15.11.2017

Über die Ethnisierung der sozialen Frage

Rezension: Gerd Wiegel: Ein aufhaltsamer Aufstieg. Alternativen zu AfD & Co, Köln 2017

Bodo Niendel

Gerd Wiegels schmales Büchlein zur AfD bietet einen kompakten Einstieg zur Debatte um die rasend schnelle Etablierung der neuen Rechtspartei. Die Entwicklungen in der AfD sind nicht vorhersehbar und so haben es Bücher zum Thema leider an sich, dass einige Informationen bei der Veröffentlichung schon veraltet sind. Wiegels Büchlein ist vor der Bundestagswahl erschienen und konnte den Austritt der Bundesvorsitzenden Frauke Petry noch nicht berücksichtigen. Wer sich über die AfD auf dem Laufenden hält, der wird an in Wiegels Buch wenig neue Informationen finden. Er zeichnet jedoch präzise nach, dass die Erfolge der AfD nicht aus heiterem Himmel gekommen sind. Wie bereits die Studien des Bielefelder Soziologen Wilhelm Heitmeyers seit vielen Jahren belegen, gibt es in der deutschen Bevölkerung ein großes Potential für eine Rechtspartei. Die von Thilo Sarrazin und anderen angestoßenen Debatten haben rechtes Gedankengut weiter in der Öffentlichkeit verankert und respektabel gemacht.

Wiegels Stärke ist, dass er die Fakten zur AfD neu ordnet und sie um die Frage gruppiert, wie die gesellschaftliche und die parteipolitische Linke auf den Rechtruck antworten soll.

Er warnt ausdrücklich vor Klassenreduktionismus und stellt heraus, dass es der AfD im Kern eine „Ethnisierung der sozialen Frage“ gelungen sei. Die erkläre „sich vor allem aus der Schwäche linker politischer Konzepte und aus der objektiven Schwäche der Linken, ihre Vorstellungen mit einer realen und in gesellschaftlichen Kämpfen zu entwickelnden Umsetzungsoption zu versehen.“

Die AfD ist eine Rechtspartei mit verschiedenen Flügeln. Vor allem der „neofaschistische Flügel“ um Björn Höcke ragt hier heraus, aber es gibt, trotz des Abgangs von Frauke Petry, weiterhin gemäßigte Rechte in der Partei. Wiegel empfiehlt stärker die vorhandenen Spannungen in der Partei zu nutzen und ihre unvereinbaren Positionen zu betonen.

Anders als die meisten Autor_innen zum Thema stellt Wiegel heraus, dass man den Erfolg der AfD vor dem Hintergrund des rasanten Aufstieg des Neoliberalismus und der Zerstörung sozialstaatlicher Sicherungen betrachten müsse, die nicht zuletzt die europäische Sozialdemokratie zentral forciert habe. Die AfD stelle eben die „soziale Frage“ nur ethnisiere sie diese, indem sie die exklusive Wiederherstellung von „Wohlstandsprivilegien“ für einzelne Bevölkerungsgruppen verspreche.

Deswegen sei die AfD eben keine Nazipartei, im Gegenteil sie profitiere von dieser Stigmatisierung. Es sei sogar Teil der rechtspopulistischen Strategie mit diesem Vorwurf zu arbeiten und sich in die Opferrolle zu begeben. Man müsse sich daher mit der AfD inhaltlich auseinandersetzen. Wiegel warnt zugleich, „dass eine verbale Übernahme ihrer Themen und ihrer Diktion niemals zum Erfolg führt.“

Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern, hat sich die deutsche Rechtspartei bisher noch im gleichen Maße verankert. Wiegel schlägt daher eine stärkere Fokussierung auf die soziale Frage vor, ohne diese jedoch gegen Diversität und emanzipatorische Kräfte in der Gesellschaft auszuspielen. Auch wenn mir eine stärkere Betrachtung des Antisemitismus der AfD fehlt, ein kompaktes und ein gutes Buch zum Thema mit der impliziten Aufforderung: Macht endlich gute linke Politik!

Bodo Niendel, Referent für Queerpolitik der Bundestagsfraktion DIE LINKE.