14.07.2008

Liliputanerleitern auf der Apfelplantage

Harald Werner zu Freiheit und Gleichheit

Jörg Schindler

Harald Werner hat in diesem Beitrag[1] genau geschrieben, worum es geht, und was das Problem ist:

"...Offenbar kann Michael Brie immer nur an Mauer und Stacheldraht denken,wenn es um „Gleichheit auf Kosten der Freiheit geht“ und natürlich argumentieren so auch die Konservativen, aber in Wahrheit denken sie dabei, wie Hegel richtig vermutet, an das nackte Privatinteresse, nämlich an die Freiheit der Kapitaleigner. So zum Beispiel auch das Bundesverfassungsgericht, das in seinem Mitbestimmungsurteil 1979 die Freiheit der Kapitaleigner über die demokratische Mehrheit setzte oder 1995 das Dogma des so genannten "Halbteilungsgrundsatz" verkündete, nach dem vom Profit eines Vermögens nicht mehr als die Hälfte weggesteuert werden darf, weil sonst die Freiheit des Eigentums gefährdet würde. Nicht vor allem Linke glauben also, dass die Gleichheit auf Kosten der Freiheit geht, sondern die Konservativen tun es, ohne dabei an Mauer und Stacheldraht zu denken, sondern an den freien Kapitalverkehr und die freie Verfügung über ihre Renditen. Vielleicht ist Michael Brie der Meinung, dass es sich bei der Freiheit des Kapitals nicht um Freiheit handelt, aber das ist eben das Problem des so genannten Wertesozialismus, dass er von abstrakten Werten ausgeht, die in der konkreten Wirklichkeit völlig gegensätzliche Formen besitzen und deshalb auch nicht per Definition miteinander versöhnt werden können. Alle richtigen Forderungen, die Brie in der Folge seines Artikels zitiert, wie etwa Mitbestimmung und Demokratisierung der Wirtschaft, sind Einschränkungen der Freiheit und nichts anderes. Da kann Brie wiederholt schreiben: „Nicht Einschränkung von Freiheit, sondern ihre Verallgemeinerung ist das Ziel“, für die Kapitaleigner ist es dennoch eine enorme Einschränkung, wenn sie die Verfügungsgewalt über ihr Kapital verlieren.

In sich widersprüchlich ist aber nicht nur die Freiheit, sondern auch die Gleichheit. In beiden Fällen handelt es sich zwar um gesellschaftlich akzeptierte Werte, die aber schnell ihre allgemeine Akzeptanz verlieren wenn es konkret wird und die Frage nach dem tatsächlichen Inhalt des allseits geschätzten Begriffs gestellt wird. Michael Brie wird wahrscheinlich erschrecken, aber es scheint nach wie vor unverzichtbar, bei der Klärung von Wertinhalten die so sehr in Verruf geratene Klassenfrage zu stellen. Bei der Freiheit ist der Unterschied zwischen dem „Freiheitsgut“ der Kapitaleigner und der Lohnabhängigen evident. Die Freiheit der einen ist die Unfreiheit der anderen. Die Kapitaleigner haben die Freiheit mit ihrem Kapital zu tun oder zu lassen was ihnen gefällt und auch die Lohnabhängigen haben die Freiheit, ihre Arbeitskraft diesem oder jenem Kapitaleigner oder auch überhaupt nicht anzubieten. Nicht anders bei der Gleichheit. Auf dem Markt herrscht zwischen Arbeit und Kapital absolute Gleichheit, denn im Durchschnitt gesehen erhält jeder Marktteilnehmer beim Warentausch den vollen Wert seiner Ware erstattet. Die Ungleichheit kommt letztlich nur zustande, weil die Arbeitskraft im Arbeitsprozess, egal wie hoch ihr aktueller Marktwert ist, stets nicht nur ihren eigenen Wert, sondern auch den Mehrwert produziert. Die Gleichheit des Warentausches, dass nämlich alle Waren zu ihrem vollen Wert gekauft oder verkauft werden, führt also bei Kapital und Arbeit zu gegensätzlichen Ergebnisse, weil sie mit unterschiedlichen Waren auf den Markt gehen. Soziale Gerechtigkeit würde also voraussetzen, die herrschende Gleichheit zwischen Arbeit und Kapital abzuschaffen und durch Ungleichheit zu ersetzen. Zum Beispiel dadurch, dass die in der Gesellschaft geleistete Lohnarbeit nicht nach Marktpreisen, sondern nach ihrer Wertschöpfung bezahlt wird.
Der Begriff Gleichheit ist also eine Illusion, oder wie Engels einmal sagte, eine „gefährliche Phrase“, weil Gleichheit nur zwischen wirklich Gleichen Gerechtigkeit schafft. Ist das nicht der Fall, weil die Menschen unterschiedliche Bedingungen oder Voraussetzungen im gesellschaftlichen Miteinander haben, müssen auch unterschiedliche, nämlich ungleiche Regeln geschaffen werden. Der Jesuitenpater und Sozialethiker Friedhelm Hengsbach hat das einmal in ein Bild übersetzt: Soziale Gerechtigkeit herrscht nicht dadurch, dass alle den gleichen Zugang zu einer Apfelplantage erhalten, sondern die Liliputaner Leitern erhalten...."

Offenbar hat Werner den Möller in dem Redaktionsgespräch der 1. Ausgabe[2] gelesen:

"...Die Linke... täte gut daran, das ganze formelhafte Orakeln über Höher- oder Nachrangigkeiten von politischen und sozialen Rechten schnell einzustellen. Die neue Linke ist für Selbstbestimmung und Freiheit oder sie ist nicht links. Im Übrigen tauchen soziale und politische Rechte in der Realität, wenn überhaupt, dann eher im Doppelpack auf. Zusammenhänge herstellen gilt auch hier: Dort wo es bessere politische Mitbestimmungsmöglichkeiten und mehr Freiheitsrechte gibt, steht es auch um die sozialen Rechte besser..."

Links:

  1. http://www.forum-ds.de/article/975.freiheit_und_oder_gleichheit.html
  2. https://www.prager-fruehling-magazin.de/de/article/68.vom_bruch_nach_vorne.html