01.10.2008

700.000.000.000 Dollar

Das Ende des Neoliberalismus, wie wir ihn kennen.

Jörg Schindler

700.000.000.000 Dollar. Siebenhundert Milliarden Dollar. Etwa 2 komplette deutsche Bundeshaushalte. 20-mal die kompletten Kosten, um die Wasserprobleme Afrikas zu lösen. Etwa 2.000 Dollar für jeden Bürger der USA oder 80,45 Euro für jeden Menschen der Erde, vom Säugling bis zum Greis. Ca. 14 Monate Arbeitslosengeld II für alle BundesbürgerInnen oder 16 Jahre lang für alle, die heute schon von von HARTZ IV leben müssen. Ca. ein Jahr Gehalt zu Mindestlohnbedingungen für alle Beschäftigten der Bundesrepublik. 16 Millionen Mittelklasse-Neuwagen. Das 68-fache der gesamten Entwicklungshilfeausgaben der EU.

Wir erinnern uns: Während im neoliberalen Staat der westlichen Welt die Sozialausgaben gekürzt wurden und jede (im Verhältnis) noch so kleine Haushaltsmehrausgabe für Soziales, Bildung und Umwelt quasi zur Saus-und-Braus-Verschwendung-auf-Kosten-der-zukünftigen-Generationen umgelogen wird, während HARTZ-IV-EmpfängerInnen sich erst durch lange Montagsdemos die Auszahlung der Stütze zum 1. statt zum 30. erkämpfen müssen, während die 10-Euro-Zuzahlungsregelungen den Ärmsten die Angst vorm Arzt nochmals vergrößert - während dessen braucht die US-Regierung ungefähr eine Woche, um den 1000-fachen Betrag für die Stützaufkäufe der Schrottbörsenpapiere locker zu machen, braucht Finanzminister Steinbrück von Donnerstag bis Montag, um eine 23-Milliarden-Bürgschaft für die Zocker-Bank "Hypo Real Estate" freizugeben. Weshalb der Bundestag nicht beteiligt wurde? Weil der für die Alleinentscheidung der Bundesregierung zugestehende Bürgschaftsrahmen "noch nicht ausgefüllt" sei. Aha, von wegen kein Geld da. Zum Vergleich: 23 Milliarden ist mehr als der gesamte Jahresetat des Bundes für HARTZ IV.

Angesichts der aktuellen Finanzkrise geht also gerade einiges. Insbesondere geht das staatliche Geldausgeben wieder. Plötzlich finden alle, selbst die neoliberalen Mainstreamparteien, dass "Regulierung" her muss. Einzig die FDP und Hans-Olaf Henkel maulen ein bisschen herum, dass eigentlich doch der Staat daran schuld sei, dass den Banken die Auswirkungen ihrer Fondsgeschäfte über den Kopf wächst. Aber die Fratzen der Protagonisten der unverfälschten Markwirtschaft wirken schreckstarr und hölzern. Dass sich nach der aktuellen Pleite alles am Markt wieder von selbst einregelt, glaubt insgeheim auch von denen keiner mehr.

Die Finanzkrise hat also mehr aufgeklärt, als hunderte linke Veranstaltungen und tausende DemonstrantInnen gegen G8 & Co. Sie hat am eigenen Beispiel das ganze Gelaber von der globalen Marktwirtschaft als sich stets auspendelndes, leistungsgerechtes Ordnungssystem, das zu allgemeinem Weltwohlstand führt, widerlegt. Nachdem der Finanzmarkt das Totalbesäufnis eingeleitet und die Banken immer schlechteren Fusel dazugegeben haben, droht der knock-out, der Absturz. Katerstimmung ist angesagt. Und Besserung, "Regulierung" wird gelobt. Bis zum nächsten Mal.

Tatsächlich: Die Regulierung der Finanzmärkte ist nicht mehr nur eine linke Spinnerei eines deutschen Ex-Finanzministers. Sie ist schlicht notwendig, um die weitere Barbarisierung der Verhältnisse - bis hin zur völligen finanziellen Vernichtung von Existenzen - abzuwenden. Wichtig ist aber: Den notwendigen Stützkäufen muss die Staatsübernahme des Wertäquivalents bei den betroffenen Banken durch den Staat erfolgen. Die Teil-Verstaatlichung des Bankensektors ist notwendig, um die Ruinen, die der Neoliberalismus in der Weltwirtschaft hinterlassen hat und für die die verschleuderten falschen Eigenheim-Glücksversprechen an der Ostküste der USA nur ein plastisches Symbol sind, aufzuräumen. Die Linke sollte sich am Aufräumen beteiligen.