Die unsichtbare Hand

Oder: Wer kochte, putze und sorgte für Adam Smith?

Katharina Mader

Adam Smith gilt als der Begründer der modernen Wirtschaftswissenschaften. Diese moderne Wirtschaftswissenschaft beruht auf androzentrischen Wert- und Weltvorstellungen. Sie ist geprägt von männlichen Erfahrungen und Interessen und vernachlässigt die Notwendigkeit auch anderen Bedürfnissen Raum zu geben. So blendet sie die spezifischen Erfahrungen und Lebenskontexte von Frauen aus. Angefangen bei der Konstruktion des ökonomischen Gegenstandsbereichs, über die Wahrnehmung von Probleme bis hin zu deren Erklärungen und Interpretationen, Wirtschaft wird aus einer männlichen Perspektive gedacht.

Der Geburtsort der klassischen Nationalökonomie: Hotel Mama

Die langjährige Wirkungsstätte von Adam Smith

Kochen, putzen, Kinder erziehen, Alte pflegen – mehr als zwei Drittel dieser Arbeit leisten Frauen unbezahlt. Der Wert dieser unbezahlten Arbeit entspricht schätzungsweise einem Drittel des Sozialprodukts westlicher Gesellschaften. Dennoch gehört(e) sie nicht zu den Lebensrealitäten der Ökonomen und bleibt unsichtbar. Adam Smith lebte beispielsweise Zeit seines – oder wohl besser ihres – Lebens bei seiner Mutter. Sie war es also deren „unsichtbare Hand“[1] all jene Arbeiten übernahm, die seit Begründung der modernen Wirtschaftswissenschaften nicht als Teile ebendieser wahrgenommen werden. Die unbezahlten Beiträge von Frauen zur Wirtschaft werden seither systematisch unterschätzt, bleiben unsichtbar und erfahren weder gesellschaftliche Wertschätzung noch angemessene Beachtung innerhalb der Wirtschaftswissenschaft.

Insofern ist es wenig überraschend, dass eines der zentralen Forschungsfelder innerhalb der feministischen Ökonomie schon seit den 1960er Jahren die Untersuchung von unbezahlter Arbeit und Arbeit in Haushalten, die überwiegend von Frauen geleistet wird, ist.

Arbeit bedeutet für die herrschenden Wirtschaftswissenschaften ausschließlich marktförmige Erwerbsarbeit. Das führt zum Beispiel dazu, dass bei der Messung des ökonomischen Wohlstands Hausarbeit zwar in die Berechnung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) einfließt, jedoch nur, wenn sie als Dienstleistung zugekauft wird, nicht aber, wenn sie unbezahlt (etwa von Müttern) erbracht wird.

Feministische Ökonomie zielt daher auf die Integration aller Arbeit – auch der unbezahlten – in die ökonomische Theorie, denn jede Wirtschaft würde über kurz oder lang zum Stillstand kommen, wenn diese unbezahlten Arbeiten nicht mehr getan würden.

Hierfür muss der traditionelle Arbeitsbegriff erweitert werden: Jede gesellschaftlich nützliche Arbeit sollte als Arbeit wahrgenommen werden, nicht nur die Erwerbsarbeit. Dies schließt neben unbezahlter Pflege- und Hausarbeit auch ehrenamtliche Tätigkeiten, freiwillige soziale Arbeit oder auch kulturelles und politisches Engagement ein.

Die verdeckte Seite von Adam Smith — dargestellt am Smith-Denkmal in Edinburgh

Arbeit ist ein zentrales – wenn nicht sogar das zentrale– Medium der sozialen Integration und in zunehmenden Maße auch der Desintegration in modernen Gesellschaften. Der feministischen Ökonomie geht es daher um eine angemessene Berücksichtigung der Vielfalt der unterschiedlicher Arbeits- und Beschäftigungsformen einschließlich ihrer nach wie vor geschlechtsspezifischen Organisation, Verteilung und Bewertung. Zudem geht es um die Untersuchung der geschlechtsspezifischen Einbettung von „Arbeit“ in die Gesamtheit der individuellen und gesellschaftlichen Lebenswirklichkeiten.

Feministische Ökonomie und ein veränderter Arbeitsbegriff

Feministische Ökonominnen fordern einen Arbeitsbegriff, der sich nicht mehr ausschließlich am Umgang mit Materie (Produktion) orientiert, sondern auch am Umgang mit Menschen und Zeit und damit die tatsächlichen Perspektiven und Lebensrealitäten von Frauen und Männern abbilden kann. Entscheidend ist daher, den Begriff Arbeit vor allem bezüglich personenbezogener, haushaltsnaher Dienstleistungstätigkeiten neu zu konzeptualisieren um die Gesamtheit von Arbeit und Wirtschaft – den Zusammenhang von Produktion und Reproduktion, unbezahlter und bezahlter Arbeit, Markt und Sorgeökonomie ins Zentrum zu stellen. Denn sowohl im Bereich der zurzeit bezahlt geleisteten Arbeit wie auch im Bereich der aktuell unbezahlt geleisteten Arbeiten werden gesellschaftlich und wirtschaftlich notwendige und wertvolle Tätigkeiten verrichtet.

Für eine Neukonzeptionalisierung des Arbeitsbegriffes ist „Arbeit“ als ein politisches Feld zu verstehen, denn damit lässt sich das gesellschaftlich dominante Verständnis von Arbeit als Ausdruck von Machtverhältnissen und Interessenkonflikten analysieren. Und genau diese Dimension des Politischen ist dem Begriff „Care-Arbeit“[2] im Unterschied zum Begriff „personenbezogene (haushaltsnahe) Dienstleistung“ eigen. Seit Mitte der 1990er Jahre gibt es eine Verschiebung der Schwerpunktsetzung innerhalb der feministischen Ökonomie hin zu der Befassung mit unbezahlter (aber auch bezahlter) Care-Arbeit. Dies hat mehrere Gründe: Zum einen ist es eine Folge der veränderten Schwerpunktsetzung innerhalb der feministischen Theorie insgesamt in Form von Genderanalysen. Im Zentrum steht nicht mehr nur die „Frauenarbeit“, sondern umfassender die Geschlechterverhältnisse als Machtverhältnisse, die besonders in den bezahlten und unbezahlten Care-Bereichen wirksam werden. Zum anderen hat diese Verschiebung damit zu tun, dass es in der konkreten Hausarbeit zu einem Strukturwandel gekommen ist. So wurden einige Hausarbeiten durch Geräte erleichtert und beanspruchen weniger Zeit. Dies beinhaltet jedoch nicht jene Arbeiten mit Care- bzw. Beziehungselementen. Sie sind gleichzeitig diejenigen Elemente, die am allerwenigsten als Formen von Arbeit wahrgenommen werden. Ein weiterer Grund für die Verschiebung ist, dass in Care-Bereichen Erwerbsarbeitsplätze, vor allem für Frauen entstanden. Der Wandel von unbezahlter zu bezahlter Arbeit führte aber bei den Care-Tätigkeiten nicht zu ähnlichen Produktivitätssteigerungen wie das beim Wandel der unbezahlten Güterherstellung zu bezahlter der Fall war bzw. ist.

Care-Arbeit und die Trennung von Produkt und Produzentin

Der Begriff „Care-Arbeit“ beinhaltet die öffentliche oder private Verantwortung, die bezahlte oder unbezahlte Versorgungsarbeit ebenso wie die Festschreibung von Abhängigkeit oder Ermöglichung von Unabhängigkeit. Care-Arbeit kann von der Person, die sie leistet, nicht separiert werden. Das unterscheidet sie vom Arbeitsbegriff, der den ökonomischen Theorien bislang zugrunde liegt und bei dem es egal ist, wer die Arbeit tätigt: Mit anderen Worten, gibt es eine Trennung zwischen ArbeiterIn und dem Produkt der Arbeit. Wenn der Faktor Arbeit rationalisiert wird, hat dies im ökonomischen Mainstream nicht zwangsweise Auswirkungen auf das Endprodukt. Bei Care-Arbeit ist dies jedoch sehr wohl der Fall. Denn Care-Arbeit umfasst das Organisieren des Lebensnotwendigen, die lebensnotwendigen gesellschaftlichen Aufgaben zur Produktion des Lebensstandards, zur Schaffung von Voraussetzungen für die menschliche Entwicklung und die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit von Frauen und Männern. Sie ist (über-)lebensnotwendig.

Schließlich geht es bei Care-Arbeit immer um die Frage: Wie wollen wir leben? Damit wird das Private durchaus politisch und die unsichtbare Hand sichtbar!

 

Mag. Dr. Katharina Mader ist Ökonomin und Habilitandin am Institut für Institutionelle und Heterodoxe Ökonomie der Wirtschaftsuniversität Wien. Ihre Forschungsgebiete sind Feministische Ökonomie, Care-Ökonomie und Gender Budgeting.

 

Fußnoten

[1] Die von Adam Smith verwendete Metapher der „unsichtbaren Hand“ wird eigentlich als Argument für die These verwendet, dass die Konkurrenz auf freien Märkten zu einem allgemeinen Gleichgewicht und im Weitesten zu Wohlstand führe.

[2] Care-Arbeit wird als Arbeiten von Angesicht zu Angesicht, die dazu beitragen die Fähigkeiten der EmpfängerInnen zu entwickeln, definiert. Care-Arbeit im engeren Sinn ist die unbezahlte und bezahlte Arbeit mit und für vier abhängige Personengruppen –  Kinder, Menschen, wenn sie zeitweise krank sind, pflegebedürftige oder auf sonstige Hilfe angewiesene alte Menschen und Menschen mit längeren oder dauerhaften intellektuellen, physischen und psychischen Beeinträchtigungen. Häufig wird als fünfte Gruppe die unbezahlte Care-Arbeit für und mit erwachsenen Personen im Haushalt genannt.