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Interview mit dem Präsidenten des erfolgreichen Frauenfußballclubs Turbine Potsdam

Interview mit Rolf Kutzmutz, Präsident des erfolgreichen Frauenfußballclubs Turbine Potsdam, über das Gender-Pay-Gap, die Mühen der Ebenen und über große Leidenschaften.

Rolf Kutzmutz

prager frühling: Der Schriftsteller Nick Hornby meinte einmal: „Seinen Fußballverein sucht man sich nicht aus, er wird einem gegeben.“ Wie bist Du auf deinen Verein Turbine Potsdam gekommen?

Rolf Kutzmutz: Das war Zufall. Ich habe als Jugendlicher selber Fußball gespielt. Angefangen habe ich bei Turbine Markranstädt. Alle Vereine, deren Trägerbetriebe in der Energiewirtschaft z.B. in der Braunkohle waren, hießen damals Turbine.

Dann kam ich nach Potsdam und habe auch dort noch viele Jahre selber Fußball gespielt. In Potsdam hatte ich einen guten Freund, Bernd Schröder, der war Trainer, Manager und Kassenwart in einer Person  bei Turbine Potsdam. Er bat mich eines Tages den Verein zu unterstützen. Inzwischen bin ich seit 17 Jahren ehrenamtlich dabei und seit vier Jahren als Vereinspräsident tätig.

pf: 17 Jahre – das ist eine lange Zeit. Nun ist Turbine Potsdam ja ein reiner Frauen-Fußballverein. Hat sich im Frauenfußball in den letzten Jahren was getan? Oder wie hat sich das Bild verändert?

Rolf: Bis 1971 war in der alten BRD Frauenfußball höchstamtlich verboten. Der DFB war bis dahin der Überzeugung, Fußball sei schädlich für den weiblichen Körper. In der DDR waren wir in der Frage ein bisschen weiter. Zwar gab es dort keine Meisterschaften, aber immerhin eine Art Bestenermittlung. Wir hatten also im Osten einen kleinen Vorsprung diesbezüglich.

Es gibt inzwischen mehr Aufmerksamkeit für den Frauenfußball. Jedoch meine ich, eine wirkliche Entwicklung hat es nur unter Theo Zwanziger gegeben.       Er hat als DFB-Präsident den Frauenfußball wirklich gefördert und unterstützt. Inzwischen ist das alles professioneller geworden. Dazu gehört auch, dass selbst 20jährige Spielerinnen inzwischen ihre Verträge über Spielervermittler abschließen. Ich bin noch damit groß geworden, dass ein Handschlag gilt. Damit bin ich heute ein Dino.

pf: Wie sieht es in anderen Ländern aus?

Rolf: In England, Frankreich und Spanien hat sich viel entwickelt. Da wird viel Geld in den Frauenfußball gesteckt. Dadurch werden uns auch gelegentlich Spielerinnen abgeworben. Was für die Frauen toll ist. In Frankreich passiert viel, z.B. in Lyon und bei Paris Saint German haben die Frauen gleiche Trainingsmöglichkeiten wie die Männer. Unsere ehemalige Spielerin Tabea Kemme (Olympiasiegerin) spielt jetzt bei Arsenal London und die Kapitänin der deutschen Nationalmannschaft Dzsenifer Marozsan bei Lyon.

pf: Lass uns mal über das Thema Unterschiede zwischen Männer- und Frauenfußball reden. Einer der größten Unterschiede liegt im Einkommen zwischen Spielern und Spielerinnen. Der Gender-Pay-Gap ist im Fußball besonders groß. Können Eure Spielerinnen von den Einnahmen als Spielerin leben?

Rolf: Das ist überhaupt nicht vergleichbar. In der Tat bekommen die Spielerinnen deutlich weniger. Die Spielerinnen, die in der 1. Bundesliga spielen, können womöglich  gegenwärtig davon leben, haben aber zumeist noch berufliche Tätigkeiten neben dem Fußball. Aber irgendwas ansparen oder zurücklegen kann keine etwas. Das sieht schon bei den Spielern selbst in der 2. Liga anders aus.

Auch deshalb achten wir sehr auf das duale System. Wir arbeiten eng mit der Sportschule und dem Landesverband zusammen. Einige unserer aktiven Spielerinnen kommen von dort z.B. Viktoria Schwalm, Vanessa Fischer, Melissa Kössler, Felicatas Rauch und Caroline Siems. Zudem achten wir darauf, dass die Frauen sowohl dem Leistungssport nachgehen können als auch dass das berufliche Fortkommen nach der Zeit als Sportprofi abgesichert ist. In unserem Team gibt es ganz unterschiedliche Berufsbilder: Polizistinnen, Physiotherapeutinnen, Pädagoginnen oder Studentinnen. Eine unsere ehemaligen Spielerinnen, Annelie Brendel, hat kürzlich ihren Doktor in Jura gemacht.

pf: In einigen Jahren werden die Feierlichkeiten zu 50 Jahre Frauenfußball beginnen.

Rolf: Ja, da wird es wieder viele große Reden geben. Aber ich weiß wie viel Einsatz dazu gehört, um Zuschauer und Zuschauerinnen sowie Sponsor*innen zu gewinnen.

Übrigens sind nicht nur die Spielerinnen von den Einkommensunterschieden betroffen, sondern auch mögliche Trainer. Einer unserer Trainer arbeitet halbtags als Gymnasiallehrer, da er mit Trainereinkommen alleine nicht gut über die Runden kommt.

Auch deshalb bemühen sich Menschen wie ich so sehr darum, Sponsoren und Zuschauerinnen an die Frauenfußballteams zu binden.

pf: Und klappt das?

Rolf: Die Leidenschaft unserer Spielerinnen ist ansteckend, das hilft natürlich. Aber im Osten kommt etwas erschwerend dazu: Wenn die Firmenleitung im Westen sitzt, reich es nicht, die Leute vor Ort zu begeistern. Die Leute vor Ort müssen dann oft noch die Genehmigung der Unternehmensleitung im Westen einholen und so auf die Ferne springt der Funke halt schwerer über.

pf: In Alltagsgesprächen trifft man doch gelegentlich noch auf sehr klischeehafte Vorstellungen von Frauenfußball. Deshalb frage ich mal als advocatus diaboli: Ist der Gehaltsunterschied der einzige Unterschied zwischen Männer-und Frauenfußball?

Rolf: Technisch halten die Frauen mit den meisten Männern voll mit. Was viele nicht wissen: Bei den Vorbereitungsspielen spielen wir auch gegen Männerteams. Wenn unsere Turbine-Frauen dann so richtig loslegen, da staunt das Publikum oft nicht schlecht, was die so für Spielzüge drauf haben. Insgesamt gilt, die Athletik und Schnelligkeit ist deutlich höher geworden.

pf: Die Unterschiede werden also weniger?

Rolf: Eine erfolgreiche ehemalige Spielerin von uns (Ariane Hengst) meinte mal auf die Frage nach dem berühmten kleinen Unterschied: Die Spielerinnen spucken nicht dauernd auf den Rasen, diskutieren nicht ständig mit dem Schiedsrichter und wälzen sich nicht demonstrativ nach dem sie gefoult wurden auf den Boden rum. Ich sage mal, diesbezüglich hat sich in den letzten Jahren einiges angeglichen. Manchmal wünschte ich mir, die Spieler würden sich auch einiges von den Spielerinnen abgucken statt allein andersrum.

pf: Rassismus ist ja in vielen Stadien ein großes Thema auch in der Fanarbeit. Habt ihr damit Erfahrungen gemacht?

Rolf: Nein. Das liegt bestimmt auch daran, dass es bei uns irgendwie familiärer zugeht. Wir haben pro Spiel rund 1.500 Zuschauende. Bei uns gibt es bei den Spielen keine Bengalos, keine Randale. Bei uns kommen Großeltern mit ihren Enkelkindern ins Stadion. Apropos: Für die Kinder gibt es übrigens auch eine Kinderbetreuung im Kids-Club während des Spiels – also für die Kinder der Zuschauer.

pf: Was wünschst du dir vom DFB mit Blick auf das näher kommende Jubiläum 50 Jahre Frauenfußball?

Rolf: Dass man beim DFB nicht nur über Frauenfußball reden, sondern ihn wirklich unterstützen möge – und zwar nicht nur die Nationalmannschaft, sondern die vielen Vereine, die tagtäglich Nachwuchsarbeit leisten.

Wie gut ein Nationalteam sein kann, hängt davon ab wie gut die vielen Vereine den Nachwuchs fördern können. Dabei sollte immer mitgedacht werden: Was kommt für die Frauen nach dem Fußball? Also wie können sie neben dem Leistungssport ihr späteres berufliches Fortkommen vorbereiten.

Die großen Reden, die gehalten werden, werden bestimmt gut klingen. Aber ich weiß um die Mühen der Ebene. Solch eine Arbeit wie mein Ehrenamt bei Turbine Potsdam muss man leben. Ich sage immer zu den in und für unseren Verein tätigen Mitstreiterinnen: Für Turbine Potsdam engagiert man sich mit Herz oder gar nicht.  Das Maß der Unterstützung und der Hingabe für einen Verein hängt nicht von der Funktion ab. Und das gilt, so denke ich, für viele, viele Ehrenamtliche in den Vereinen - seien die nun klein oder groß.

pf: Vielen Dank für das Gespräch.