Ökonomie neu denken, ÖkonomInnen anders ausbilden!

Gegen die Monokultur in der Volkswirtschaftslehre

Janina Urban

Dass die Wissenschaft als gesellschaftliches Teilsystem häufig den Interessen der Mächtigeren folgt, dürfte Beobachter*innen des Weltgeschehens nicht entgangen sein. Dass gerade die Wirtschaftswissenschaft einen legitimatorischen Rahmen für das jeweilige Wirtschaftssystem schaffen kann, stellt wahrscheinlich ebenfalls keine Überraschung dar. Und trotzdem rebellieren schon seit über fünf Jahren Studierende der Volkswirtschaftslehre (VWL) weltweit gegen ihr einseitiges Studium, in dem sie häufig weder etwas über Finanz- und Wirtschaftskrisen lernen, noch von einer Welt jenseits idealisierter, individueller (Konsum-)Entscheidungen. Sie fordern eine „plurale Ökonomik“, die helfen soll, Probleme, wie globale Ungleichheiten, Finanzkrisen oder Klimawandel anzugehen. Bleibt die Ökonomik – freiwillig oder unfreiwillig - Wegbegleiterin eines neoliberalen Wirtschaftssystems? Gibt es Potenziale, dass der akademische Apparat wirtschaftliche und gesellschaftliche Alternativen aufzeigt oder zumindest Probleme weitreichender als bisher analysiert? Um die Bedeutung einer eher wissenschaftsinternen Debatte in den aktuellen krisenhaften Zeiten soll es in der folgenden Annäherung gehen.

Verkappte Weltverbesserer?

Das öffentliche Bild von VWLern oder VWLerinnen ist recht genau bestimmbar. Er oder sie ist ein wenig politisch interessiert, karrierebewusst, aber eher auf den sozialen Status bezogen als aufs große Geld. Einige von ihnen wollen die Welt verbessern, aber viele haben eine Abneigung gegenüber vermeintlich „platten“ linken Argumenten. Solche Abgehobenheit macht sie erst einmal unsympathisch für sozial denkende und handelnde Menschen und dieses Gefälle wird im Studium eher geschult als abgebaut. Denn das Credo der neoklassischen VWL ist, dass sie im Gegensatz zu den ungenauen Sozialwissenschaften die Kosten und Nutzen bestimmter politischer Maßnahmen wertneutral bemessen könne. Zwar ist diese Weltsicht, die nur vom Individuum aus denkt und mit dem Utilitarismus einer Philosophie aus dem 18. Jahrhundert folgt, nicht sonderlich wertneutral. Allerdings stellt beispielsweise die Möglichkeit die Wirkung von Steuern, Mindestlöhnen oder Freihandelsabkommen auf die Beschäftigung oder das Bruttoinlandsprodukt berechnen zu können in der Tat einen wissenschaftlichen Fortschritt dar. Warum gelten Ökonom*innen dann trotzdem als die Buhmänner und -frauen?

Bei mehr Pluralität auf den Lehrstühlen wäre man von Einbrüchen weniger überrascht gewesen

Der Ruf nach Pluralismus

Die Kritik vieler Studierenden und Wissenschaftler*innen richtet sich auf die Tatsache, dass auch Ökonom*innen von der 2007 einsetzenden Finanz- und Wirtschaftskrise überrascht wurden. Ihr Instrumentarium sei zu einseitig, um aktuelle und kommende Herausforderungen zu adressieren. Sie fordern theoretischen und methodischen Pluralismus sowie Interdisziplinarität. Das heißt, dass Marx‘sche, Keynes’sche, feministische, ökologische, evolutionäre oder Ansätze der österreichischen Schule und ihre Weiterentwicklungen im Studium wieder Platz finden sollen. Statt nur Modellierungen und Statistiken sprechen zu lassen, plädiert unter anderem die International Students Initiative for Pluralism in Economics (ISIPE)[1] für qualitative Methoden, historische Fundierung und den Austausch mit benachbarten Wissenschaften. Sie glauben, dass nur wenn Studierende wissen, dass die neoklassische Theorie und ihre Weiterentwicklungen weder die einzige noch die einzig wahre Konzeption von Wirtschaft darstellt, sie in ihren späteren Berufen anders handeln werden. Das heißt, dass sie kritischer gegenüber marktoptimistischen Ansichten und Politikempfehlungen werden sowie die VWL zu einer insgesamt weniger hierarchisch und männlich geprägten Wissenschaft weiterentwickeln könnten.

Der Einzug des Sozial-Skeptizismus

Mit der Mathematisierung in den 1930/40er Jahre grenzte sich die VWL weiter von den  Sozialwissenschaften ab, indem sie unter anderem das unsichtbare Wirken der Marktkräfte herbei modellierte. Hatte die individuelle Nutzenorientierung bisher zur Wohlfahrt aller beigetragen, brachten neuere Theorien vor allem gesellschaftsskeptische Analysen hervor. Arbeitnehmer*innen würden bei einer Anstellung möglichst wenig Leistung erbringen wollen, Erwerbslose bei zu hohen Sozialhilfesätzen keinen Anreiz mehr haben zu arbeiten. Gewerkschaften kümmerten sich nur um die Interessen ihrer Angestellten und nicht um die Beschäftigung insgesamt, Politiker*innen wollten nur ihre Wählerstimmen oder ihr Haushaltsbudget maximieren. Auch wurden Theorien zu Marktmacht von Unternehmen und Umweltbelangen entwickelt – allerdings beschränken sich die Lösungen bei all diesen Problemen auf mehr Wettbewerb und Märkte oder Anreiz-kompatible Verträge. Während sich sozialwissenschaftlich und philosophisch interessierte Menschen – aber auch Mathematiker*innen – womöglich über all diese Konzepte empört hätten, tendierten die VWLer*innen zur Konformität.

Ökonomie neu denken

Wenn Ökonom*innen also häufig die ersten sind, die für Marktliberalisierungen plädieren - beispielsweise bei Freihandelsabkommen oder Lohnsätzen - und sich der Rest der Bevölkerung wundert, warum auch nach der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008 neoliberale Politiken immer noch modern sind, dann hat dies auch mit der Einseitigkeit der VWL zu tun. Zwar können Marktkräften, Effizienz und Anreizen mittlerweile erstaunliche Koordinationsfähigkeiten zugeschrieben werden. Allerdings sollte man diese weder glorifizieren noch ohne ihre konkreten Kontexte und Auswirkungen darstellen. Wir erleben zurzeit diverse ökonomische und soziale Krisen wie auch Potenziale, die ein Denken außerhalb von sozialskeptischen und tendenziell marktoptimistischen Rahmen erfordern würden. Die Fruchtbarkeit oder Unfruchtbarkeit des neoklassischen Paradigmas sollte deshalb nicht nur durch Studierende sondern auch durch eine breitere Masse begleitet werden, die sich durch das aktuelle Gewand der VWL nicht abschrecken lässt. Ein Zitat von der Ökonomin Joan Robinson steht sinnbildlich für diese Einstellung: „Der Sinn Ökonomie zu studieren liegt nicht darin, eine Reihe von vorgefertigten Antworten zu ökonomischen Fragen zu haben, sondern zu lernen, nicht von Ökonom_innen über den Tische gezogen zu werden.“

 

Janina Urban arbeitet als wissenschaftliche Referentin im Themenbereich Neues ökonomisches Denken im Forschungsinstitut für gesellschaftliche Weiterentwicklung (FGW) Düsseldorf. Im Jahr 2015 schloss sie ihren Master in Economics an der Freien Universität Berlin ab und ist seit längerer Zeit unter anderem im Netzwerk Plurale Ökonomik und der International Students Initiative for Pluralism in Economics[2] (ISIPE) aktiv. Ihre Interessensgebiete liegen im Bereich der Makroökonomik und der sozial-ökologischen Transformationsforschung.  

 

Links:

  1. http://www.isipe.net/
  2. http://www.isipe.net/