Liebende Feinde

Thesen der Redaktion zu autoritärer Selbstermächtigung und reaktionärer Identitätspolitik

Redaktion

1. Es gibt keinen Grund zur Entspannung, leider …

In Meinungsumfragen schrumpft der Stimmenanteil der AfD bei der „Sonntagsfrage” auf einen einstelligen Wert, die Teilnehmerzahlen von Pegida fallen deutlich. Die ersten Monate der Trump-Administration waren durch Patzer, Pleiten, Pannen sowie breiten Protest gegen die neue Administration gekennzeichnet. In der Türkei hat nur wegen des aggressiven Wahlkampfs, Tricks der Wahlkommission und einer brutalen Repression aller auch nur entfernt Erdoğan-kritischen Stimmen eine hauchdünne Mehrheit der Wahlberechtigten beim Referendum „evet” zu dem von der AKP angestrebten Präsidalsystem gesagt. Dennoch: Das sich wechselseitig stabilisierende Arrangement reaktionärer Identitätspolitik wird die politische Geographie die kommenden Jahre nachhaltig prägen.

2. Reaktionäre Politik falsch beschrieben …

Liberale Gegner neuer identitärer Strömungen der völkischen Rechten, des fundamentalistischen Islamismus oder des neuen türkischen National-Islamismus verweisen auf deren vermeintliche Rückwärtsgewandtheit. Bei den völkischen Rechten wird dann gern auf den absurden und unzeitgemäßen Nationalismus, den Rassismus und das den 50er Jahren entlehnte Frauenbild verwiesen. Bei den Dschihadisten wird in der Regel der Versuch die Welt nach frühmittelalterlichen Texten wie dem Koran oder den Hadithen umzugestalten als absurdes „Zurück in die Steinzeit” verspottet.

Dieser Verweis auf Steinzeitlichkeit und die Betonung der Repressivität früher Verhältnisse ignoriert die autoritäre Selbstermächtigung, die jene reaktionäre Identitätspolitik bedient. Denn die Geschichte, auf die sich die als Gläubige verkleidenden Islamisten und die sich als Konservative verkleidenden Faschisten berufen, sind durchgängig erfundene Tradition. Ihre politischen Strategien sind hypermodern.

3. Obsessive Grenzziehungen stabilisieren verunsicherte Subjekte

Die Differenzen und Ausschlüsse, die diese Bewegungen permanent anrufen, die Obsessivität mit der das Gerede von islamisierungsbedrohten Abendländlern hier und von den „Kuffar“ unterdrückten Rechtgläubigen da, dienen als Anker gegen Verunsicherungen aus der Komplexitätszunahme postmoderner Gesellschaften.

Das Beschwören von Grenzen, staatlicher Souveränität sowie vermeintlich eindeutigen, hierarchischen Geschlechterordnungen früherer Tage bedient ein Verlangen nach Übersichtlichkeit und Orientierung. Es ruft Bilder einer romantisch verklärten Vergangenheit wach und appelliert gleichzeitig an Bedrohungsgefühle, die hochgradig mobilisierend wirken.

Von wegen „Verteidigung”: Anhänger der English Defence League.

4. Als Opfer fühlen, um Täter zu werden

Die Selbstinszenierung als Bedrohte und als Opfer verleiht den identitären Bewegungen einen Heroismus zum kleinen Preis. Der kleinkriminelle Pegida-Häuptling Bachmann aus Dresden, die FeierabendterroristInnen aus Freithal oder die der Oldschool-Society werden in ihrem Rassismus plötzlich zu Kämpfern um ein vermeintlich bedrohtes Abendland. Hier wird das Gefühl, Opfer zu sein, zur Waffe und der Mordanschlag zum gerechten Krieg.

Bewohner aus den abgehängten Vorstädten wie Ahmed Coulibaly oder Schulabbrecher aus der tunesischen Provinz wie Anis Amri werden zu dschihadistischen „Märtyrern” und theologisch Halbalphabetisierte gehen in der Salafistenszene als Relegionsgelehrte durch.

Ähnliche Selbstveredlungen sind bei jenen zu sehen, denen Lebenschancen günstiger zugeteilt wurden. Abiturnazis wie die „Identitäre Bewegung“ können sich als Speerspitze einer rechten APO fühlen.

5. Autoritarismus ist eine Bewältigungsstrategie von Krisenerfahrungen

Bei aller Ähnlichkeit und gegenseitiger Abhängigkeit repräsentieren die verschieden autoritären Angebote unterschiedliche ideologische Bewältigungsangebote tatsächlicher oder wahrgenommener Krisenerfahrungen. Der rechte Autoritarismus setzt vermeintlichen oder tatsächlichen Prekarisierungserfahrungen Etabliertenvorrechte im neoliberalen Normalbetrieb entgegen. (s. dazu „Prekäre Selbstverständlichkeiten[1]“ in dieser Ausgabe) Der fundamentalistische Islamismus stellt ein Verteilungsregime und Stabilitätsangebot in Krisenökonomien bereit.

6. Die autoritäre Revolte ist eine Antwort auf die Tristesse der Postdemokratie

Viele Montagsmarschierer von Pegida, zahlreiche AfD-WutbürgerInnen und „Anti-Heim“-ProtestiererInnen haben zum ersten Mal seit Jahrzehnten demonstriert. Die Wortergreifung des rassistischen Mobs in den vielen hektisch einberufenen Bürgerversammlungen während des Sommers der Migration ist für viele das erste Mal seit langem, dass sie sich in öffentlicher Rede Ausdruck verleihen. Die Lust den tatsächlich oder vermeintlich Mächtigen — und sei es nur dem Stellvertreter der Baustadträtin — mal richtig die Meinung zu geigen, bedient auch ein lustvolles, anarchisches Element. Aber auch die islamistischen Ideologen werben mit dem Versprechen, ein Zeichen zu setzen, als Person durch eigenes Handeln einen Unterschied zu machen um Anhänger. Die große Zahl der KonvertitInnen zeigt, dass dies nicht nur für sich ausgegrenzt fühlende Muslime/as ein verheißungsvolles Versprechen darstellt.

Diese Selbstermächtigung durch Unterwerfung unter autoritäre Bewegungen ist eine der Nebenfolgen postdemokratischer Verhältnisse.

7. Erste, zweite, dritte identitäre Internationale

Die skizzierten identitären Bewegungen benötigen und stabilisieren sich gegenseitig sowohl in ihrer wechselseitigen Abgrenzung wie auch in ihrer gemeinsamen Feindbestimmung. Schließlich eint die dschihadistischen und nationalistisch-islamistischen Bewegungen mehr mit dem breiten Bündnis aus Völkischen, Ultrakonservativen, Nationalliberalen und Nazis das unter dem Banner von AfD, Front National und Trumpgefolge auftritt, als sie trennt.

Erstere versuchen AnhängerInnen mit der Behauptung zu rekrutieren, dass es für Muslime keinen Platz im „Westen” gebe. Sie sollten sich daher besser als Krieger eines selbsternannten islamischen Staates in den Kampf gegen die Kreuzzügler einreihen oder zumindest wie die fünfte Kolonne von Recep Tayyip Erdoğan auftreten. Die Identitären von Rechts stimmen dem im Wesentlichen zu. Sie rationalisieren ihren Rassismus, der sich nicht allein gegen Muslime richtet mit der Bedrohung durch die „gefährlichen Anderen”.

Da wo sich die identitären Bewegungen treffen, in ihrer Homophobie und ihrem Sexismus sind sie zu Allianzen fähig. In Frankreich wurde dies sichtbar als Islamisten und katholische Konservative gemeinsam auf der „manif pour tous” - dem Vorbild der „Demo für alle“ marschierten oder bei den „Tagen der Schulverweigerung” vor allem muslimische SchülerInnen gegen das Lieblingsfeindbild der rechten protestierten: Das ABCD de l‘égalité, ein Programm, das die Gleichheit der Geschlechter propagierte.

8. Die Antwort auf Identitätspolitik ist nicht Identitätspolitik

Nun wird zuweilen auch von Linken aus dem zutreffenden Verweis auf die zum Teil verweigerten Lebenschancen einiger Anhänger der neuen Identitären ein falscher Schluß gezogen. Man müsse sich wieder mehr um den abgehängten „kleinen weißen Mann“ kümmern oder aber: Man müsse mal die ganzen Minderheitenthemen beiseitelassen und schamvoll Gendertheorien und den Kampf gegen Homophobie nach hinten stellen, wo sie doch solche Abwehr erzeugen. Die Forderung nach einer Gesellschaft mit offenen Grenzen müsse eher schamhaft versteckt werden, weil sie nicht in eine Zeit passe, in der das Bedürfnis nach Grenzziehungen so stark sei. Das andere Extrem besteht in einer linken, emanzipatorisch gemeinten Identitätspolitik, die so fixiert auf die Bewachung der eigenen Szenegrenzen gepolt ist, dass sie weder bündnis- noch hegemoniefähig ist. Kurz: Wer nicht fließend den eigenen Subszenenjargon spricht, wird schnell exkommuniziert oder gar nicht erst aufgenommen.

Das antiautoritäre Momentum zurückgewinnen, klappt hier schon ganz gut. Asamblea in Madrid.

9. Aufgaben der politischen Linken …

Die Aufgabe einer Linken, klein oder großgeschrieben, ist es das antiautoritäre Moment wieder zu erringen. Der reaktionären Mobilisierung von Hass und Hetze muss eine ebenso leidenschaftliche radikal demokratische Organisierung gemeinsamer Interessen entgegengesetzt werden. Statt trennende Identitätspositionen einzubetonieren, gilt es die vielfältigen Identitäten der Subjekte nach Andockstellen für solidarisches Handeln zu durchsuchen. Das kann erstens heißen: abstiegsfürchtenden Eingeborenen nicht einzutrichtern, dass sie angeblich mit MigrantInnen objektiv um knappe Ressourcen konkurrieren, wie es gerade mal wieder Mode[2] ist. Sondern zweitens, zu schauen welche Kämpfe um Wohnraum und Bildung sich verbinden lassen und wie Menschen von einander lernen können.

Links:

  1. https://www.prager-fruehling-magazin.de/de/article/1350.prekäre-selbstverständlichkeiten.html
  2. http://www.spiegel.de/politik/deutschland/martin-schulz-was-er-zum-wahlprogramm-machen-koennte-kolumne-a-1141105.html