Das Elend hinter seinem Horizont

Eine Replik auf Peer Steinbrück

Katja Kipping

Peer Steinbrück hat ein Buch geschrieben. Eben jener Peer Steinbrück, der zusammen mit Gerhard Schröder in der SPD die Agenda 2010 und die Hartz-Gesetze durchgedrückt hat; eben jener Mann, der als Kanzlerkandidat seine Partei 2013 zu einem damals historischen Tiefpunkt führte. Auf dem Buchumschlag von Steinbrücks Buch steht folgerichtig: „Peer Steinbrück — Das Elend der Sozialdemokratie.“

Wer Steinbrück kennt, ahnt, dass dies nicht selbstkritisch gemeint sein kann, sondern höchstens eine ironie-affine Schriftsetzerin, wahrscheinlicher aber eher Gedankenlosigkeit am Werk war. Und richtig: Das Buch hält, was sein Umschlag verspricht. Peer Steinbrück findet die Ursachen für die Schwäche der SPD in „Vielfaltseuphorie“ und „Lifestylefokussierung“. Das ist Gedankenlosigkeit in bedeutungsschwangeren Begriffen und letztlich eine wenig verklausulierte Form zu sagen: „Feminismus und Antirassismus und der Einsatz für Minderheiten sind schuld an der Schwäche der SPD.“ Andere drücken das etwas weniger verklausuliert aus und reden von „Genderwahn“ und „linksgrüner Versiffung“.

Innovativ ist daran nichts, denn für welches Problem müssen Frauen und Flüchtlinge derzeit nicht als Sündenböcke herhalten? Bemerkenswert ist nur eins: Wer spricht da? Da beschwert sich einer über die „Lifestylefokussierung“ seiner Partei, der mit Hartz-IV Millionen Menschen Armut und soziale Isolation als „Lifestyle“ aufgedrückt hat. Da wettert einer, dessen „Lifestyle“ nach eigenem Bekunden guten Pinot Grigio nicht unter 8 Euro vorsieht.

Halleluja! Livestylesozialdemokrat Peer spricht zum Pöbel

Da gibt einer tatsächlich dem Einsatz für Frauenrechte und Minderheiten die Schuld am Niedergang der SPD, der wissen könnte, dass hierfür eine Politik verantwortlich war, die Armut zementiert und zugleich Superreiche und Konzerne vor höheren Steuern beschützt. Kurzum eine Politik, die von Männern wie Steinbrück und seinen Genossen jahrelang durchgesetzt wurde.

Faszinierende daran ist allein, dass solche platten Thesen immer noch von Männern in derart selbstgewissem Brustton vorgetragen werden können. So als ob da einer etwas ganz Neues herausgefunden habe. Dabei kaut Steinbrück nur wieder, was all die Internet-Trolle täglich im Netz verbreiten.

Über die Ursachen für die Schwäche der Sozialdemokratie nachzudenken, wäre in der Tat eine verdienstvolle Sache. (Auch wir haben dies schon getan, z.B. hier[1].) Womöglich könnte dieses Nachdenken zu der Erkenntnis führen, dass sich die Sozialdemokratie stärker den Fragen von Klasse und Umverteilung widmen muss. Abfällige Bemerkungen zu Kämpfen gegen die Unterdrückungsverhältnisse Patriarchat und Rassismus hingegen bringen niemanden weiter – weder die SPD und schon gar nicht die Arbeiter*innenklasse!

Peer Steinbrück: Das Elend der Sozialdemokratie: Anmerkungen eines Genossen (Taschenbuch), C.H. Beck, 2018 kostet 14,95 Euro.

Links:

  1. https://www.prager-fruehling-magazin.de/de/topic/80.november-2017.html