30.08.2016

Radikaler Auftritt, geringer Tiefgang

Laurie Penny- Unsagbare Dinge. Sex, Lügen und Revolution. Nautilus Flugschriften. Hamburg. 16,80 Euro

Bodo Niendel

Laurie Penny ist zum Star avanciert. Sie bezeichnet sich selbst als genderqueere Feministin und möchte feministische und queere Aspekte zusammenführen. Ihr Buch „Unsagbare Dinge“ kennzeichnet, wie die Mehrzahl ihrer Veröffentlichungen, eine wütende und schnörkellose Schreibe. Getreu dem feministischen Leitgedanken, dass das Private politisch ist, schreibt sie von einem sehr persönlichen Standpunkt. So beschreibt sie den Übergriff eines ihrer Freunde auf sie, als das, was es ist: Vergewaltigung. Indem Penny als Person sichtbar wird, zieht sie die Leserinnen und Leser in den Bann. Doch zugleich möchte sie aufrütteln und insbesondere Frauen dazu animieren Unrecht nicht mehr hinzunehmen. Penny richtet sich gegen den „Mainstream-Feminismus“, der nur die „gläserne Decke“, also fehlende Aufstiegschancen, bemängelt. Sie möchte „das Patriachat“, also „die Männerherrschaft“, benennen und angreifen.

„Wenn der Feminismus uns nicht mehr gebracht hat, als das Recht auf Lohnarbeit, so kommt durchaus zurecht das Gefühl auf, dass es mit der Emanzipation nicht weit her ist und dass die Frauen, die sich für den attraktiven Prinzen und die Hausfrauenrolle entschieden, vielleicht doch die richtige Wahl trafen.“

Was sich zunächst frech liest, muss nachdenklich stimmen. War es wirklich „der Feminismus“, der nur das Recht auf Lohnarbeit brachte? Waren es nicht doch noch ein paar mehr Faktoren? Außerdem kann man wohl kaum von einer freien Entscheidung sprechen. So geht es weiter. Sie kritisiert „den Neoliberalismus“ wegen der Ausbeutungslogik, doch ihre Auseinandersetzungen mit der Ökonomie und den Verzahnungen zu Geschlecht und Sexualität reichen nicht tief. Sie schreibt: „Was uns allen schadet, ist nicht Sex, sondern sexuelle Kontrolle.“ Wird hier nicht die Repressionshypothese von Wilhelm Reich neu aufgewärmt, die wir mit Foucault, also dem Verständnis von der Produktivität der Macht, schon überwunden glaubten?

Mich beschleicht mehr als einmal, dass Penny hier nur alten Wein in neuen Schläuchen bewirbt. Pennys freche Schreibe und gerade auch Ihre öffentliche Auftritte beeindrucken. Sie erfrischt durch ihre grundsätzliche Kritik, aber leider nicht durch ihre analytische Tiefe. Und vieles ist eben nicht so neu und auf den 280 Seiten kommt es zu vielen Wiederholungen. Zwar proklamiert sie auch queer für sich, doch der queere Gedanke - Heteronormativität infrage zu stellen - wird meist nur angehängt. Sie bleibt häufig bei uns Frauen und den Männern stehen. Penny ist in erster Linie eine feministische Aktivistin, die radikal sein möchte. Aber unter hiesigen Verhältnissen muss man sich darüber freuen, wenn sich Wut weitestgehend progressiv äußert. Doch nicht verschweigen kann ich, dass sich gerade ihre oberflächliche Radikalität sie zu – vorsichtig ausgedrückt – Unsinn treibt, wie z.B. ihr Engagement für die Gruppe BDS, die den Boykott israelischer Waren propagiert. Dies ist nicht nur in Deutschland völlig indiskutabel.

 

Bodo Niendel, Referent für queer-Politik der Bundestagsfraktion DIE LINKE.