17.12.2020

Von der munizipalistischen Bewegung Feminismus lernen.

Anna Schiff

Feminismus hat in den letzten Jahren einen deutlichen Aufschwung erfahren. 2017 rang Ivanka Trump, Tochter und weibliches Aushängeschild des Ex-US-Präsidenten Donald Trump, sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel ein Bekenntnis zum Feminismus ab. Die Gretchenfrage ist also nicht (mehr), ob Feminismus oder keiner, sondern vielmehr welcher Feminismus. Geht es darum, privilegierte (weiße, cis) Frauen noch privilegierter zu machen, oder um ein gutes Leben für alle – weltweit? [1]

Wer nicht nach leeren Empowermentphrasen sucht, sondern nach handfesten Tipps und Anregungen, um das neu gewonnene – oder wieder gewonnene – feministische Bewusstsein in konkrete politische Praxis umsetzen zu können, wird in der von der Rosa-Luxemburg-Stiftung Madrid und Brüssel herausgegebenen Broschüre »Die Politik hier und heute feministischer machen!« fündig werden. Auf knapp 200 Seiten wird nicht nur ein Einblick in die munizipalistischen Bewegung gegeben, sondern auch ihre „praxiserprobten Werkzeuge“ vorgestellt, mit deren Hilfe Politik feministischer gemacht werden kann.

Munizipal bedeutet so viel wie städtisch oder kommunal. Als Munizipalismus werden Versuche bezeichnet, die lokal ansetzen, um Politik von unten her zu verändern. Mittels Selbstorganisation oder Partizipation in kommunalen Regierungen, soll erreicht werden, lokale Institutionen gemeinwohlorientierter auszurichten, um so nicht nur das Verhältnis zwischen kommunaler Regierung und sozialen Bewegungen (vor Ort) zu verändern sondern auch Politik und ihre (institutionellen) Rahmenbedingungen als solche.[2] Südeuropa hat sich – nicht zuletzt als Reaktion auf die Finanzmarktkrise von 2007 – zu einem Zentrum munizipalistischer Praxis entwickelt.[3].

Die Verbindung von Munizipalismus und Feminismus kommt dabei nicht von ungefähr. Das der Publikation zugrundeliegende „Hauptargument“ umreißen die Autorinnen wie folgt: „Um Macht von unten nach oben aufzubauen, muss der Munizipalismus traditionelle Methoden der Politikgestaltung aufgeben (das trifft auch auf linke Organisationen zu). Die Konzepte Macht und Führung müssen kollektiv […] verstanden werden. Alltagspraxen und Verfahren müssen auf die Themen Ausweitung von Teilhabe und Umverteilung von Care-Verpflichtungen ausgerichtet sein." (S. 18). Ohne Frauen ist also auch kein Munizipalismus zu machen.

Wie das munizipalistisch-feministische Projekt gelingen kann, wird in der Broschüre anhand von sieben Themenkomplexen veranschaulicht (Genderparität und -gerechtigkeit, Kooperation und Macht, Führung aus feministischer Sicht, Care, Demokratisierung und Teilhabe, Diversität und Intersektionalität, Gewaltlosigkeit). Die einzelnen Kapitel sind dabei zweigeteilt: Auf eine knappe und niedrigschwellige Analyse folgen praktische Hinweise und Anregungen. Diese sollen – wie verdeutlicht wird – keinesfalls als normative Anleitung verstanden werden, sondern vielmehr als „Inspiration, Diskussionsgegenstand und Praxishilfe in einem“ (S. 4). Etliche der Tipps, beispielsweise quotierte Redelisten (S. 30) oder das Anbieten einer Kinderbetreuung (S. 89), sind Klassikerinnen der feministischen Werkzeugkiste. Andere, etwa der „Self-Check-Fragebogen“ zum aktivistischem Burnout (S. 99) oder der „Anti-Hatespeech-Kodex“ (S. 144), eher (noch) nicht. In der Print-Version der Broschüre, die kostenlos bestellt werden kann, sind die einzelnen Kapitel so gestaltet, dass der Text auch haptisch zum Nachschlagewerk wird.

Die Broschüre hat sich sichtlich zum Ziel gesetzt, möglichst viele Menschen, möglichst niedrigschwellig abzuholen. Dass der ambitionierte Spagat zwischen Theorie und Praxis in allgemeinverständlicher Sprache nicht immer perfekt gelingen kann, versteht sich dabei von selbst und sollte niemanden davon abhalten, dieser kompakten Zusammenstellung munizipalistisch-feministischer „Tools“ einen festen Platz im Bücherregal einzuräumen.

 

Laura Roth, Irene Zugasti Hervás, Alejandra de Diego Baciero: Die Politik hier und heute feministischer machen! Diskussionen und Tools der munizipalistischen Bewegung

Als Download [1]verfügbar und hier als Druckfassung [2]bestellbar. 

 

Anmerkungen

[1] Angelehnt an den Slogan des Netzwerks Care Revolution. Es strebt „neue Modelle von Sorge-Beziehungen und eine Care-Ökonomie an, die nicht Profitmaximierung, sondern die Bedürfnisse der Menschen ins Zentrum stellt, und die Sorgearbeiten und Care-Ressourcen nicht nach rassistischen, geschlechtlichen oder klassenbezogenen Strukturierungen verteilt.“ https://care-revolution.org

[2] Vgl. Vollmer, Lisa: Keine Angst vor Alternativen. Ein neuer Munizipalismus. Über den Kongress „Fearless Cities“, Barcelona 10./11. Juni 2017, in: s u b \ u r b a n. zeitschrift für kritische stadtforschung Bd. 5, H. 3 (2017), S. 147-156.

[3] Ein Überblick über globale Netzwerke und Akteur*innen der munizipalistischen Bewegung ist abrufbar unter: fearlesscities.com.

Links:

  1. https://www.rosalux.eu/de/article/1810.die-politik-hier-und-heute-feministischer-machen.html
  2. https://bestellung.rosalux.de/index.php?cat=KAT02&product=P000839