Stop the Virus!

14 Thesen für eine solidarische Pandemiepolitik

Redaktion *prager frühling

1. Solidarität statt Verleugnung: Linke Politik in Zeiten von Verunsicherung

Die Corona-Krise bedeutet eine existenzielle Verunsicherung für jede*n Einzelne*n. Die Krise und die Maßnahmen zu ihrer Eindämmung betreffen jede*n unterschiedlich. Wie genau hängt davon ab, wie man durch das Virus gefährdet ist oder sich in Sicherheit wähnt.

Die Wahrnehmung wird zudem davon beeinflusst wie einen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie betreffen: Gefährden Sie das eigene Einkommen, weil Arbeitsaufträge wegfallen; explodiert die Menge der zu leistenden Care-Arbeit von Kinderbetreuung; muss wegfallende professionelle Unterstützung in Pflege oder Assistenz kompensiert werden oder gefährdet die Care-Krise gar das eigene Leben? Kann man auf Zugang zum Gesundheitssystem vertrauen, wenn man erkrankt oder ist man schon von vornherein davon ausgeschlossen? Bringt es die eigene soziale Situation mit sich, dass man Ausgangsbegrenzungen im Haus mit grünem Garten oder beengt in einer Wohnung ohne Balkon durchlebt? Und schließlich beeinträchtigen die unterschiedlichen Krisenbewältigungsstrategien eigene Gewinn- und Renditeerwartungen in erheblichem Ausmaß?

Die aktuellen politischen Reaktionen auf die existentielle Verunsicherung und die unterschiedliche Betroffenheiten lassen sich nicht nach hergebrachten politischen Schemata einordnen. Manch eingefleischte*r Anarchist*in wünscht sich plötzlich eine konsequente Durchsetzung von Kontaktbeschränkungen, während die autoritäre Rechte anarchische Corona-Partys feiert. Eine verbreitete Reaktion auf Verunsicherungen, die keine vorgefertigten Antworten nahelegen, ist Verleugnung und Verdrängung. Kein Wunder also, dass auf der einen Seite plötzlich neben vielen rechten Corona-Leugner*innen auch einige Linke auf sogenannten „Hygienedemos[1]” mitdemonstrieren und im Netz Verschwörungsideologien in vielen Farben erblühen.

Ein emanzipatorischer Umgang ist dies nicht. Als metabolische Gesellschaftskrise, als Krise, die alle Lebensbereiche beeinflusst, lässt sich diese Krise nicht individuell bewältigen. Sondern jede*r Einzelne ist auf gesellschaftliche Solidarität angewiesen und auf die Zugang und Verfügbarkeit kollektiver Güter.

Um Lasten der Krise solidarisch tragen zu können, bedarf es zunächst der Anerkennung des Faktums, dass wir es mit einer tiefen Krise und nicht mit einer schweren Grippe zu tun haben. Eine sozialistische Linke muss auch in Zeiten von Verunsicherung ernsthaft, und notfalls auch auf Basis unvollständiger oder vorläufiger Erkenntnisse denken und handeln, statt zu leugnen und zu lamentieren. Das erfordert die Grenzen des eigenen Wissens und prognostischer Fähigkeiten anzuerkennen und daraus Schlüsse zu ziehen. Das bedeutet auch zu analysieren, mit welchen ökonomischen Interessen und Lobbygruppen es sich anzulegen gilt. Aber auch darüber nachzudenken, welche unterschiedlichen Betroffenheiten und Verletzlichkeiten anzuerkennen und zu bedenken sind.

2. Anerkennen, was wir wissen. Wissen, was wir nicht wissen.

Wir wissen immerhin so viel: Es ist eine Menschheitsherausforderung das Corona Virus zu stoppen. Das Virus ist hochansteckend und verbreitet sich bei physischer Nähe auch ohne direkten Kontakt. Betroffene können andere anstecken ohne selbst Symptome zu haben. Ohne Eindämmungsmaßnahmen breitet sich das Virus mit exponentiell wachsender Geschwindigkeit in der Gesellschaft aus.

Die individuellen Gesundheitsrisiken sind dabei nicht berechenbar. Auch wenn ältere Menschen und solche mit Vorerkrankungen durch schwere Verläufe besonders gefährdet sind, mehren sich schwere Erkrankungen und Todesfälle bei Menschen, die bisher nicht als Risikogruppe betrachtet wurden. Die individuellen und womöglich schwerwiegenden Spät- und Langzeitfolgen einer Covid-19-Erkrankung lassen sich derzeit noch nicht absehen. Es handelt sich nicht, wie zuweilen behauptet, um eine schwere Grippe, sondern um ein hoch ansteckendes Virus und eine tückische Erkrankung. Anders als bei der Influenza-Grippe gibt es keinen Impfstoff, anders als bei Tuberkulose keine Medikamente. Ob Erkrankte verlässlich eine dauerhafte Immunität ausbilden, ist nicht gesichert.

Die Risiken für das Gesundheitssystem als Ganzes können hingegen als bekannt gelten. In Nachbarländern, die früher und härter von der Pandemie getroffen worden sind oder solchen, deren Gesundheitssystem und politische Führung wie in den USA schlecht vorbereitet waren, ist dies zu besichtigen: Dort gab es den teilweisen Zusammenbruch des Gesundheitssystems und ein massives Ansteigen der Todeszahlen.

3. Was auf dem Spiel steht.

Der Zustand unseres Gesundheits- und Pflegesystems hat sich im internationalen Vergleich bisher als verhältnismäßig belastbar erwiesen. Aber auch hierzulande haben die Kürzungs- und Sparpolitiken der letzten Jahrzehnte tiefe Spuren hinterlassen. Personalmangel im Krankenhaus und überlastete Pflegekräfte können auch hierzulande schnell zum Kollaps führen.

Wenn sich die Hoffnungen, die den Lockerungsübungen zu Grunde liegen, als Fehlannahmen erweisen, steht viel auf dem Spiel. Ältere, Vorerkrankte und Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen müssen die Folgen der Strategie der Bundesregierung besonders fürchten. Im Falle einer Überlastung des Gesundheitssystems steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie sterben werden. Spanische Altenheime und italienische Krankenhäuser waren strukturell so überfordert, dass eine Behandlung nicht mehr gewährleistet konnte.

Menschen mit unsicherem Aufenthaltsstatus, LGBTQI, Wohnungslose und anderen Personen, die im Prä-Corona-Gesundheitssystem Benachteiligungen erfahren haben, sind diesen auch in Corona-Zeiten ausgesetzt. Die Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems nicht leichtfertig aufs Spiel zu setzen, ist eine Frage der Solidarität: zwischen Generationen und zwischen unterschiedlich Betroffenen.

4. Das epidemiologische Großexperiment ist nicht locker, sondern gefährlich …

Im Lichte dieses vorläufigen Wissens und des gesicherten Nicht-Wissens ist die Lockerungspolitik von Bundesregierung und Ländern unverantwortlich. Faktisch handelt es sich um einen Strategiewechsel und ein gesundheitspolitisches Großexperiment. Schlug man zu Beginn den Weg einer Containment-Politik ein, um die Übertragung einzudämmen, kommt es jetzt faktisch zu einem Ansatz, der auf Massenimmunisierung durch Ansteckung hofft. Man hofft darauf, dass sich das Virus kontrolliert verbreitet, es sich im Bundesgebiet verteilt und das Gesundheitssystem dabei nicht überlastet wird.

Doch es gibt weder gesichertes Wissen darüber, dass diese Einhegung auf niedrigem Niveau funktionieren kann, noch dass eine Massenimmunisierung tatsächlich aus der Pandemie herausführen kann. Von den steigenden Sterberaten ganz zu schweigen. Nehmen wir nur die unteren Werte für die Erreichung der Herdenimmunität (ca. 60 % bis 70 %) und Letalität (je nach Studie ca. 0,3 bis 3%), dann kostet die Strategie alleine in Deutschland bei 82 Millionen Einwohner*innen hunderttausenden Menschen das Leben. Mild und kontrolliert nennen wir diese Aussicht auf die Fallzahl an Toten nicht.

Deshalb sagen wir klar: Die einzig verantwortliche Reaktion ist eine „Stop the Virus!“-Politik und eine Fortsetzung der Beschränkungen für einige Zeit, um den Virus so zu stoppen. Infektionsketten müssen nachvollziehbar bleiben und die Ressourcen des Gesundheitssystems dürfen nicht überstrapaziert werden. Es steht viel auf dem Spiel: Für die Gesellschaft und für jede/n Einzelne/n.

5. Deshalb: Strategien solidarischen Notbetriebs …

Ein solidarischer Notbetrieb gesellschaftlicher und ökonomischer Aktivitäten um das Virus effektiv zu stoppen, bedeutet, dass nicht notwendige Produktion heruntergefahren werden muss, Shopping-Malls dürfen nicht geöffnet werden. Dies bringt Einkommensverluste für die Beschäftigten mit sich, die kompensiert werden müssen.

Hinzu kommt, Wir brauchen für jene, die von den Beschränkungen besonders betroffen sind, entlastende Maßnahmen:

  • Akut braucht es Betreuung für Kinder in prekären Wohn- und Lebenssituationen und die Ausstattung aller Schüler*innen mit einem Endgerät, um an der Fernbeschulung teilnehmen zu können. Wo möglich sollte geeigneter Straßenraum für den Verkehr gesperrt werden, damit Kinder auch mit Abstand im öffentlichen Raum spielen können.
  • Um Einkommensverluste zu kompensieren und Armut zu verhindern, bedarf es vollen Lohnzahlungen im öffentlichen Dienst, der Aufstockung des Kurzarbeitergelds auf mindestens 90% und ein Pandemieüberbrückungsgeld (Grundeinkommen).
  • Angepasste Regeln, die Ausgang und Besuche von Alten und Kranken unter Einhaltung des Abstandsgebotes und der Maskenpflicht und den regionalen Fallzahlen entsprechend, ermöglichen.
  • Die Einnahmeausfälle kleinerer und mittlerer Unternehmen müssen abgefedert werden, die von gering verdienenden Soloselbstständigen kompensiert werden.
  • Zu den großen Infektionsherden gehörten Großunternehmen und Konzerne, die beim Infektionsschutz schlampen. So kam es in einem Verteilzentrum von Amazon und in dem Schlachtunternehmen Müller-Fleisch zu hunderten Neuinfektionen. Konzerne müssen wissen, dass solche Nachlässigkeiten für sie schmerzhafte Konsequenzen haben.
  • Zudem ist die Infektionsgefahr in Einrichtungen, in denen Menschen beengt zusammen untergebracht sind, besonders hoch. Das betrifft Notunterkünfte für Wohnungslose, Sammelunterkünfte für Saisonarbeiter*innen und Geflüchtet sowie Gefängnisse. Letztere könnten durch eine Generalamnestie für Bagatelldelikte entlastet werden. Für Wohnungslose und Geflüchtete müssen umgehend weitere Wohneinheiten angemietet werden um die Sammelunterkünfte überflüssig zu machen. Menschen, die mit prekärem Aufenthaltsstatus dazu gezwungen sind in Lagern und Sammelunterkünften zu leben, müssen dort endlich raus. Was schon immer ein Gebot der Humanität und eine Frage universaler Menschenrechte ist, ist nun auch eines von Infektions- und Gesundheitsschutz.

Die Bundesrepublik kann sich eine „Stop the Virus”-Politik leisten und damit das Leben der Bürger sichern. Der Reichtum ist vorhanden. Mittels einer Vermögensabgabe für Millionäre, ein Instrument, das die Bundesregierung unter Bundeskanzler Konrad Adenauer zur Finanzierung des Ausgleichs der Lasten des Zweiten Weltkriegs genutzt hat, lassen sich die Ausgaben gut finanzieren.

6. Ökonomische Vernunft in der Krise

Es ist ein strukturelles Problem des Kapitalismus, dass die einzelnen Unternehmer*innen stets eine kurzfristige betriebswirtschaftliche Perspektive einnehmen. So auch in der Corona-Krise. Auch deshalb machen Teile des Kapitals Druck und fordern Lockerungen oder haben diese bereits Dank erfolgreichen Lobbyismus' durchgesetzt.

Doch selbst nach kapitalistischer Logik ist dies verheerend. Eine Strategie des solidarischen Herunterfahrens wäre gegenüber vorschnellen „Lockerungen” ein Gebot der Vernunft.

Das daraus womöglich resultierende „Stop and Go“, der dauernde Wechsel zwischen Öffnung und Lockerung, schafft nicht das nötige Vertrauen und die Sicherheit, um das ökonomische Leben zuverlässig wieder in Gang zu setzen. Und sollte das Hochfahren der Produktion am Ende sogar zu einem zweiten unkontrollierten Ausbruch des Virus führen, werden nicht allein die Todeszahlen steigen. Auch die ökonomischen Kosten werden ein Vielfaches der Strategie des „Stop the Virus“ mittels eines solidarischen Herunterfahrens der gesellschaftlichen und ökonomischen Aktivitäten für einige Monate betragen. Gerade um die anstehende Wirtschaftskrise wirksam anzugehen, müssen wir den Virus zu stoppen: Es braucht Planungssicherheit für längere Zeiträume, massive Investitionsprogramme und Nachfragestärkung, um die Unsicherheit tatsächlich zu überwinden und nicht dauerhaft aufrecht zu halten.

7. Auch in der Krise bleibt Protest systemrelevant

Das Virus zu stoppen, bedeutet ausdrücklich nicht, dass der Infektionsschutz als Vorwand missbraucht werden darf, um pauschal jeglichen politischen Protest sowie demokratische und soziale Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit auszusetzen oder arbeitsrechtliche Standards wie den 8-Stunden-Tag auszuhebeln.

Solange das Virus nicht gestoppt ist, stehen Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit oder die Personenfreizügigkeit im Konflikt mit dem Recht auf körperliche Unversehrtheit. Das solidarische Herunterfahren der gesellschaftlichen und ökonomischen Aktivitäten darf jedoch nicht zu einer Suspendierung von Grund- und Freiheitsrechten führen. Wo es möglich ist, müssen sie in Einklang gebracht werden. Alle Maßnahmen, die derzeit demokratische und soziale Grundrechte beschränken, müssen befristet sein. Ihre Beschränkung in Kraft zu setzen, bedarf qualifizierter Mehrheiten, sie aufzulösen muss das Recht einer qualifizierten Minderheit sein. Die Grundrechte gelten und müssen bei Beachtung des Infektionsschutzes auch gewährleistet werden.

Lockerungen des Infektionsschutzes zugunsten des Grundrechts auf Versammlung sind hart umkämpft und ein wichtiger Ausdruck linker außerparlamentarischer Arbeit. Hier sind wir mitten in einem umkämpften Prozess, welche Auflagen im Sinne des Infektionsschutzes notwendig und welche kaum umsetzbar sind Während das Vermummungsgebot aus linken Kreisen wenig Widerstand erfährt, so kann die Beschränkung der Teilnehmendenanzahl problematisch werden. Konkret stellt sich damit die Frage, wer auf eine Demonstration gehen darf- und wer die erste Person festlegt, die ausgeschlossen bleiben muss. Auch der Umgang mit Teilnehmendenlisten und die Frage der Datenweitergabe als Kennzeichen eines nicht-idealen Zwischenzustandes stehen in der Diskussion.

Diese offenen Punkte erhöhen die Relevanz von kreativen Protestformen im analogen sowie im digitalen Raum. So setzte Fridays for Future statt auf eine Demo von vielen auf ein starkes Bild mit unzähligen selbstgestalteten Plakaten auf der Wiese vorm Bundestag. Und die Seebrücke hat am Frankfurter Mainufer gezeigt, dass man mit einer Menschenkette auch unter Einhaltung von Abstandsregeln eine kraftvolle Großdemo veranstalten kann.

Auch akute Krisenmaßnahmen dürfen keinen Weg in den Überwachungsstaat bereiten. So gilt z.B. für eine App zum Nachvollzug von Ansteckungsketten: Die Speicherung der Daten muss dezentral erfolgen, ihre Nutzung muss freiwillig und der Quellcode der App muss offen sein.

8. Solidarischer Neustart nach der akuten Krisenphase.

Nach dem Stoppen des Virus’ brauchen wir ein solidarisches Hochfahren der gesellschaftlichen und ökonomischen Aktivitäten. Dabei müssen weiterhin die Auswirkungen von Maßnahmen bei besonders belasteten Gruppen gegenüber dem Ziel der Verhinderung neuer Ausbrüche abgewogen werden. Um massenhafte Insolvenzen zu verhindern, bedarf es staatlicher Investitionsprogramme, Wirtschaftshilfen und Beteiligungen der öffentlichen Hand an Unternehmen. In den Schulen muss ein verringerter Betreuungsschlüssel beibehalten werden. Der Neustart muss nach Risiken und gesellschaftlicher Relevanz abgestuft werden. Der solidarische Neustart bedeutet jedoch keinen Weg zurück zu einem Status quo ante. Richtungsentscheidungen für eine solidarische Post-Corona-Gesellschaft müssen bereits hier getroffen und vorbereitet werden.

9. Die Zeit nach der Corona-Krise: Der Klassenkampf von oben beginnt bereits

Der Kampf um die Frage, wer die Kosten der Corona-Krise bezahlt, wird sich noch weiter zuspitzen. Verschärfend kommt hinzu:

Die Schuldenbremse ist nicht abgeschafft, sondern nur ausgesetzt. Die bisher geltenden Regeln sehen einen Tilgungsplan für alle angefallenen Schulden vor. Wenn die Regierung wieder in den Modus der Schuldenbremse samt Tilgungsplänen wechselt, drohen Kürzungskaskaden bei Bildung, Kultur, Sozialem und im Klimaschutz.

In dieser Situation sind die sozialen und fortschrittlichen Kräfte in der Gesellschaft gefragt. Wer sich nur im Abwehrkampf befindet, gerät schnell in die Defensive. Deshalb gilt es nicht nur bestehende soziale Rechte zu verteidigen, sondern mit positiven grundlegenden Alternativen zu überzeugen. Zudem gilt es die Mär zu entkräften, es seien Konservative und Neoliberale, die besonders gut in der Lage wären, die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Deren Kurs wird unsere Gesellschaft nicht krisenfester machen, sondern uns vielmehr in die nächste Krise steuern, sei es die Klimakrise oder eine weitere Wirtschaftskrise. Vielmehr kommt es jetzt darauf an, beginnend im Bestehenden, wirtschaftlich umzusteuern hin zu Wirtschaftsdemokratie weg von reiner Profitorientierung und schließlich hin zu einer Ökonomie des Gemeinsamen. Um dies zu erreichen brauchen wir Allianzen des Gemeinsamen, aktive soziale Bewegungen und fortschrittliche Parteien, die den Kampf um andere Mehrheiten aufnehmen - und zwar um soziale Mehrheiten links der Union.

10. Die Bewältigung der Krisenfolgen zum Umsteuern nutzen

Die Pandemie macht die Sicherung von Unternehmen mit staatlichen Zuschüssen und Krediten notwendig. Diesen Maßnahmen müssen auch für ein ökonomisches und ökologisches Umsteuern genutzt. Die Begrenzung der Manager*innengehälter oder eine Aussetzung der Dividendenzahlungen für Konzerne, die staatliche Unterstützung erhalten, sollte eine Selbstverständlichkeit sein, würde nicht die CDU regieren.

Bei all diesen Politiken ist darauf zu achten, dass sie die Weichen für einen Neuanlauf als Grundlage für eine stabile, sozial und ökologisch nachhaltige Gemeinwohlökonomie stellen. Statt bedingungsloser Millionenzuschüsse für Autoindustrie und Luftfahrt, bedarf es der Stützung gesellschaftlich notwendiger Infrastrukturen.

Eine fortschrittliche Politik muss darüber hinaus Kredite und Zuschüsse nutzen, um Einfluss auf die Entwicklung der Unternehmenspolitik auszuüben. Kredite und Zuschüsse sind mit Auflagen zur ökologischen Erneuerung von Produktion und Produkte und dem Ausbau der Mitbestimmung der Beschäftigten zu verbinden. Die Vergesellschaftung von Konzernen bietet unmittelbare Möglichkeiten zur ökologischen und sozialen Neuausrichtung dieser Unternehmen.

Die Gewinne der Corona-Profiteur*innen wie Amazon und der großen Einzelhandelsketten müssen abgeschöpft werden. Diese Gelder sind dafür einzusetzen, kleine Händler*innen in der Krise zu stärken.

11. Gesellschaftliche Arbeitsteilung anders organisieren

 Die Corona-Krise richtet ein gleißendes Licht auf die patriarchal organisierte Arbeitsteilung in unserer Gesellschaft. Frauen* arbeiten nicht nur überproportional in systemrelevanten Berufen- und stehen somit in der ersten Reihe der physischen Gefährdung- sondern sind auch häufig in Teilzeit sowie im Niedriglohnsektor beschäftigt. Kurzarbeiter*innengeld bei einem grundsätzlich geringen Gehalt führt damit schneller in wirtschaftliche Abhängigkeiten. Diese Entwicklung ist bei Frauen*, die wegen geringeren externen Betreuungs- und Unterstützungsmöglichkeiten zusätzliche Care-Arbeit leisten, noch stärker.

Gleichzeitig leisten Frauen* auch einen übergroßen Anteil an unbezahlter Care- und Sorgearbeit. Die scheinbar selbstverständliche Privatisierung von Erziehungsarbeit in Zeiten von Corona setzt dieses Muster fort. Frauen* tragen in der Pandemie eine höhere Last. Es gilt dies hinsichtlich von in der Regel geschlechtsunspezifischen Maßnahmen und Wegen aus der Krise sichtbar zu machen und zu adressieren. Nach dem Ende der akuten Krise bedarf es einer nicht nur finanziellen Aufwertung sowie einer gerechteren Aufteilung von bezahlter und unbezahlter Care- und Sorgearbeit.

12. Der Kampf um Gesundheit ist international!

Nach der Krise werden wir darüber reden müssen, dass im deutschen Gesundheitssystem zwischen 1991 und 2017 über ein Viertel der Krankenhausbetten abgebaut wurden und dass Fallpauschalen und Privatisierungen das System und die dort Beschäftigten auch ohne Pandemie an ihre Grenzen gebracht haben. Aber jetzt kommt es darauf an, dass wir unser Gesundheitswesen schnell krisenfest machen: Die Kapazitäten müssen systematisch ausgebaut werden und die Gesundheitsämter personell angemessen ausgestattet werden.

Die Beschäftigten, insbesondere das Pflegepersonal müssen besser bezahlt werden, Arbeitszeiten müssen jetzt angepasst werden – mit der Aussicht, dass sie nach der Bewältigung der Pandemie deutlich sinken. Es bedarf der gesellschaftlichen Aufwertung der systemrelevanten Berufe. Das bedeutet mehr Lohn für diese Berufsgruppen, besseren Arbeitsschutz und eine den Aufgaben angemessene Personalbemessung.

Die Aufteilung des Gesundheitssystems in eine Zwei-Klassen-Medizin kassenärztlicher und privater Versorgung bindet Ressourcen, die im Pandemiefall besonders benötigt werden. Auch deshalb ist diese Aufteilung zu Gunsten einer öffentlichen Gesundheitsversorgung abzuschaffen.

In den einzelnen Staaten, so auch in Deutschland, gibt es riesige Lücken beim Zugang zu Gesundheitsversorgung u.a. für Illegalisierte und Arbeitsmigrant*innen. Dies gefährdet die Gesundheit aller Menschen und die der konkret Ausgeschlossenen im Besonderen.

Gesundheit als öffentliches Gut, kann nicht allein im nationalstaatlichen Rahmen bereitgestellt werden.

Die Corona-Krise hat ein weiteres Mal gezeigt, was auch sonst gilt: Nationalstaatliche Gesundheitspolitiken stoßen nicht nur im Fall von globalen Pandemien an ihre Grenzen. Viren kennen weder Staatsgrenzen noch Nationalitäten. Selbst wenn im nationalstaatlichen Rahmen genügend Ressourcen mobilisierbar sind und Politiker*innen verantwortungsvolle Entscheidungen treffen, lassen sich Pandemien und andere globale Gesundheitsgefahren nicht unter Kontrolle bringen, wenn Gesundheitssysteme andernorts in der Krise kollabieren oder von vornherein nicht für diese gerüstet waren. Die Bewegung für „Global Public Health” adressiert dies seit Jahrzehnten.

EU und Bundesregierung müssen in den bestehenden internationalen Institutionen wie die WHO eine solidarische Gesundheitspolitik durchsetzen. Die Länder des globalen Nordens müssen endlich patentgeschützte Medikamente und Impfstoffe durch eine Veränderung des Patentrechts global verfügbar machen.

13. #LeaveNooneBehind - Solidarisches Europa statt nationale Regression

In Europa verhält sich Deutschland noch immer primär als ideelle*r Gesamtkapitalist*in, welche*r Interessen der deutschen Exportökonomie sowie nationale politische Hegemonieinteressen durchsetzt. Die sozialen und ökonomischen Lasten werden auf den Budgets südlicher Länder und die sozialen Kosten bei osteuropäischen Arbeitskräften ausgelagert. Die derzeit auf den europäischen Raststätten festhängenden Arbeitskräfte und die durch die Krisenbewältigungsregime der Bankenkrise ausgezehrten Sozialsysteme sind europäische Schandmale. Die nationalstaatliche Regression in der akuten Krise: Grenzen dicht und rette sich wer kann, ist ein schneller Reflex.

Stattdessen muss die Eurozone auf solidarische Füße stellen gestellt werden und die Menschenrechten von Geflüchteten und soziale Grundrechte gewährleistet werden.

Das bedeutet insbesondere die erbärmliche Situation in den griechischen Lagern Moria, Vathy und den vielen anderen endlich zu beenden und die dort lebenden Menschen endlich in Europa aufzunehmen.

Beim solidarischen Hochfahren der Gesellschaft muss der Kurs darauf gerichtet sein, die sozialen und demokratischen Defizite in der EU und in Europa gemeinsam anzugehen.

14. Die Auseinandersetzung im Kampf um die Regulationsweisen annehmen

DIE LINKE hat sich auf die Bundestagswahl 2021 vorbereitet. Die Annahme war, dass sie auf einen Kampf der Regulationsweisen hinausläuft: zwischen einer nationalistisch-autoritären Option (Schwarz-blau), einem ökologisch korrigierten „Weiter-So“ (schwarz-grün) und einer sozial-ökologischen Gemeinwohlökonomie (neue linke Mehrheiten). Dieser Konflikt findet schon jetzt vorgezogen in der Pandemiebekämpfung statt: Ignorieren wir die Sterberaten, lockern wir das gesellschaftliche Leben und ziehen uns hinter unsere Mauern zurück, lavieren wir hin und her (schwarz-grün) oder stellen andere Weichen, die es uns auch nach der Pandemie ermöglichen, aussichtsreich auf den Klimawandel, auf den Strukturwandel der Weltwirtschaft und der internationalen Politik zu reagieren. Gehen wir schon jetzt Schritte in Richtung einer New-Deal Politik in der EU – mit Corona-Bonds, ökologischen Investitionsprogrammen und der Regulierung eines umweltschädlichen Freihandels, Demokratisierung der Wirtschaft, Stärkung der Binnennachfrage, Grundeinkommen und einer Neuausrichtung von Lohn- und Reproduktionsarbeit – oder kommt es zur Rückkehr zum „alten Modell“ eines ordoliberalen deutschen Wirtschaftsnationalismus, wie ihn die FDP und Teile der CDU fordern – eine Option, die die EU und die Eurozone absehbar zerstören und unsere Gesellschaft kaum krisenfest machen wird.

Die Corona-Pandemie zeigte die Grenzen des Neoliberalismus und des Kapitalismus auf. Was macht eine Gesellschaft eigentlich aus, die sich nicht allein über Profit, über Lohnarbeit und Konsum definiert? Schafft diese Krise nicht auch die Chance, sich neu darüber zu verständigen, wie wir grundsätzlich leben, arbeiten, produzieren und konsumieren wollen? Lassen die Momente der gesellschaftlichen Rücksichtnahme und Hilfe der Vielen, die unbürokratische Unterstützung für Soloselbständige und Künstler*innen, die Ausweitung des Kurzarbeitergeldes und die Aussetzung der Hartz-IV-Sanktionen nicht auch am Horizont erscheinen, das eine andere, eine solidarische Gesellschaft möglich wäre?

Nutzen wir diese Chance, in dem wir in der Art und Weise der Krisenbewältigung Perspektiven auf eine andere solidarische Gesellschaft sichtbar machen!

 

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