Nosotras Paramos

Wofür wir streiken ...

Verónica Gago

Am 8. März 2017 haben wir den ersten internationalen Frauenstreik als gemeinsame Aktion in 55 Ländern durchgeführt. Heute am 8. März 2018 findet nun der zweite Streik statt. Die Zwischenzeit war keine leere Zeit des Wartens, denn der Streik ist nicht einfach ein Ereignis, sondern ein Prozess. Ohne die feministische Bewegung auf die Aktionsform des Streiks zu reduzieren, kann diese kraftvolle und transnationale Aktion als Brennglas dienen. Jedem Streik ist Rosa Luxemburg zufolge ein spezifisches politisches Denken zu eigen. Heute wollen wir das dem Streik entsprechende Denken sowie drei Prämissen dieses Streiks entfalten: seine Radikalität in der Kartierung von Arbeit aus feministischer Perspektive, seine Prozessualität mit Blick auf die Verbindung unterschiedlicher sozialer Konflikte und seine multiplen Geographien aus der Perspektive eines neuen Internationalismus.

Die feministische Entgrenzung des Streiks

Wenn der Streik aufhört eine exklusives Vorrecht der Gewerkschaften zu sein, ist er auch keine Entscheidung und keine Maßnahme mehr, die von oben angeordnet wird und bei der man nur weiß, was man zu befolgen und woran man sich zu halten hat. Der von der Frauenbewegung angeeignete Streik ist im Wortsinn entgrenzt: Er erkennt die vielfältigen Wirklichkeiten von ‚Arbeit’ an, die über die von Lohn und Gewerkschaften eng gesteckten Grenzen hinausgehen; Die Grenzziehung zwischen produktiven und reproduktiven Arbeit wird dabei ebenso in Frage gestellt, wie jene zwischen regulärer und irregulärer, entlohnter und nicht-entlohnter Arbeit, zwischen migrantischer und nationaler Arbeit, zwischen Angestellten und Arbeitslosen. Der von der Frauenbewegung angeeignete und organisierte Streik zielt vielmehr direkt auf den Kern des kapitalistischen Systems: die sexuelle und koloniale Arbeitsteilung.

Zugleich wirft er jedoch eine Frage auf, der konkret und situiert nachzugehen ist: Was bedeutet es, aus der je spezifischen und diversen Realität heraus zu streiken, und die Singularität und Komplexität der je diferenten, unmittelbaren Arbeitserfahrungen ernst zu nehmen? Wie lässt sich die (Neu-)Definition und Erweiterung der Klasse(n) der Arbeitenden mit jenen Differenzen, die die Arbeitswelt so radikal heterogen und segmentiert werden lassen, verbinden? Wie gelingt es uns, angesichts dieser Vielfalt, welche die Idee der Vereinigung von Kräften selbst in Frage stellt, eine gemeinsame Handlungsstrategie zu entwickeln? In einer ersten Phase können sich die Antworten hierauf auf das Problem beziehen, dass und warum es nicht möglich ist, Zuhause oder als illegalisierte Kleinhändlerin, als Gefangene, Landarbeiterin, Freelancerin oder als migrantische Arbeiterin zu streiken (uns also als jene zu identifizieren, die nicht streiken „können”). Daraus entsteht eine wichtige Einsicht: Sie verpflichtet uns, diese Erfahrungen als das Unterbrochene, das Blockierte oder Missachtete zu sehen und um neue Bedeutungen zu erweitern. Denn der Streik muss auch diesen Realitäten Raum geben und eben dadurch das soziale Feld, in das er sich einschreibt und interveniert, ausweiten.

Aktionstag gegen Abtreibungsverbot und Feminizide in Brasilia

In uns hallt noch die Frage nach, die das madrilenische Kollektiv Precarias a la Deriva vor Jahren gestellt hat: „Was ist Dein Streik?” Heute tönt diese Frage auf der Ebene der Massen viel radikaler, angesichts der machistischen Gewaltoffensive. In diesem Notstand ist es dringlich und notwendig, dass wir uns versammeln und handeln. Mit unserem Streik können wir die Gewalt gegen Frauen auf eine Weise politisieren, die der Viktimisierung und dem Zustand des permanenten Schmerzes, in den sie (die Medien, staatlichen Instanzen und viele der NGOs) uns verbannen wollen, etwas entgegensetzt. In der Gewalt gegen Frauen bzw. gegen feminisierte Körper drücken sich neue Weisen der Arbeitsausbeutung aus, finanzielle und ökonomische Gewalt, staatliche und politische Gewalt, vielfache Enteignungen.

In diesem Sinn bringt der Streik die Intersektionalität und transnationalen Verbindungen der Kämpfe aufs Tapet, und er bezieht die Klassendimension ein: die Gewalt gegen Frauen und gegen feminisierte Körper jenseits eines identitären Multikulturalismus mit Formen der Ausbeutung und Wertextraktion, der politischen Gewalt und unternehmerischen Offensiven gegen commons zu verknüpfen, dies bedeutet tatsächliche eine Neukartierung sozialer Konflikte.

Der Staat kann uns nicht erlösen

Den Streik umzusetzen und aus ihm heraus zu sprechen situiert uns als politische Subjekte und nicht als Opfer, die geheilt und/oder (in der Regel vom Staat) erlöst werden müssen. Aufgrund eben dieser Erweiterung des ‚Werkzeugs’ haben sich der Sinn des Streiks und seine Wirkmächtigkeit vervielfacht: In Lateinamerika ist er auch zu einer Protestform gegen die Ausweitung der Agroökonomie, gegen neoextraktivistische Großprojekte und gegen die Kürzungen der öffentlichen Leistungen geworden, gegen die Moralisierung unserer Lüste und den Druck der die Illegalisierung der Abtreibung aufrechterhaltenden Kirche, gegen (staatliche und semi-staatliche) Kriegsformen, die sich tagtäglich gegen uns richten, gegen die Privatisierung der Sorge und Pflege und gegen die Kriminalisierung von Migrationswünschen.

Die kommunitären, indigenen, suburbanen und den Elendsvierteln entspringenden Feminismen, die von Lateinamerika aus die Politiken der Anerkennung de-liberalisieren, Platzierungspreise aberkennen und den identitären Angelhaken misstrauen, rücken die Prekarität der Existenzen in den Vordergrund – als eine allgemeine Bedingung, die jedoch durch je konkrete Konflikte singularisiert wird.

Der organisatorische Horizont des Streiks nimmt auf kreative und provokante Weise die Klassen- und Massenfrage sowie die antikoloniale Dimension in den Feminismus auf – denn dieser ist eben kein gebrauchsfertiges Werkzeug; vielmehr muss er im organisatorsichen Prozess selbst (neu-)erfunden werden. In eben diesem Prozess ermöglicht er uns zu verstehen, warum Frauen und feminisierte Körper den Schlüssel zur kapitalistischen Ausbeutung bilden, insbesondere im Kontext der Hegemonie des Finanzkapitalismus.

Darum streiken wir

Aus diesem Streben heraus versuchen wir, die nicht anerkannten und nicht entlohnten Weisen, in denen wir Wert produzieren, zu kartieren und so eine kollektive und zugleich diverse Vorstellung dessen zu entwickeln, was wir Arbeit nennen. Der Streik der Frauen stellt somit die Grenzen der Arbeit in Frage. Er errichtet eine Plattform zur Radikalisierung, von der aus andere Bewegungen, andere Praktiken und Erfahrungen herausgefordert werden können. Deshalb streiken wir: #NosotrasParamos[1]!

Für die Übersetzung aus dem Spanischen danken wir Sarah Speck und Paula Irene Villa.

Links:

  1. https://twitter.com/search?q=#NosotrasParamos