscheinen würde. Stattdessen diese Piraten. Mit Vorstellungen einer irgendwie digitalen Utopie, ein wenig Naivität, unglaublichem Wissen über die Technologisierung und ja, auch Grundeinkommen, Freiheit, Gerechtigkeit, sowas halt. Eine Bande netter, harmloser Menschen, die ein bisschen zu hinterfragen suchten, was da eigentlich im Politikbetrieb so läuft. Augstein beschrieb das so: „Die Piraten entlarven die Simulationen des Politikbetriebs. Sie weigern sich, bestehende Spielregeln zu akzeptieren. Das ist ein wohltuender Populismus, den sich die neue Partei da leistet.” Wie wir wissen, sollte Augstein Unrecht behalten – der wohltuende Populismus der Piraten zerfiel, wurde teilweise von den anderen Parteien aufgegriffen, und dann gibt es noch die AfD. Augsteins Hoffnung, „dass die Kräfte der Enttäuschung in Deutschland nicht ins Ressentiment fließen”, wurde – wie sollte es auch anders sein – enttäuscht. Auch die Piraten hatten sich innerhalb der eigenen Reihen wegen genau dieses guten, eigentlich harmlosen Populismus zerstritten. Die Partei hatte im Kern kein verbindendes Element, keine gemeinsame Identität abseits der Feststellung, dass das Internet sehr gut ist und nicht mehr weg geht. Als gemeinsames Element kollektivierter Interessen ein bisschen zu wenig. Also wurde gestritten. Über alles. Jeden Zentimeter Politik. Das, was Augstein als guten Populismus bezeichnete, war bei den Piraten nämlich gar nicht wirklich mehrheitsfähig und irgendwann wurden die ideologischen Gräben zu aufdringlich sichtbar und die Partei zerlegte sich fast vollständig. Populismus hat in Zeiten sozialer Netzwerke ein neues Ausmaß. Schneller, brutaler, individueller.

Populismus geht sowieso einher mit Polarisierung, Emotionalisierung, Verbalradikalismus, dem Aufgreifen unbestimmter Unzufriedenheit und diffusen Fronten. Das ist der postmoderne Zeitgeist – alles und nichts geht, vertraute Fronten lösen sich auf, formieren sich neu, Unsicherheit wird globalisiert. Populismus zur Bündelung und Artikulation kollektiver Interessen scheint eine einfache Lösung. Mit klaren Parolen die Massen, die besser sein sollen, als ihr Ruf, agitieren. Für das Gute. Populismus ist so gesehen die Flucht ins unbestimmte, bessere Vorne. Also der Versuch eines Ausbruchs aus den bestehenden Verhältnissen, ohne diese jedoch im Kern zu attackieren – denn, wie es Laclau ausdrückt: „Je reicher die Extension der Signifikantenkette, desto ärmer der sie vereinheitlichende Signifikant in seiner Intension.” (Warum Populismus[2], LuXemburg Mai 2014) Deswegen sind populistische Aussagen auch oft völlig substanzlos, wenn sie von rechts kommen meistens auch schlicht falsch. Auf die Krise der Repräsentation der westlich-demokratischen Institutionen wird mit reinem Identitätsterror geantwortet, verpackt in populistischen Parolen. Also alles schlecht?

Nicht ganz, denn was Augstein über die Piraten schrieb drückt eine Sehnsucht aus, die für ein linkes Projekt erstmal fruchtbar gemacht werden kann. Die Sehnsucht nach gemeinsamen Zielen, einem gemeinsamen Kampf, nach dem Willen die Verhältnisse eben nicht hinzunehmen. Und sind wir ehrlich: Das globalisierte Kapital lässt sich nicht mit rationalen Argumenten und freundlichem Winken bekämpfen. Dafür braucht es die Massen, die Menschen, die sich ihrer kollektiven Interessen besinnen und gegen die kapitalistische Ordnung kämpfen. Und wir leben in Zeiten, in denen sozialistische Ansätze gerade erst wieder enttabuisiert werden – Populismus kann ein Instrument dafür sein. Das hat Bernie Sanders immerhin bewiesen. Das löst freilich die Frage nicht, wie aus der unbewussten Masse eine aufgeklärte wird. Aber gut.

Identifikationsobjekt Piratenschiff

Was den Populismus der Piraten so gut wirken ließ, war wahrscheinlich das, zwar oberflächliche, dennoch internationale, globale Selbstverständnis. Das Internet letztlich keine natürlichen Grenzen, sondern nur gesellschaftliche. Die deutsche Piratenpartei hat sich am Ende jedoch gegen dieses Selbstverständnis entschieden und damit ihr eigenes Ende beschlossen. Die Angst vor der logischen politischen Konsequenz, nämlich dem Antinationalen, war doch zu groß. Denn da, wo die Chancen eines linken Populismus liegen, offenbart sich auch die größte Gefahr: Die Perpetuieren gesellschaftlich tradierter Grenzen, die sich um den Begriff „Volk”[1] sammeln. In jeder Debatte über Populismus wird stets auf das emanzipatorische Potential des Volkes verwiesen. War die Konstruktion des Volkes vielleicht mal durchaus emanzipatorisch, so zeigt sich doch, dass der Volksbegriff – insbesondere in Deutschland – nie ohne biologistische Grundannahmen daherkommen kann. Populismus, der explizit mit dem Volksbegriff arbeitet, kann nur reaktionär sein. „Ein Europa, in dem sich Rechts- und Linkspopulisten, bewaffnet mit ihrem jeweiligen „Volks“-Entwurf, gegenüberstehen und sich gegenseitig die politische Legitimität absprechen, ist eine Horrorvision”, fasst es Jan Werner Müller, Professor in Princton, in der taz zusammen[3]. Oder anders formuliert: Eine Welt, in der die Völker regieren, ist eine Horrorvision. Und das lässt sich von den Piraten lernen: Populismus kann etwas Gutes sein, kann mobilisieren, kann Menschen an ihre Interessen erinnern und ihnen emotional eine politische Heimat geben. Aber um Luxemburg sprechen zu lassen: „Die Formulierung von einem ‘Selbstbestimmungsrecht der Nationen’ ist im Grunde genommen keine politische und programmatische Anleitung in der Nationalitätenfrage, sondern lediglich eine gewisse Art, dieser Frage auszuweichen.”[2][4] Ein linker Populismus muss sich von der Idee des Volkes verabschieden, denn Sozialismus kann nur antinational sein. Ein erster Schritt eines guten, linken Populismus wäre es also auf diese Frau zu hören.

Julia Schramm ist Publizistin und Politikwissenschaftlerin. Die frühere Piratin ist seit Anfang 2016 aktiv in DIE LINKE.

 

[1] Die Begriffe Volk und Nation werden hier austauschbar genutzt, denn zwar ist der deutsche Volksbegriff recht einzigartig, aber global gesehen ist es mit dem Begriff Nation am ehesten zu übersetzen und das Problem biologistischer Gesellschaftkonstruktionen ist über den Begriff Nation global wohl am besten zu fassen.

[2] Rosa Luxemburg, Nationalitätenfrage und Autonomie, Berlin 2012, S. 51.

Links:

  1. http://www.spiegel.de/politik/deutschland/piraten-sind-die-guten-populisten-a-830552.html
  2. https://www.prager-fruehling-magazin.dein Deutschland
  3. http://www.taz.de/Essay-Populismus/!5304725/
  4. https://www.prager-fruehling-magazin.de#_ftn2