05.07.2016

Nachruf: Christina Ujma

(31.10.1959-28.5.2016)

Am 28.5.2016 verstarb in ihrem 56. Lebensjahr unsere Autorin und Genossin Christina Ujma. Während ihres Studiums in Marburg engagierte sich Christina bei den Jungsozialisten in der SPD, von 1986 bis 1988 gehörte sie dem Juso-Bundesvorstand an, und von 1987 bis 1992 war sie Mitglied der Redaktion des »Sozialist«, den der Göttinger Kreis marxistischer Sozialdemokraten herausgab. Nach dessen Ende und dem Zusammen-gehen der Zeitschrift mit »Sozialismus« publizierte sie vor allem dort, aber auch in der spw (Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft), in Z (Zeitschrift marxistische Erneuerung) und im »prager frühling«. Kennzeichnend für sie als SPD-Linke, Marxistin und Feministin war die Offenheit für unterschiedliche linke Positionen. Ihre Beiträge galten der Theoriediskussion und der SPD-Entwicklung, vor allem auch der internationalen sozialistischen Bewegung. Ihr Blick über die Grenzen war anfangs stark auf Großbritannien, später auf Italien gerichtet. Klug und mit dem ihr eigenen Humor löckte sie gegen sozialdemokratische Profillosigkeit. Die Leichtigkeit, die sie dabei in Anspruch nahm, speiste sich sicherlich auch aus der relativen Distanz zum Parteiapparat. Christinas »wissenschaftliche Karriere« begann scheinbar mit Umwegen, die aber schließlich ihren Weg kennzeichneten. Noch während sie an ihrer Dissertation arbeitete, war sie Lehrbeauftragte am Institut für Neuere Deutsche Literatur der Universität Marburg. 1993 ging sie als Dozentin nach Italien und lehrte Germanistik an der »Facolta di Lingue e Letterature Straniere« der Universität Pisa. 1994 wurde sie in Marburg promoviert, ihre 1995 veröffentlichte Doktorarbeit trägt den Titel: »Ernst Blochs Konstruktion der Moderne aus Messianismus und Marxismus. Erörterungen mit Berücksichtigung von Lukács und Benjamin«. Im Zentrum stehen die Schriften Blochs aus den 1920er und 30er Jahren. Ihre These lautet, dass Bloch seine früheren Schriften im Lichte späterer Erkenntnisse und Positionen verändert bzw. »begradigt« hat, sodass Widersprüche und Brüche eher in den Hintergrund traten. Dem Gegenstand ihrer Dissertation blieb sie auch später treu. So notierte sie 2006 über Blochs kaum bekannten Aufsatz über die Seeräuber-Jenny aus Brechts Dreigroschenoper: »Bloch gefällt besonders der anarchische Charakter, der sich in dem so harmlos und mit seelenvollem Schmalz vorgetragenen Liedchen verbirgt: ›Ein neuer Volksmond bricht durch die Schmachtfetzen am Dienstmädchen- und Ansichtskartenhimmel‹.« Nach dem Abschluss ihrer Dissertation ging Christina 1994 als Lecturer/Assistant Professor (Hochschuldozentin) an das Department of European Studies der Universität Loughborough (GB), wo sie 14 Jahre lehrte und forschte. Dort fand sie ein weiteres Thema, das sie nicht mehr losließ und das für ihre wissenschaftlichen Arbeiten charakteristisch werden soll: Fanny Lewald. Obwohl diese sicher nicht zu den gängigen Autorinnen zählt, schrieb Christina über sie: »Fanny Lewald war die berühmteste deutsche Romanautorin des 19. Jahrhunderts. Sie galt in ihrer Zeit als deutsche George Sand, wurde berühmt durch ihre Romane, aber auch durch ihr unkonventionelles Privatleben. Sie galt zudem als ausgesprochen politische Autorin, als Fürsprecherin der Frauenrechte und war zumindest in ihrer Jugend auch Parteigängerin und Chronistin der Revolution von 1848. Wie so viele Schriftstellerinnen geriet sie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aus dem Blickfeld einer männerdominierten Germanistik und wurde erst von der feministischen Frauenforschung wiederentdeckt.« Mit Fanny Lewald teilte Christina den feministischen Standpunkt, ihre Leidenschaft für Italien und für das Reisen. 2011 gab Christina einen Sammelband mit dem Titel »Fanny Lewald (1811-1889). Studien zu einer großen europäischen Schriftstellerin und Intellektuellen« heraus, aus dem die zitierte Passage stammt. 2009 ging Christina für ein Jahr nach Berlin als Lehrbeauftragte an das Peter Szondi-Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft und ab 2010 arbeitete sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin und Lehrkraft für besondere Aufgaben am Institut für Germanistik und Vergleichende Literaturwissenschaft der Universität Paderborn. Insbesondere die Geschichte der italienischen Arbeiterbewegung faszinierte Christina, sodass neben den literaturwissenschaftlichen Arbeiten von den fast 200 Veröffentlichungen, die ein arbeitsreiches Leben anzeigen, zahlreiche der Geschichte und Theorie der italienischen Linken gewidmet waren. Zum Tod von Bruno Trentin schrieb sie 2007: »Es war ein Abschied im Stil der alten italienischen Arbeiterbewegung, mit einem Meer von roten Fahnen und einem Massenaufgebot von Mitkämpfern, Gewerkschaftern und linken Aktivisten der verschiedensten Strömungen. Bei Trentins laizistischer Trauerfeier trat zum letzten Mal der alte PCI in Erscheinung.« Christina wurde Ende Mai im engsten Familienkreis beigesetzt.

Der Nachruf erschien zuerst in der Zeitschrift Sozialismus, Heft 7-8/2016[1]. Eine Auswahl von Beiträgen von Christina Ujma für *prager frühling hier[2].

Links:

  1. http://www.sozialismus.de/heft_nr_78_juli_2016
  2. https://www.prager-fruehling-magazin.de/kontext/controllers/search.php?and=ujma&scope=all&mode=0&s0_d=00&s0_m=00&s0_y=0000&s1_d=00&s1_m=00&s1_y=0000&sort=1&search=Suche