Mafiaboss in Psychotherapie

Schaut die Sopranos, dieses Jahr ist genau richtig dafür

Katharina Dahme

Man möchte sich ja ungern festlegen, wenn nach der besten Serie aller Zeiten gefragt wird. Und so fängt direkt die Unterscheidung an: Die beste deutsche Serie, die beste dramatische Serie, die lustigste Serie. Auch ich habe eher eine lange Liste bester Serien von Peaky Blinders bis Mad Men. Aber wenn ich mich entscheiden müsste: Schaut die Sopranos! Aber fragt mich nicht warum, ist ja doch eine Weile her, dass ich die 86 Folgen verschlungen habe. Damals war die Begeisterung noch eine andere als beim heutigen Netflix-Überfluss. Nichtsdestoweniger verblasst auch die schönste Erinnerung. Ich weiß noch genau, wie es war, als ich vor ein paar Jahren versuchte „Emergency Room“ noch einmal zu schauen. Tempo und Schnitt sind im Vergleich zu den aktuellen Serien so gewöhnungsbedürftig (und ich so ungeduldig), dass ich schnell aufgab. Also keine Ahnung, ob die Sopranos heute noch genießbar sind, aber ich empfehle, es zumindest zu versuchen. Es lohnt sich, durchzuhalten.

Tony Soprano und Paulie Gualtieri

Denn wer die Sopranos gesehen hat, wird das Finale nicht mehr vergessen, das nichts klärt, sondern alles offen lässt. Selbst David Chase, Macher der Serie, weiß angeblich nicht, wie sie eigentlich ausgeht. Mehr verrate ich nicht. Außer, dass die Szene, auf die nichts mehr folgt, der größte Cliffhanger der Serie ist, die sonst serienuntypisch überwiegend ohne auskam.

Was auch damit zu tun haben könnte, dass Chase ursprünglich einen Film machen wollte und keine Serie. Beim Sender HBO stellte er den Filmplot vor. Der dortige Co-Präsident Richard Plepler erinnerte sich später so daran: „Sie kamen rein und sagten: ‚Hier ist die Idee. Ein 40-jähriger Mann, am Wendepunkt seines Lebens, Aufruhr in der Ehe, Aufruhr in seinem Beruf, steht vor der Aufgabe, Teenager in der modernen Gesellschaft aufzuziehen, der Druck eines jeden Mannes seiner Generation. Der einzige Unterschied ist, er ist der Mafiaboss des nördlichen New Jerseys. Ach ja, er geht zum Seelenklempner.‘“ Der Mann heißt Tony, ist Oberhaupt der Familie Soprano, und wurde gespielt von James Gandolfini. In den Therapie-Sitzungen arbeitet er sein schwieriges Verhältnis zu Mutter Livia auf. Welchen Stellenwert die Therapieszenen für die Serie haben, beweisen diverse Filmpreise für Lorraine Bracco, die die Psychotherapeutin Dr. Jennifer Melfi spielt (und ursprünglich für die Rolle der Ehefrau vorgesehen war).

Überhaupt war die Besetzung - die ganz ohne Superstars auskam – bemerkenswert. Zwei Beispiele seien stellvertretend erwähnt: Nancy Marchand, die die Mutter Livia spielt, sollte ursprünglich früh in der Serie sterben. Als sie im wahren Leben an Krebs erkrankte, wünschte sie sich, so lange sie noch lebt, spielen zu dürfen. Chase kam dem nach, Marchand blieb länger dabei. Verstarb dann plötzlich, erst im echten Leben, dann in der Serie. 

Tony Sirico, spielt den Paulie, war im wahren Leben lange Zeit Verbrecher, Mafia-Mitglied, und war unzählige Male verhaftet. Im Knast entdeckte er beim Gefängnistheater seine Leidenschaft für die Schauspielerei und wurde - wieder auf freiem Fuß - für die Serie engagiert. Er machte zur Bedingung, dass seine Rolle keine „Ratte“ sein dürfe. Also niemand, der La Famiglia verrät. Dies sei eine Frage der Ehre! (Einmal Mafia, immer Mafia.)

Für alle Figuren gilt: Sie sind nicht nur gut oder böse, schon gar nicht nur erfolgreich. Jede und jeder scheitert auf seine Weise, manche kämpfen sich besser durch als andere. Einige schaffen es gar nicht und so segnen selbst engste Vertraute von Tony das Zeitliche - mitunter so überraschend, dass ich glaube, für eben jene Szenen ist die Redewendung erfunden worden, dass einem der Schrecken in den Knochen steckt.

Es war diese Tiefe der Personen, die die Serie besonders machte. Besonders dramatisch. Wer Drama mag, wird die Sopranos lieben. Und so passt folgendes irgendwie ins Bild: In der vierten Staffel sagt Zieh-Sohn Christopher zu Tony, er werde wegen seiner Fettleibigkeit mit 50 an einem Herzinfarkt sterben. 2013 starb James Gandolfini dann tatsächlich 51-jährig an einem Herzinfarkt, in Rom, wo er seinem Sohn seine italienischen Wurzeln näherbringen wollte. Nach einem opulenten Essen, bei dem auch viel Alkohol floss.

Erst zwei Wochen vor seinem Tod hatte die „Writers Guild of America“, die gemeinsame Gewerkschaft der Autoren in der Film- und Fernsehindustrie der Vereinigten Staaten, die Sopranos zur besten Serie, die je gedreht wurde, gewählt. Bei vergleichbaren Rankings in den Folgejahren büßte la Famiglia immer weitere Plätze ein. Also bitte: Tut was dagegen, dass die Sopranos nach und nach in Vergessenheit geraten und schaut sie euch an. Zwanzig Jahre nach Ausstrahlung der ersten Folge ist 2019 das richtige Jahr dafür.

Katharina Dahme ist regelmäßige *prager-frühling-Autorin und Mitglied im Aufsichtsrat des SV Babelsberg 03.